Jo Clayton: Der Brann-Zyklus
Jo
Clayton: Der Brann-Zyklus
(Heyne 06/4647,4648,4649)
Man soll nichts auf Vorurteile geben. Eine Binsenweisheit, richtig,
aber in Bezug auf den Brann-Zyklus von Jo Clayton stimmt
sie. Zumindest für mich. Ich hörte zwar, die drei Romane - also
eher eine Trilogie als ein Zyklus - sollten ziemlich langweilig sein, aber
für den Second-Hand-Preis kaufte ich sie dennoch. Und jetzt, wo ich
sie ausgelesen habe, bereue ich es nicht.
Die amerikanische Autorin schreibt über eine weibliche Heldin,
jedoch zum Glück nicht in der aufdringlich feministischen Art wie
etwa M. Zimmer-Bradley in einigen ihrer Werke. Sie hat mit dem Zyklus,
der neueren Datums ist, eine Tradition fortgesetzt, die sie mit ihrem Aleytys-Zyklus
("Diadem von den Sternen") begann, welcher allerdings der SF zuzuordnen
ist. Eine weibliche Hauptheldin, die charakterlich sehr gut gestaltet ist,
die sich zudem von ihren Mitmenschen durch eine Besonderheit unterscheidet,
erlebt eine Kette von Abenteuern, die letztlich auf ein bestimmtes Ziel
zusteuern. So könnte man die Handlung des Zyklus' sehr grob umreißen.
Der Brann-Zyklus setzt sich zusammen aus "Seelentrinkerin",
"Blaue Magie" und "Das Sammeln der Steine". Der letzte Band schließt
die Haupthandlung ab, was nicht ausschließt, daß es nicht doch
noch Fortsetzungen geben könnte. Man ist ja schon einiges gewöhnt
vom Genre.
Kurz zur Handlung. Das Ganze spielt sich auf einer Magie-Welt des Multiversums
ab. Es gibt Zauberer, andere Realitätsebenen und aktive Götter.
Soweit nichts Neues im weiten Feld der Fantasy. Und doch haben die drei
Bücher irgendetwas Besonderes an sich. Brann ist am Beginn der Handlung
ein elfjähriges Kind, das aus dem Versteck im Wald mit ansehen muß,
wie ihr Dorf von den Soldaten des entsprechenden Böslings verwüstet
wird. Allerdings ist die Handlung des ersten Bandes etwas verworren, man
muß sich gewissermaßen erst einlesen. Diese Vorgeschichte Branns
wird nämlich in Form eines Rückblicks erzählt, der sich
dann jedoch zur Haupthandlung entwickelt. Die erzählende Rahmenhandlung
ist nicht besonders breit angelegt.
Im Wald wird Brann von zwei kindlichen (?) Wesen aus einer anderen
Dimension gefunden und verändert, so daß sie nun die Fähigkeit
hat, die Seelen von Mensch und Tier, bzw. die Lebenskraft abzusaugen und
ihnen zuzuführen. Übrigens hat jeder auf dieser Welt zwei Seelen.
Die Wesen, Gestaltwandler obendrein, wurden ihr von der örtlichen
Vulkangöttin Slya auf den Hals geschickt, die damit einen komplizierten
Plan für ihre eigenen Zwecke verfolgt. Außerdem wird Branns
Gestalt zu der einer Erwachsenen gemacht. Und dann beginnen die Abenteuer,
über die ich jedoch schweigen möchte, um niemandem den Spaß
am Lesen zu verderben. Mit ihrer rückblickenden Erzählweise vermeidet
Jo Clayton allerdings auch eine Gefahr, welche die obige Konstellation
- Kind im Körper einer Erwachsenen mit großer Macht - in sich
birgt. Sie versucht nicht, pubertäre Phantasien auszuleben, wie es
vielleicht zu befürchten gewesen wäre, hätte sie die Entwicklung
des Mädchens Brann geradlinig geschildert. Im Gegenteil, die Art und
Weise, wie die Götter mit ihr umspringen und ihre neuen Eigenschaften
selbst gefallen Brann überhaupt nicht.
