Kirk Mitchell: Die Römer
Heil
Caesar!
Die Römer Kirk Mitchells
Procurator, Bastei Lübbe 23085
Imperator, BL 23090
Liberator, BL 23103
Es ist eine Trilogie, kein richtiger Zyklus. Jedenfalls bis jetzt, denn
das Ende ist verdächtig offen. Man wird sehen. Andere Autoren haben
unmöglichere Enden dann doch fortgesetzt. Über Kirk Mitchell
war nirgends etwas zu finden - er wird doch nicht mit Margaret Mitchell
(Vom Winde verweht) verwandt sein? Wer weiß. Jedenfalls ist das sein
Debüt. Und für ein solches ist es geradezu ein Paukenschlag.
Die Handlung beginnt ein Jahr vor der Wende, wollte sagen 1988 nach
Christi Geburt. Wobei Christus eine besondere Rolle spielt, wenn auch nicht
die altbekannte. Pilatus hat in Mitchells Welt nämlich mal auf seine
Frau gehört und Barrabas ans Kreuz schlagen lassen. Und das
war der entscheidende Punkt der Geschichte. Jesus lebte bis ins hohe Alter
und starb irgendwo in Anatolien.
Die Folgen: kein Christentum, kein Untergang des römischen Reichs
- das Imperium regiert noch heute. Mag sein, daß das an dieser Stelle
etwas an den Haaren herbeigezogen klingt, aber zum Glück nennt Mitchell
durch seinen Helden, den späteren Imperator Germanicus Julius Agricola,
noch weitere kritische Punkte der Weltgeschichte. So hat zum Beispiel Rom
Frieden mit den Juden geschlossen, und Varus hat Arminius besiegt. (Übrigens
weil die Germanen bei der Schlacht zu besoffen waren...) Durch diese entscheidenden
Anderverläufe konnte es dazu kommen, daß Rom bis zum heutigen
Tag seine Herrschaft aufrechterhielt.
Germanicus ist der Römer schlechthin. Zunächst ein
herausragender, mutiger Feldherr, später Imperator der Riesenreiches.
Jedoch stellt er eher eine Ausnahme dar. Er ist umgeben von Dekadenz, Machtgier
und Mord, als wären nicht 2000 und mehr Jahre seit Cäsars Ermordung
vergangen. Unter dem Eindruck der Bürde der Herrschaft versucht er
seinen Lebenstraum zu verwirklichen, die Wiederherstellung der Ideale der
römischen Republik. Doch damit steht er fast auf verlorenem Posten.
Die Handlung der drei Bände folgt ihm von Beginn in Anatolien,
wo er sich mit religiösen Fanatikern, anscheinend die Variante der
Moslems in dieser Welt, auseinandersetzen muß. Rom vertritt das Prinzip
der Glaubensfreiheit, was die Moslems nicht so ganz akzeptieren. Nach Gefangenschaft
und philosophischer Erleuchtung, einem zufälligen Besuch im Grab Jesu
(der ist aber weg), wobei der Leser diese spezielle Story erfährt,
und einer blutigen Schlacht findet Germanicus in den Feinden überraschend
Verbündete. Am Ende des ersten Bandes wird er zum Imperator ausgerufen.
Im zweiten Band schifft er sich nach Amerika ein, wo das Atztekenreich
noch existiert - die Spanier hatten ja keine Gelegenheit, es zu vernichten.
Da die Atzteken in der Zwischenzeit zu ziemlich üblen Gesellen geworden
sind, die sowohl ihre indianischen Nachbarn als auch die römischen
neuen Provinzen bedrohen, kommt es zum Krieg. Nach anfänglichem Zögern
schlägt Germanicus die menschenopfernden Barbaren vernichtend. Im
dritten Teil riecht man den Braten, daß er die Republik wiederherstellen
will. Er muß fliehen und irrt einsam und gejagt durch die Lande,
bis er mit Hilfe der Anatolier und Juden wieder zu Legionen kommt und zurückschlägt.
Das war der Handlungsfaden, den ich nicht weiter ausspinnen will, denn
es lohnt sich wirklich, die Bücher selbst zu lesen. Stattdessen möchte
ich die Parallelwelt etwas näher betrachten.
