Käthe Recheis: Der Weisse Wolf
Käthe
Recheis: Der Weisse Wolf
(Verlag Neues Leben Berlin 1990)
Obwohl der Held des Buches ein zwölfjähriger Junge ist, halte
ich es nicht für ein ausschließlich an diese Altersgruppe gerichtetes
Werk. In der Richtung einer Zielgruppe könnte man es mit Bachs "Glastropfenmaschine"
vergleichen, allerdings ist "Der Weiße Wolf" wesentlich besser gemacht.
Wer die Autorin eigentlich ist, konnte ich nicht feststellen, das Copyright
deutet aber auf Österreich hin. Der Hardcoverroman ist mit Schutzumschlag
und schönen Kapitelillustrationen von Stuart Matthews schon mal ansprechend
aufgemacht, und der Inhalt enttäuschte mich nicht. Nach 338 Seiten
an einem Abend hatte ich wieder ein neues, schönes Stück Fantasy
mehr gelesen.
Thomas, der Junge, fühlt sich von seiner (heutigen, diesseitigen)
Umgebung unverstanden und marschiert davon über die Wiese hinter dem
Haus in das Wäldchen. Er glaubt einen weißen Wolf zu sehen und
eine Stimme ihn rufen zu hören. Und schon ist er da - in der Fantasywelt!
Der Wald verwandelt sich ein paar Mal, bis Thomas in einer anderen Welt
steht. Es stellt sich heraus, daß in diesem typischen Fantasyland
(von Bergen und Verbotenem Fluß umschlossene Reiche) zwei gegenwärtig
verfeindete Völker leben: die Dunklen Menschen aus Din und die Hellen
aus Aran. Ein Mädchen der Dunklen, Onari, hat ihn mit einem uralten
Spruch herbeigerufen, weil geweissagt wurde, daß die Kinder dreier
Völker die Not beenden würden usw. Der Dritte im Bunde findet
sich rasch, natürlich muß es ein Junge aus Aran sein, der die
Bösen verlassen hat. Die Quest kann beginnen.
So geht es ins Verbotene Land, wo das Mitleid des Mädchens den
Schwarzen König erlöst, und zurück nach Aran, wo alle drei,
vor allem Thomas, unter Mitwirkung der Araner selbst den großen Showdown
herbeiführen und den Großen Gond stürzen, welcher sein
Volk für einen an sich guten Zweck einem strengen und grausamen Regime
unterworfen hatte. Ende gut, alles gut. Natürlich läuft das alles
nicht so schnell und glatt. Vielfältige Gefahren und Abenteuer sind
zu bestehen, welche die drei Kinder nur zusammen meistern können.
In die Unterwelt geht es, um den üblichen schleimigen Höhlenmonstern
einen Kampf zu liefern, schließlich in die mysteriösen Strahlenden
Felsen, wo sie den Weißen Wolf endlich persönlich treffen, der
die Inkarnation der Gottheit dieser Welt ist.
Aber sie begegnen auch anderen Wesen, wie etwa einem Irrlicht und den
pelzigen Narnis. Diese begleiten Thomas und seine Freunde und helfen ihnen
auch gelegentlich aus der Klemme.
Alles in allem, ein - übrigens sehr poetischer - Fantasyroman,
der in einer geradezu klassischen Weise geschrieben wurde: die Heldengruppe
mit den verschiedenen Eigenschaften, die Quest um die Rettung des Volkes
er Din, böse und gute Mächte hinter den Kulissen... Alles erlebt
aus dem Blickwinkel des Jungen, der aber nie zu kindlich wird. Gegen Ende
haben sich die Charaktere sogar zu fast Erwachsenen entwickelt.
Ein Umstand ist mir allerdings noch besonders aufgefallen, der einem
Fantasyliebhaber Spaß bereiten dürfte. Das gesamte Buch scheint
oberflächlich betrachtet eine Aneinanderreihung von Standardsituationen
anderer Fantasyromane zu sein. Ist es auch, aber gleichzeitig viel mehr.
Die Quellen werden derart gekonnt verwendet, daß alles zusammen wie
aus einem Stück wirkt. Man kann der Autorin die "Klassik" nicht übelnehmen,
ich habe mich immer gefreut, wenn ich erkannte, worauf sie nun wieder anzuspielen
schien. Hat sie es wirklich bewußt getan? Sind es Anspielungen, ironisch
manchmal sogar? Die Frage konnte ich mir noch nicht beantworten. Vieles
mag ich auch gar nicht bemerkt haben. Es geht los damit, daß der
Held Thomas heißt und sogar wie Thomas Covenant durch den Gesang
eines Mädchens in das Land (!) gebracht wird. Allerdings ist er nicht
krank und benimmt sich so vernünftig und aktionsbereit, wie der Zweifler
sich bescheuert und zaudernd benimmt. Es folgen Zitate und Anlehnungen
möglicherweise an Lewis' Narnia-Zyklus, wo der Gott ein Löwe
ist - warum heißen die kleinen Pelzwesen Narni? - auch "Die unendliche
Geschichte" hat deutliche Spuren hinterlassen. Na und der Schluß
klingt mir ganz nach "Zauberer von Oz", denn es war ein Mensch aus der
Welt von Thomas, der den Aran das Wissen gab, das sie nicht weise zu verwenden
imstande sind. Thomas enthüllt die Tricks mit dem Feuerwerk und der
Aufstand ist ausgelöst.
Wie die meisten derartigen Weltenwanderer kehrt Thomas am Ende gewachsen
zurück in seine Welt, um sich den Problemen dort zu stellen. Das ist
abzusehen, und ich hatte ein wenig Angst, die Autorin würde sich dieses
schöne Buch kaputtmachen, indem sie alles als Traum erscheinen läßt.
Aber nein, so ein dümmlicher Schluß, bei dem sich der Leser
hoppgenommen fühlt, kommt nicht. Der Junge wird von seinen Eltern
gerufen und folgt, wie er Onaris Ruf folgte. Alles ganz logisch, stimmig
und verständlich.
Und zum Schluß der Bonus: dieses Buch kostet nur 11.20 DM! Solange
der Vorrat reicht, möchte man da marktschreierisch rufen. Für
Fantasyfans und als Einsteigerlektüre für die jüngeren Leser
sehr zu empfehlen.
SX 14
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