Karen Habers Mutanten-Zyklus

Karen Habers Mutanten-Zyklus
(Heyne Verlag 1994/95)


  • Die Zeit der Mutanten (mit Robert Silverberg)
  • Das Erwachen der Mutanten
  • Der Aufstand der Mutanten
  • Das Vermächtnis der Mutanten


Am Anfang (1973) war eine Story Robert Silverbergs. Dann kam ein schlauer Verleger namens Byron Preiss und überzeugte den Meister, daß man daraus doch einen Roman, nein, lieber gleich einen Zyklus machen könne. Und schreiben solle ihn die Frau des großen Bob. Und so geschah es dann auch.
Offensichtlich merkten aber alle Beteiligten, daß man in den 90er Jahren nicht einfach diesen leicht angestaubten Stoff der 70er neu auflegen kann. Mutanten aller Coleur wimmeln ja inzwischen regelrecht durch die Science Fiction. Also schrieb Robert Silverberg zu jedem Buch eine Einführung, in der er genau auf diesen Umstand hinweist. Ein erstaunlicher Trick! Indem man damit anfängt, zu sagen, daß man ja eigentlich nichts neues anbietet, rechtfertigt man genau dies.
Habers Mutanten sind in der Tat absolut konventionell für die SF. Es sind Telepathen und Telekineten. Unerkannt haben sie seit Jahrhunderten in einer Art Geheimgesellschaft unter uns gelebt und nun treten sie - so um die Jahrtausendwende - ans Licht, um ihre Bürgerrechte einzufordern. Um es noch einmal zu sagen: dieses Sujet ist uralt und zig-mal benutzt. Von Short Stories über Romane bis hin zu Zyklen - wie z.B. der Talente-Zyklus McCaffreys - wurde bereits alles über das Auftreten von PSI- oder ESP-Kräften bei Menschen und die Folgen geschrieben. Der "Esper", "Baldy", das "Talent" oder eben der Mutant ist das pure Sinnbild für den Fremden in unserer Mitte, für den etwas anders Seienden. Silverberg nennt ihn "eine der großen mythischen Gestalten der Science Fiction". Vielleicht ist das der Grund, weshalb man ihn immer wieder hervorholt.
Neben den Aliens ist der Mutant wohl die beste Möglichkeit, eines der Grundprobleme des menschlichen Zusammenlebens aufzugreifen. Man kann nicht leugnen, daß der Fremdenhaß - von leisem Argwohn bis hin zu nackter Aggression - der menschlichen Natur eigen zu sein scheint. Der innerlich zutiefst verunsicherte, in Angst vor einer möglicherweise feindlichen Umwelt lebende Mensch richtet sein Bestreben auf die Erkenntnis und Analyse dieser Welt; nicht aus reiner Forscherfreude, sondern in dem ängstlichen Bestreben, das Fremde unter Kontrolle zu bringen, es erfaßbar für seinen Geist zu machen. Die Reaktionen und Aktionen von Bekanntem lassen sich voraussagen - man kann sich sicher fühlen. Und nun kommt da ein Fremder, etwas Fremdes daher. Eine unbekannte Größe, die man nicht kennt, deren Bedrohung man nicht abschätzen kann. Der Affe in uns fletscht die Zähne, greift gar an.
Ob es nun eine andere Hautfarbe, Sprache oder Kultur ist - oder eine Mutation, es ist immer das Problem des Zusammenlebens mit dem Anderen, das steht. Bei den Mutanten wird die Situation noch dadurch überspitzt, daß sie den Normalen überlegen sind und ihre Bedrohung für diese dadurch um so größer.
Die SF hat sich des Themas vielfach angenommen und zeigte beide mögliche Entwicklungen: die blinde Aggression der (dummen, stumpfsinnigen?) Normalen gegen alles Andere und Neue, die wohl am logischsten und realistischsten scheint, und die letztendliche Eingliederung des Neuen in die menschliche Gesellschaft zum Nutzen dieser. Meist kombiniert man beides, indem man nach einer Zeit der Drangsalierung schließlich alles gut enden läßt. (Mc Caffrey spart sich allerdings die negativen Seiten, um nur darzustellen, wie es sein sollte.) In einigen Fällen endet es auch fatalistisch mit der Erkenntnis, daß die Menschen wohl nicht zur Akzeptanz von Anderen in ihrer Mitte fähig sind.
Die Mutanten Karen Habers sind also an die Öffentlichkeit gerückt, die Zeit der Pogrome liegt während der Romanhandlung schon zurück. Eine Mutantin ist gar Senatorin geworden. Ja, natürlich handelt das alles in den USA. Der Rest der Welt wird manchmal sogar erwähnt. Ein recht schwacher Zug der Romane. Ein weiterer Kritikpunkt war für mich die schöne Friede-Freude-Eierkuchen-Welt. Wie kann man in dieser Zeit Bücher über die nähere Zukunft schreiben, in denen mit der Umwelt alles stimmt, es keine Kriege gibt und Armut kaum erwähnenswert ist? Leider ging die Autorin im Rahmen ihrer Handlungsführung kaum auf andere Probleme als die der Mutanten ein.