Ihr gelingt es schließlich, den Wunsch der Göttin zu erfüllen,
aber damit ist sie noch lange nicht erlöst. In der typischen Indifferenz
von Göttern kümmert sich Slya nicht weiter um "ihr kleines Nichts".
Jedenfalls scheinbar.
Auf der betreffenden Welt gibt es eine ganze Menge sehr gegenständliche
Götter und Nebengötter, die meist territorial beschränkt
ihr Wesen treiben. Nun ja, bei Magie und all dem Zeug wundert das keinen.
Als ich aber die Mitte des zweiten Teils erreicht hatte, bekam ich dann
doch eine Art Schock. Brann befand sich gerade im Konflikt mit einem mächtigen
Zauberer, ein gewisser "Angeketteter Gott" spielte eine Rolle darin. Und
plötzlich: Raumschiffe, Bordingenieure, galaktischer Handel und all
die Hardware der Science Fiction! Was war passiert? Das Multiversum - ich
erwähnte es schon - hatte zugeschlagen, sein wahres Gesicht gezeigt.
Ein gewisser Daniel wird von einer Welt in einer nichtmagischen Realität
(nicht die Erde) geholt, weil man ihn auf der magischen Welt offenbar für
einen bestimmten Zweck benötigt. Wer ihn holt und warum, bleibt erst
mal im Dunkeln.
Gegen die Verwendung der Multiversum-Konzeption ist natürlich
nichts einzuwenden, sie ist inzwischen zu einem recht oft gebrauchten Stilmittel
geworden. Jo Clayton verwendet sie aber sehr gekonnt, das muß
gesagt werden. Der "Blaue Danny" entwickelt sich dann zu einer Nebengestalt,
die eine genau bestimmte Bedeutung und Rolle hat, er dient nicht etwa nur
dazu, die magische Welt durch die Augen eines "irdischen" Menschen zu betrachten.
Das kann der Leser selbst.
Eine weitere Parallele zu anderen Fantasy-Werken wäre die Fähigkeit
des "Seelentrinkens" selbst. Sie ähnelt stark dem, was Elrics Schwert
Sturmbringer (Moorcock: Elric von Melniboné) mit seinen Feinden
veranstaltet. Aber auch das ist wohl inzwischen ein Mittel, das man sich
aus der Werkzeugkiste der Fantasy herausnehmen kann, ohne gleich Plagiator
genannt zu werden.
Die drei Romane sind in unterschiedlicher Form gegliedert. Während
der erste Teil eine konventionelle Rahmenerzählung darstellt, ähnelt
die Form des zweiten einem Theaterstück. Jedem Kapitel sind "Szenenbilder"
vorangestellt. Das gibt der Sache einen gewissen Reiz. Auf jeden Fall kam
es mir nicht unpassend vor. Der dritte Band wieder hat eine leicht andere
Gliederung, die man aber auch dramatisch nennen könnte. Sie beginnt
mit einer Art Personenvorstellung, dann folgen die vier "Phasen der Wiedergeburt"
(eines bestimmten Gottes). Diese Form gibt dem Leser ein Vorauswissen,
das zur Spannung beiträgt, da man rätselt, wie sich die Protagonisten
- nicht mehr nur Brann - da wieder rauswinden werden.
Für mich war ein wichtiger Pluspunkt der Romane neben der vorhandenen
Spannung beim Lesen die Personendarstellung. Die Charaktere sind weit davon
entfernt, eindimensional zu wirken. Sowohl in Brann, als auch in ihrem
zeitweiligen Widersacher, dem erwähnten Zauberer, finden sich Gut
und Böse vereint und im ständigen Widerspruch. Obwohl es sich
bei den Figuren um ungewöhnliche Menschen handelt, also mit diversen
besonderen Fähigkeiten, erscheinen sie menschlich und vor allem glaubwürdig.
Man kann die Trilogie als nicht ganz gewöhnliche Fantasy dem Leserkreis
des Genres durchaus empfehlen. Sie dürfte sicher noch im Angebot sein.
SX 33
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