Kevin O'Donnell: Der Tisser-Krieg

Kevin O'Donnell: Der Tisser-Krieg
(Heyne 06/5329)


Anfangs fand ich mich nur schwer in das Buch hinein: Zu viele Personen tauchten in kurzen Handlungsabschnitten auf, um schnell wieder zu verschwinden oder anderen Handlungsträgern Raum zu geben. Eigentlich blieb der Zustand bis zum Schluß so - es gab keinen Haupthelden, sondern ein paar Leute wechselten sich immer wieder ab. Doch schließlich gewöhnte ich mich an die Personen. Da war auch keine Zeit mehr, um groß zu grübeln, das Buch riß mich mit, und ich verlor mich in seiner harten und schnell ablaufenden Handlung.
Es ist entweder ein sehr amerikanisches Buch oder ein sehr unamerikanisches Buch - das kann ich nicht so recht entscheiden. Der Umstand, daß es von 1982 stammt, macht sich natürlich auch bemerkbar. Bestimmte politische Konstellationen sind einfach überholt.
Der Ausgangspunkt ist, daß es in den USA eine Untergrundbewegung von Anarchisten gibt, die aufgrund einer unerträglichen Verschlimmerung der Bürokratie entstanden ist. Diese Anarchisten, die man weder richtig links noch rechts einordnen kann, wollen einfach nur das System vernichten. Allein diese Darstellung ist sehr ungewöhnlich. Normalerweise wird ja das amerikanische Staatswesen oder die
westliche Demokratie an sich immer als etwas erstrebenswertes hingestellt - auch in der SF. Hier ist es nicht so. Die Anarchisten, die eigentlich gegen einen so mächtigen Staat keine Chance haben sollten, gewinnen aber einen Vorteil. Sie bringen sich in den Besitz eines Prototypes eines TSS Gerätes, Tisser genannt, um es nachzubauen. Der Tisser ist eine amerikanische Geheimwaffe, mit er man Dinge aus der Realität verschwinden lassen kann. Und zwar so gründlich, daß sich niemand mehr daran erinnert, daß diese Dinge überhaupt je existiert haben. Wie das Pentagon zum Beispiel.
Wie es sich für rechte Anarchos gehört, läuft die Sache wegen einer Undiszipliniertheit natürlich gründlich schief. Eine eigentlich noch gar nicht geplante Revolution bricht aus, deren Führer weggetisst werden, die Waffe kommt massiv zum Einsatz und durch das Fehlen von Häusern und Straßenteilen kommt es zum Zusammenbruch der Infrastruktur. Viele Menschen sterben und es läuft alles völlig außer Kontrolle.
In den USA herrscht nach kurzer Zeit das totale Chaos, Statt, Polizei und Armee wurden ja weggetisst und keiner auf der Welt erinnert sich noch daran, was einmal war. Es gibt nur noch Aufzeichnungen, die von der Wirkung des Tissers nicht betroffen werden.
Nach und nach scheinen aber die Rebellen zur Vernunft zu kommen und sich auf die alten amerikanischen Werte wie Freiheit und so zu besinnen. Man versucht den Wiederaufbau, als plötzlich der europäische Teil der US-Army mit Unterstützung der Russen landet, um das Land wieder unter eine Militärjunta zu zwingen. Noch einmal kommen die Tisser in großem Stil zur Anwendung.
Es gibt vieles, was man an diesem Roman einfach hinnehmen muß. Die Rebellenbewegung in den USA ist nicht gerade glaubwürdig, auch wenn die Staaten im Buch als ziemlich orwellianischer Staat gezeichnet werden. Dann kommt der einsame Erfinder daher, der den Tisser nebst theoretischem Hintergrund liefert, welcher auch prompt von den Rebellen den Militärs entwendet wird. Die Situation beim Zusammenbruch erinnerte mich an verschiedene Katastrophen- und Endzeitromane vor allem von Wyndham. Ist man naiv, wenn man glaubt, daß es nicht dazu kommen wird, daß sich alles in einer "Jeder ist sich selbst der Nächste"-Mentalität auflöst? Man kann nicht von Katastrophensituationen ausgehen, die tatsächlich schon stattfanden und sich immer wieder ereignen, denn dabei konnten die Menschen immer noch auf Hilfe von außen hoffen. Vielleicht würde sie die Hoffnungslosigkeit wirklich in die Barbarei treiben?
Akzeptiert man als Leser diese Voraussetzungen, so zeichnet der Autor hauptsächlich ein erschreckendes Bild sinnloser, zielloser Gewalt. Die "Revolutionäre" erscheinen fast als trotzige Kinder (teilweise sind sie es auch), die für ihre Spinnereien tausende Menschenleben opfern. Keiner weiß eigentlich noch, was los ist, aber es wird immer weiter gekämpft. Die Anarchie als Alternative zu einem Staat wird ad absurdum geführt, wobei nicht unbedingt die dargestellte überbürokratische Staatsform verteidigt wird. In einem gewissen Sinne ist der Roman auch eine Warnung, wozu das Unterdrückungs- und Ausbeutungssystem führen könnte: zu hilfloser Wut und Terror nämlich.
Was nach der Beruhigungsphase von den Rebellen und anderen Überlebenden aufgebaut wird, ist natürlich eine Art Klischee des dörflichen, friedlichen Lebens. Was sonst soll man auch als sichtbare Alternative zum urbanen Alltagsstreß bieten? Die Figuren verändern sich bis zu diesem Punkt sehr deutlich. Vom Terroristen und Anarcho werden einige zu verantwortungsbewußten Führern und Organisatoren, andere gehen den Weg vom Diener des Systems zum Beschützer der kleinen neuen Gemeinschaft.
Der Roman hat seinen Teil an Action und Schießerei zu bieten, aber auch etliche Gedankentiefe. Er ist zweifellos recht amerikanisch gefärbt, doch nicht zu aufdringlich. Und warum sollte das eigentlich nicht legitim sein für einen Amerikaner?
Schade ist nur, daß das Buch erst dreizehn Jahre nach seinem Erscheinen bei uns übersetzt wurde. Dadurch muß zwangsläufig einiges ziemlich überholt und blauäugig wirken, was in Bezug auf Europa, die NATO, die Russen und gewisse Waffentechnik gesagt wird. Doch das wird wohl vielen Büchern so gehen.

War of Omission, © by Kevin O'Donnell, Jr. 1982, übersetzt von Florian F. Marzin 1995, 365 Seiten, DM 14.90

SX 68

 

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