Katherine E. Quenot: Weiß wie die Nacht
Katherine E. Quenot: Weiß wie die Nacht
(Heyne 01/9072)
"Man nennt sie bereits Frankreichs weiblichen Stephen King..." sagt
uns die Buchrückseite, von wo einen auch gleich das Gesicht der Autorin
düster-geheimnisvoll anschaut.
Tatsächlich ähnelt ihr Stil in manchem dem des Horror-Kings.
Andererseits ist auch eine eigene, eigenartige - vielleicht typisch französische
- Schreibweise unverkennbar. An King erinnert vor allem, daß sie
ihre bösen Geheimnisse nicht begründet oder auch nur am Ende
enträtselt. Wie in "es" ist das Böse einfach da und agiert, ohne
daß dem Leser eine Erklärung dafür geliefert wird. Überhaupt
drängt sich der Vergleich mit "es" irgendwie auf. Zwar gibt es keine
Kinder- bzw. Erwachsenengruppe, die gegen Es kämpft, aber ein Dorf,
eine finstere Macht aus den Tiefen der Erde und Bewohner des Dorfes, die
von ihr wissen und sich reichlich seltsam verhalten.
Das Geschehen findet in einem abgelegenen Dorf auf Korsika in unseren
Tagen statt. Eine Bauernfamilie, die gerade ihr Haus zu einer Pension ausgebaut
hat, empfängt die erste Gastfamilie aus Paris. Um dieses Personenensemble
rankt sich dann hauptsächlich die Handlung.
Was recht alltäglich beginnt, zeigt bald einige Seltsamkeiten,
die sich rasch verdichten und in einem recht verworrenen, mystischen Geschehen
am Ende gipfeln. Der achtjährige Sohn der Bauern, Nyx, ist besessen
- jedenfalls nennen es die ungebildeten Bauern so. Seine Besessenheit zeigt
sich darin, daß er sich praktisch nur rennend fortbewegt, und zwar
seit er überhaupt das Laufen lernte! Auch seine Geburt in einem abgelegenen,
leerstehenden Haus war von seltsamen Umständen überschattet,
wie man allerdings erst viel später erfährt. Die Kinder der Gäste
sind Zwillinge, die sich telepathisch miteinander (und auch mit Nyx und
seinem Bruder) verständigen können. Dieses SF-Element wirkt ein
wenig deplaciert, aber es ist notwendig für die Handlung.
Auch die Mutter der Zwillinge hat ein Mysterium - nämlich keine
Erinnerung an die Kindheit. Aus einem unerfindlichen Grund biegt sie auf
der Urlaubsreise von der Straße ab, und sie mieten sich für
ein paar Tage in dem Bauernhaus ein. Als alle schließlich das düstere
Haus besichtigen, in dem Nyx geboren wurde, gewinnt die Handlung an Geschwindigkeit.
Gegen Ende erwacht dann eine nicht näher bestimmte unterirdische Macht,
die manchmal mit der Erde selbst gleichgesetzt wird, und bringt Unheil
über das Dorf. So wie ich es verstand - und es ist nicht leicht zu
verstehen, was da eigentlich passiert - hält sich diese Macht Menschen
wie diese das Vieh, um aller Jubeljahre ihnen das Gehirn von Erinnerungen
leerzusaugen. Nyx spielt dabei eine Schlüsselrolle, er ist sozusagen
der eigentliche, personifizierte Sauger.
Auch eine alte Puppe taucht auf, die natürlich wieder einmal als
die Inkarnation des Bösen herhalten muß - ein wenig abgenutzt
ist die Idee ja schon.
Das Geschehen an sich ist wirklich mysteriös, auch recht spannend,
und an Horror und Ekel wird nicht gespart. Aber die Autorin läßt
für meinen Geschmack eine ganze Menge ungesagt, so daß man sich
nicht ganz zusammenreimen kann, was man nun von all dem halten soll. Das
Ende geschieht chaotisch und gedrängt, aber ohne daß überhaupt
eine Art Kampf ausgetragen würde, obwohl das Potential dafür
vorhanden ist. Es passiert eben und wird geschildert, das war es dann auch.
Daß die Kinder überleben und sogar der nette, kleine Nyx anscheinend
der bösen Macht entrinnt, ist ebenso unmotiviert und rätselhaft
wie das Verhalten einer Reihe anderer Dorfbewohner.
Ich konnte den Charakteren nicht viel Individuelles abgewinnen, sie
sind so gleichförmig und verwaschen, daß man fast nicht merkt,
wenn die Erzählposition wieder einmal abrupt wechselt - was auch nicht
gerade zum flüssigen Lesen beiträgt. Das Ende des Buches löst
eigentlich nichts auf. Man weiß nicht recht, ist die böse Macht
nun besiegt, oder hat sie sich im Gegenteil nur gesättigt zurückgezogen?
Hat Nyx ihren Einfluß bewußt verdrängt oder was? Mag sein,
daß andere Leser dies gerade gut finden werden: kein Ende, wie man
es gewohnt ist, bei dem das Böse unter Opfern besiegt oder verjagt
wird. Mich befriedigte es nicht.
Als weiblicher Stephen King Frankreichs (oh, dieser Einfallsreichtum!)
hat die Autorin sicher noch eine Menge zu lernen.
[Blanc Comme La Nuit, © Katherine E. Quenot 1991, übersetzt
von Helmut A. Groeger 1994, 254 Seiten, DM 9.90]
SX 53
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