John E. Stith: Manhattan Transfer

First we take Manhattan...
John E. Stith: Manhattan Transfer
(TOR Books 1993, 381 Seiten, $ 4.99)


Ich riß es meinem Buchhändler fast aus der Hand, denn ich kannte einen Auszug aus diesem Buch schon aus Amazing Stories und hatte es längst auf meine Suchliste gesetzt. Wer will auch nicht ein Buch lesen, wo im ersten Kapitel die Insel Manhattan mitsamt Millionen von Leuten, den Häusern inklusive World Trade Center und Empire State Building usw. von Aliens fein säuberlich herausgeschnitten und mitgenommen wird?
In einem superschnellen Anfang wird genau das beschrieben, aus der Sicht einer Reihe von verschiedenen Leuten, die zum Teil dabei sterben. Schnell hintereinander wechseln die Szenen, und man ist als Leser fast genauso überrascht und gelähmt wie die New Yorker, die das unglaubliche Geschehen mit ansehen müssen. Laserstrahlen, die von riesigen Raumschiffen ausgehen, schneiden die Insel und einen Kegel der unter ihr liegenden Erde heraus, andere Geräte schirmen sie mit einer durchsichtigen Kuppel ab und ein noch größeres Schiff hebt das alles hinauf ins All - wo ein Schiff von hundert Kilometern Länge wartet. Die Menschen begreifen bald, daß man sie im Inneren des Schiffes auf einer grauen Ebene abgestellt hat, zusammen mit einer Reihe anderer, deutlich nichtirdischer Städte unter Kuppeln. Ein Zoo?
Bald werden ihnen von den unsichtbar bleibenden Aliens Versorgungsleitungen zur Verfügung gestellt, aber sonst interessiert man sich anscheinend nicht für sie.
Der Hauptheld des Buches ist ein Oberst der Army, offenbar aus einem Spezialkommando, der zufällig in Manhattan weilt, als es passiert. Er ist Teil einer Gruppe von Menschen, die erfolgreich versuchen, die Situation in der gekidnapten Stadt unter Kontrolle zu bringen und ein Chaos zu verhindern. Die schwarze Bürgermeisterin und einige Wissenschaftler und Journalisten gehören ebenfalls zu diesen Leuten. Auf der anderen Seite steht vor allem ein religiöser Fanatiker, der glaubt, ein Zeichen Gottes gesehen zu haben. Dieser Mann versucht alles, um die Arbeit der anderen Gruppe zu behindern, da er meint, Gott wolle Passivität von den Leuten in der Stadt.
Die Handlung des Romans rankt sich nicht in erster Linie um die Konflikte und Auseinandersetzungen in der Stadt selbst. Nachdem die ersten Probleme dort gelöst sind, versucht man, Verbindung mit anderen Städten aufzunehmen, was aber nicht zum Erfolg führt. Also bricht man aus. In Manhattan gibt es natürlich genügend wissenschaftliches Gerät, um eine Methode zu finden, unterirdisch die Barriere zu durchstoßen. Da man annehmen muß, daß die Aliens ihre Gefangenen beobachten, gräbt man sich nach Maulwurfsart durch die graue, zähflüssige Masse weiter. Warum in den vielen anderen Städten kein Wesen die gleichen Mittel zur Verfügung hatte, wird nicht ganz klar, es ist auf der anderen Seite ein weiterer Pluspunkt für die Menschen New Yorks, die ihre Lage mit ungewöhnlicher Bravour meistern.
Matt Sheehan, der Oberst, und seine Gruppe machen sich auf die Suche nach den Hausherren. Nicht nur wissenschaftliche Neugier treibt sie an. In einer ersten Expedition in eine der Nachbarstädte haben sie erfahren, daß die Aliens anscheinend nach kurzer Zeit jeden Planeten vernichten, von dem sie eine Stadt stehlen. Das heißt, das Schicksal der Erde könnte von ihnen abhängen!
Nun folgt eine Wanderung durch das gigantische Raumschiff, bei der sie so manche Seltsamkeit zu Gesicht bekommen - und schließlich auch die Aliens selbst. Aber dann nimmt das Geschehen eine überraschende Wendung und die Spannung steigt noch. Es kommt zu einer recht unkonventionellen Raumschlacht mit einem anderen Schiff und schließlich...
Bis zum Schluß bleibt die Spannung bestehen, was geschehen wird, ob die Erde gerettet werden kann. Der Stil ist perfekt für diese Art kulminierende Handlung geeignet. In blitzartigen Schnitten wechselt immer wieder der Ort von Sheehans Gruppe zur Stadt und zurück. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit, den der Leser sehr gut nachvollziehen kann. Man sollte sich Zeit nehmen, um das zu lesen, denn aus der Hand legen kann man es nicht.
Das Buch ist aber nicht nur ein spannendes, aktionsreiches hardcore SF-Abenteuer, sondern auch eine Verbeugung vor New York und seinen Einwohnern, denen der Autor unterstellt, in so einer ungewöhnlichen Situation größtenteils besonnen und klug zu handeln, eben wie das Idealbild des wahren Amerikaners die Schwierigkeiten zu überwinden. Natürlich gibt es auch Gegenbeispiele wie den wahnsinnig gewordenen Mann, der zum Prediger einer gefährlichen Gruppe wird, seine bombenlegenden Helfershelfer oder ganz einfach plündernde Ganoven, die unter Kontrolle gebracht werden müssen. Aber diese Erscheinungen sind letztlich nicht wichtig, man geht zur Tagesordnung über.
Ein Buch, wie Science Fiction Bücher sein sollten: aufregend, abenteuerlich, mit einem großen Schuß Wissenschaft und interessanten Charakteren.
Stith ist bei uns kaum bekannt, aber bei weitem kein Neuling. Im Buch sind sieben weitere Romantitel aufgezählt. Dan Simmons will ihn gar unter die großen Autoren der hard SF zählen, wie Clarke, Niven, Asimov, Bear und Clement. Ich denke, es wird Zeit, daß wir auch hier etwas von ihm zu lesen bekommen.

SX 58


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

David Gerrold: Inmitten der Unendlichkeit

Jack McDevitt: Die Küsten der Vergangenheit

Piers Anthonys Xanth