Die römische Herrschaft bedeutete offensichtlich bis zu einem
Zeitpunkt wenige Jahre zuvor Stagnation. Sowohl gesellschaftlich als auch
wissenschaftlich-technisch ist die Welt lange auf dem Stand des ersten
Jahrhunderts geblieben. Nur zögernd macht sich im Jahrhundert der
Handlung unter Einfluß eines eigenartig wissenschaftsbegeisterten
römischen Kaisers der Fortschritt breit. Elektrizität, Erdölleitungen,
Eisenbahn, motorgetriebene Fahrzeuge und natürlich Waffen - vom Gewehr,
dem Flammenwerfer bis hin zu Artillerie und gepanzerten Fahrzeugen. Aber
es gibt noch Sklaven, was an sich ein Widerspruch ist, andererseits aber
wohl die zögerliche Entwicklung erklären könnte. Die Sklaverei
und die damit zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte machten in
unserer Realität den technologischen Fortschritt für lange Zeit
unnötig. Warum er bei Mitchell nun doch plötzlich und sogar sehr
massiv auftritt, wird mit ziemlich mystischen Zusammenhängen zu erklären
versucht. Das wird noch deutlicher, als im zweiten Band klar wird, daß
auch das chinesische Reich der Xing (Ching)-Dynastie sich erst jetzt auf
eine neue Stufe der Technologie begibt.
Mitchell beschränkt sich nicht darauf, eine Parallelwelt mit diesen
Zügen zu schildern, was schon phantastisch genug gewesen wäre.
Er führt auch ein übernatürliches Element ein. Einige Personen,
vor allem aus dem Lager der Barbaren, beherrschen eine Art telepathische
Methode zur Tötung von unliebsamen Leuten (wie Römern), das sogenannte
Ballen oder Hirnfeuer. Andere sind echte Wahrsager oder Propheten. Vor
allem im dritten Teil haben verschiedene Protagonisten Kontakt zu Erscheinungen,
die man als göttlich interpretieren könnte. Ohne evangelisierend
zu erscheinen, verpackt Mitchell trotzdem geschickt religiöse - christliche
- Gedanken in sein Werk. Während die Römer ihrem Pantheon unter
Jupiters Vorsitz anhängen, beten die Moslem ihren Einen Gott an, die
Juden ähnlich, die Germanen, die weitgehend romanisiert wurden, halten
an Donar, Wotan usw. fest. Manchmal erschien mir die spirituelle Seite
des Werkes etwas aufgesetzt oder überflüssig, die Parallelwelt
allein hätte es auch getan. Aber andererseits, warum nicht? Die meisten
Dinge, vielleicht außer das "Ballen", könnte man außerdem
mit ein wenig guten Willen immer noch rational deuten.
Manches bleibt allerdings mysteriös. So hat Germanicus mindestens
zweimal Visionen, die ihm Szenen aus unserer Welt zeigen. Eine stellt den
Vormarsch amerikanischer Soldaten im Italien des zweiten Weltkriegs dar,
die zweite die Vernichtung des Tempels des Herodes durch Römer. Was
diese Stellen bezwecken, außer Germanicus wie den Leser zu verwirren,
ist unklar.
Allerdings und zum Glück verzichtet der Autor darauf, in seiner
Welt Parallelpersonen auftreten zu lassen, was einem solchen Werk immer
einen etwas albernen Anstrich verleiht, etwa einen Helmutius Colus oder
so.
Die drei Bücher zeichnen sich durch eine dichte, aktionsreiche
Handlung aus. Der Hauptheld Germanicus ist ein interessanter, keineswegs
schablonenhafter Charakter, der von einer Reihe positiver und negativer
Figuren umgeben wird, die plausible Züge tragen. Das römische
Reich und das Leben in ihm werden anschaulich geschildert, wenn auch die
unveränderte Extrapolation über zwei Jahrtausende einige Bereitschaft
zum Mitgehen vom Leser voraussetzt. Doch ist man bereit, die Welt so zu
akzeptieren, kann man sich auf eine spannendes Leseabenteuer freuen, das
so schnell nicht losläßt.
[Procurator, 1984, dtsch. von Peter Robert 1988, 287 Seiten, DM 7.80; New Barbarians, 1986, dtsch. von Heiko Langhans 1989, 319 Seiten, DM 8.80; Cry Republic, 1989, dtsch. von Heiko Langhans 1990, 349 Seiten, DM 9.80]
SX 39
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