John Saul: Bestien

John Saul: Bestien
(Heyne 01/8035)


Als Kind habe ich den Sportunterricht immer gehaßt. Deswegen allein ist das Geschehen in John Sauls Roman für mich bedrückend und grauenvoll. Das Buch handelt in einer amerikanischen Kleinstadt, die ganz von einem modernen Industrieunternehmen (Tarrentech) beherrscht wird, das sich dort unlängst angesiedelt hat. Und was das alles mit Sportunterricht zu tun hat? Auf den ersten hundert Seiten geht es vor allem um die Ängste eines fünfzehnjährigen, durch eine Krankheit körperlich etwas zurückgebliebenen Jungen, den sein überaus sportlicher Vater zwingen will, in die Footballmannschaft einzutreten. Football - für diejenigen, die das vielleicht nicht wissen - ist keineswegs Fußball, sondern das ist jener abartige sportliche Wettbewerb, in dem sich zwei Mannschaften im wahrsten Sinne des Wortes um den Ball prügeln dürfen. Und Football ist, so betont John Saul an mehreren Stellen seines Buches, für viele amerikanische Jungs die einzige Chance, ein Stipendium für das College zu bekommen. Für uns fast unvorstellbar, aber vielleicht erklärt dies die wahre Footballmanie, die man aus der amerikanischen Literatur und dem Film gelegentlich zu verspüren bekommt.
Anfangs scheint es, als sei dieses Unternehmen Tarrentech menschenfreundlich, modern, fortschrittlich, und geradezu altruistisch um die Menschen in dem kleinen Ort bemüht. Aber man ist als Leser ob dieser positiven Dinge sofort mißtrauisch, außerdem bin ich bei Alan Dean Foster in die Lehre gegangen, zu dessen Lieblingsthemen böse Industriegangster gehören.
Unternehmen sind skrupellos, grausam und profitsüchtig. Und genauso ist es natürlich auch mit Tarrentech. Diese noble Firma wählt nämlich ihre Angestellten, die sie an den Ort der Handlung, Silverdale, versetzt, nach einem ganz bestimmten Gesichtspunkt aus. Danach, daß deren Kinder einen, wenn auch meist unbedeutenden, körperlichen Fehler haben. Nach ein wenig Zeit schlagen dann höhere Angestellte der Firma den Eltern vor, die Kinder in einer sportmedizinischen Einrichtung, die selbstverständlich der Firma gehört, behandeln zu lassen. Und das fröhliche Experimentieren kann beginnen.
Eine ärgerliche, aber für die Verantwortlichen recht unbedeutende Nebenwirkung der experimentellen Behandlung ist es, daß sich einige der Jungen nach gewisser Zeit in affenähnliche, höchst aggressive Tiere verwandeln. Nicht viele, aber immerhin genug. Sie verschwinden in den Kellern der Klinik und die Eltern werden nach einer enormen Gehaltserhöhung versetzt.
Das ist für den Leser ziemlich früh zu erahnen, dann macht Saul auch kein Geheimnis daraus, was hier vorgeht. Damit weiß der Leser mehr als die handelnden Personen - was eine gewisse Spannung aufbaut.
"Bestien" (Creature) ist ein Horror-Roman, doch keiner der üblichen Sorte, wo der Horror durch gut verteilte Hektoliter Blut und diverse, genüßlich geschilderte Massaker erzeugt wird. Das Grauen entspringt hier ganz anderen Ängsten. Zum Beispiel der Angst, von den so allmächtigen Medizinern, denen man ja mehr oder weniger hilflos ausgeliefert ist, mißbraucht oder einfach bloß falsch behandelt zu werden. Das Mißtrauen gegenüber Firmen und bestimmten Produkten sitzt tief im Unterbewußtsein. Es wird ja eifrig geschürt, vor allem durch das Fernsehen. Und dann ist da noch das Mißtrauen oder auch schon die Angst vor Dingen, die man mangels Spezialkenntnis einfach nicht mehr versteht. Wie oft hat man nicht selbst schon etwas aus purer Unkenntnis zurückgewiesen?
Die Palette der Ängste, auf der Saul seine schwarzen Farben mischt, ist noch breiter. Da ist das Töpfchen mit der Angst, von anderen Leuten für verrückt erklärt zu werden. Und das mit der Angst vor dem eigenen Versagen, ob es nun im Sport ist oder im Beruf oder in der Ehe...
All dies kommt in "Bestien" vor und erzeugt Spannung und Grauen, ohne die oben zitierten Splattereffekte.
Der jugendliche Protagonist Mark Tanner wird natürlich gegen den Widerstand seiner Mutter in die besagte Klinik gebracht. Einerseits, weil sein Vater ein leitender Angestellter der Firma ist und den Vorschlag des Chefs schlecht zurückweisen kann, andererseits, weil der Vater sowieso von dem Gedanken wie besessen ist, daß sein schmächtiger Sohn Football spielen möge.
Klar schlägt die Behandlung mit Hormonen an - und fehl. Er beginnt sich zu verändern, und außer der Mutter und der Freundin will es keiner so richtig wahrhaben. Die Mutter ist hilflos gegenüber ihrem Mann, der alles als Spinnerei abtut, und das ist ein weiterer Angstschwerpunkt. Die Angst, von niemandem verstanden zu werden, die Angst vor sturer Borniertheit.
Wie das Verhältnis zwischen den verschiedenen Eheleuten und den Kindern beleuchtet wird, gibt einige Einblicke in die Gesellschaft des amerikanischen Spießers.
Am Ende des Buches kommt es zum Showdown, aber es ist kein Happyend. Das Thema ist wohl zu wirklichkeitsnah, um das zuzulassen. Ob man es nun Gentechik nennt oder neue Medikamente oder neue Behandlungsmethoden, es läuft auf ein und dieselbe Warnung hinaus. Die Warnung vor der Allmacht des Geldes, vor dem Mißbrauch der Forschung im Interesse des Profits und der menschenverachtenden Moral der heutigen Gesellschaft.
John Saul kann man wohl als Tip auf dem Sektor des intelligenten Horrors handeln. Mit über 400 Seiten ist das Buch mit 9.80 DM geradezu billig, nur das Titelbild von Peter Coene paßt überhaupt nicht zum Inhalt. Wieso kann man denn nur beim Verlag nicht mal etwas mehr darauf achten? Das verzerrte Gesicht eines Jungen in Footballkleidung hätte viel besser gepaßt.
Aber vielleicht stellt mich Herr Jeschke ja als Berater ein??? 

SX 29

 

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