John Saul: Die Wächter

John Saul: Die Wächter
(Heyne 01/9092)


Wer sind sie, die Wächter, und was bewachen sie? Niemand und nichts, denn es gibt in dem Buch gar keine Wächter. Lustig, nicht wahr? "Guardian", so der Originaltitel, hat zwar auch diese Bedeutung - wenngleich im Singular - doch hier ist etwas anderes gemeint, nämlich "Vormund". Wiedermal haarscharf vorbeigeschossen, lieber Titelautor.
Zu einem solchen Vormund wird Mary Anne ernannt, als ihre beste Freundin und deren Mann unter mysteriösen Umständen kurz nacheinander sterben und den dreizehnjährigen Joey allein zurücklassen auf ihrer Ranch irgendwo in den paradiesischen Bergen der USA. Mary Anne paßt das gut, da sie gerade Eheprobleme mit ihrem Gatten hat, und so reist sie mitsamt der dreizehnjährigen Tochter Alison und dem zehnjährigen Logan in die Berge.
Darauf wartet der Leser schon händchenreibend, denn er weiß, was noch keiner der gutbürgerlichen Protagonisten ahnt: Ein Wesen treibt sein Unwesen, ein Etwas ist schuld am Tod der beiden Elternteile. Dunkel schleicht es schon zu Anfang des Buches herum, aber wer oder was das ist, verrät Saul noch nicht. Ein wenig ökologischen Quark kippt er noch dazu, die üblichen bösen Grundstückspekulanten, die das letzte Stückchen Berge in wer weiß was verwandeln wollen - Skipisten glaube ich - und den hehren Helden Ted (der tote Vater), der sich kraft seiner Millionen (!) dagegen wehrt. Wahrscheinlich tat das der Autor nur, um den Leser zu verwirren, denn es spielt bis zum Schluß überhaupt keine Rolle mehr. Und wer denkt, die Grundstückhaie sind das Monster, denkt falsch.
Joey ist ein Knabe, der unter periodischen Anfällen von Komischsein leidet, jedenfalls leidet seine Umgebung. Wenn es ihn überkommt, muß er hinaus in den Wald, ist er unleidlich und regelrecht böse. Soll ja in diesem Alter nichts besonderes sein. Bei ihm ist es das aber, wie sich herausstellt. Normalerweise rennen amerikanische Eltern in einem solchen Fall gleich zum Psychoanalytiker, weiß man aus Büchern, hier ist der wohl zu weit entfernt. Die Ausnahme bestätigt allerdings die Regel, denn nebenbei wird einmal erwähnt, daß Joey "eine Therapie gemacht" habe.
Über die ersten hundert Seiten oder so zieht sich das Buch recht langweilig dahin, weil es da nur um die Probleme Mary Annes mit ihrem Mann geht. Ich glaube, Saul brauchte diese Konstruktion nur, damit der Mann später nicht am Ort des Geschehens sein konnte. Für die Handlung hat es sonst weiter keine Bedeutung.
Dann ist man endlich am Platze, und das fröhliche Gemetzel kann losgehen. Inmitten einer ziemlich unheimlichen Stimmungsschilderung und vagen Andeutungen über Joey und auch das ominöse Wesen entwickelt sich ein wenig Spannung, und wenn die nur darauf hinausläuft, wer denn als nächster aufgeschlitzt wird. Die Leute fallen mit wachsender Geschwindigkeit dem Monster zu Opfer, bis dann der Showdown da ist.
Der Leser identifiziert das Monster bald anhand der Andeutungen als eine Art Werwolf, wenn auch die Schilderung der Ereignisse oft ein wenig ungeschickt ist. So ist z.B. immer die Rede davon, daß er unüberwindlichen und ganz speziellen Hunger und Durst verspüre, aber nie, daß die Leichen angefressen oder ausgesaugt wurden. Woran stillt er nun sein Verlangen?
Das Umfeld, ein kleiner Ort in den Bergen, läßt auch Fragen offen. Trotz der Mordserie scheint sich die Polizei nicht sehr zu bemühen, sie aufzuklären; Hinweise, wie die Existenz von "Bergmenschen", werden gar nicht beachtet. Und als die Hüter des Gesetzes doch noch aufbrechen, dann nur, um die Zahl der Leichen zu erhöhen.
Unterlegt ist der Handlung eine Problematik der Eltern - Kind - Beziehung. Joey hat weder zu seinen Eltern, noch zu seinem Vormund Mary Anne ein besonders vertrauensvolles Verhältnis. Aber auch Mary Annes eigene Kinder sind schwierig, vor allem in Bezug auf die Trennung von ihrem Vater. Während Alison als Figur recht schwach bleibt, wird Logan als penetrantes, verzogenes Balg dargestellt. Wenn wundert es, wenn er dem Leichenberg hinzugefügt wird?
Genauso die Beziehungen Joeys zu seinen Mitschülern. Sie lehnen ihn ab, warum, wird nie richtig erklärt, wahrscheinlich, weil er "anders" ist. Und wieder ein Toter mehr.
Man metzelt sich also durch die Handlung und erlebt sogar noch eine kleine Überraschung, als die Identität des Werwolfes geklärt wird. Kein Fantasy-Werwolf, nein, die böse, böse amerikanische Regierung mit ihren ständigen Experimenten an Gefangenen ist schuld! Wer hätte das nur gedacht? Die Amis müssen ihr Government wirklich nicht so richtig mögen. Diese Sache ist so mit die einzige Besonderheit, die aber das mittelmäßige Buch auch nicht mehr herausreißt. Saul hat schon mal besser geschrieben.
Am Ende reisen die Überlebenden wieder ab und Joey tritt in die (sehr großen) Fußstapfen seines richtigen Vaters. Wer ist das wohl?

[Guardian, (c) John Saul 1993, übersetzt von Cornelia Haenchen 1994, 411 Seiten, DM 12.90]
 
SX 55


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