Es gibt anfangs auch Neider und Gegner, die Senatorin wird natürlich umgebracht usw. Aber eigentlich haben die Protagonisten ihre wahren Schwierigkeiten miteinander. Beziehungskisten und Liebesverhältnisse, Eltern-Kind-Konflikte, Traditionalismus gegen junge (zornige?) Männer und all dieses Zeug. Das kann man auch in jedem Mainstream-Roman finden. Aufgelockert wird das schwerfällige Hin und Her von einigen Szenen mit langweiligem Sex.
Ich muß allerdings zugeben, daß ich mich nach den Anfangsschwierigkeiten im ersten Band für die Personen zu interessieren begann. Zwar zieht sich der Zyklus über Generationen, aber die Verbindung bleibt in einer Art Familiensaga trotzdem ausreichend eng, daß man wissen möchte, wie es weitergeht. Manchmal wirkten die neuen Probleme konstruiert, aber sie hielten die Handlung wenigstens soweit am Laufen, daß ich noch mitging.
Im ersten Band geht es hauptsächlich darum, daß der Mutant Michael die Nichtmutantin Kelly liebt, aber auf Geheiß des Mutantenrates nicht heiraten darf. Vor dem Hintergrund des politischen Geschehens rankt sich so alles um einige Einzelschicksale, um darzustellen, wie der Ausgangspunkt ist, als die Mutanten gerade erst anfangen, sich in die Gesellschaft zu intergrieren. Der Ausdruck "Die Zeit der Mutanten" bezieht sich darauf, daß "draußen" wohl passieren mag, was will, aber in der Gemeinschaft der Mutanten immer derselbe starre Konservatismus regiert.
Im zweiten Band taucht ein Mutant auf, der scheinbar der erwartete "Supermutant" ist, ein qualitativer Sprung in der Entwicklung. Er ist es jedoch nicht, aber dennoch gefährlich. Die Mutantengemeinschaft zeigt hier schon in ihrem Warten auf einen Messias deutlich religiöse Züge, denn die Erwartung eines Qualitätssprunges ist nach bloßen Jahrhunderten der Entwicklung eigentlich durch nichts gerechtfertigt.
Das dritte Buch handelt nicht etwa wirklich von einem "Aufstand der Mutanten". Das ist nur wieder so ein dummer deutscher Titel. Der Supermutant taucht nunmehr tatsächlich auf - obwohl ihn keiner so nennt. Fand ich unlogisch. Rick, der zuerst eine Nullbegabung ist, entwickelt sich plötzlich und ohne erkennbaren Anlaß zu einem Multitalent von großer Macht. Dadurch wird auch er gefährlich, aber auf andere Weise als sein Vorgänger.
Im vierten Teil kommt Rick aus der Wüstenverbannung wieder hervor, um Gutes für alle Menschen zu tun. (Heißt es nicht, daß auch Jesus eine gewisse Zeit in der Wüste verbrachte?) Rasch entwickelt sich um ihn ein Kult, der die etablierten Kirchen der Welt zu zerstören droht, was ziemlich vereinfacht erscheint. Die Handlung dreht sich um seinen Bruder Julian, der bei Ricks frühem Tod die Nachfolge des Propheten antreten muß. Am Ende steht nach vielen persönlichen Problemchen und Gewissensnöten dann doch noch die Große Vereinigung, das Verständnis zwischen Mutanten und Nichtmutanten, die gegenseitige Hilfe usw. Also die Botschaft des Zyklus.
Der vierte Band war für mich nicht nur wegen seiner pseudoreligiösen "Tiefgründigkeit" und des eifrigen Kolportierens christlicher Heilslehre der schwächste. Karen Haber änderte auch ihren Stil von der normalen Erzählform zur Ich-Erzählung in ständiger Rückblende. Das störte den Lesefluß zunächst etwas. Sie überspringt in der Handlung mehrfach viele Jahre, so daß eine Entwicklung der Personen sich als bloße und unerklärliche Änderung zeigt, die nicht nur Julian vor Rätsel stellt.
Natürlich bedarf es nicht unbedingt der Vorworte Silverbergs, um festzustellen, welche löblichen Ambitionen hinter dem Zyklus stehen. Er hat schon eine recht deutliche Botschaft zu übermitteln. Die Romane sind einigermaßen spannend geschrieben, besitzen auch einen gewissen Unterhaltungswert. Aber gute Vorsätze machen eben noch kein Spitzenbuch aus. Und so bleibt ein zwiespältiges Gefühl, mit dem man Karen Haber - deren SF-Karriere mit diesem Werk begann - nur alles Gute für eine Weiterentwicklung wünschen kann.
Zum Schluß noch ein dickes Lob für die Umschlaggestaltung. Die Bilder von Jim Burns sind wirklich hervorragend und passen sogar zum Inhalt.

[The Mutant Season, © Karen Haber 1989, deutsch 1994, 363 Seiten, DM 12.90, (5181)]
[The Mutant Prime, © 1990, deutsch 1994, 300 Seiten, DM 12.90, (5182)]
[Mutant Star, © 1992, deutsch 1995, 318 Seiten, DM 12.90, (5183)]
[Mutant Legacy, © 1992, deutsch 1995, 333 Seiten, DM 14.90, (5184)]
alle übersetzt von Rosemarie Hundertmarck
 
SX 64

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