Larry Niven & Jerry Pournelle: The Gripping Hand

Larry Niven & Jerry Pournelle: The Gripping Hand
(dt.: Der Ring um das Auge Gottes)
(Pocket Books 1993 / Heyne 06/5180, 1994)


"Der Splitter im Auge Gottes" (The Mote in God's Eye) ist eins der Bücher, die man als SF-Fan einfach einmal gelesen haben muß. Man kann es zu den großen Werken des Genres rechnen, die unsere Vorstellung von der SF prägten. Entstanden ist das Buch 1974, und nun, nach beinahe zwanzig Jahren, erschien seine Fortsetzung. Sie scheint von Anfang an geplant gewesen zu sein, zumindest war das Ende recht offen geblieben, in einer Situation, die so nicht ewig andauern konnte.
Um mich auf "The Gripping Hand" richtig vorzubereiten, las ich "Splitter" nun noch einmal. Heute mutet einiges in diesem Buch vielleicht schon etwas seltsam an, obwohl andererseits auch gegenwärtig SF-Bücher geschrieben werden, in denen ein interstellares oder gar galaktisches Imperium vorkommt, von einem Kaiser regiert, komplett mit Adligen, Rittern und natürlich diversen Weltraumkriegen. Was ist es nur, das Imperien für SF-Autoren so anziehend macht? Sind das alles Monarchisten? Die Antwort liegt vermutlich im offensichtlichen Versagen der Demokratien westlicher Prägung - oder glaubt jemand, die wären in der Lage, die Welt vor dem Untergang zu bewahren? Wenn man nicht die Augen vor allem verschließt, muß man erkennen, daß es mit der Menschheit nicht mehr lange so laufen wird. Wahrscheinlich tauchen in den tausend Jahre und mehr entfernten Zukünften darum immer wieder gesellschaftliche Strukturen auf, die mittelalterlich erscheinen.
"Splitter" spielt also in einem solchen Reich, das sich dank gut entwickelter Raumfahrt mit Hyperraumsprungtechnik über die Sterne ausgebreitet hat. Es existiert nicht ohne Probleme, wie die vorangestellte Zeittafel mit ihren Ereignissen zeigt - die Handlung setzt auch kurz nach der Niederschlagung eines planetarischen Aufstandes ein. Dazu diente die kaiserliche (Weltraum-) Marine, welche auch sonst eine tragende Rolle im Roman spielt. In dieser Situation trifft man auf die erste andere intelligente Art im Universum, die Moties (bzw. Splits in der deutschen Fassung). Eine Expedition wird in deren Sonnensystem geschickt und bekommt auch sofort Kontakt. Im Laufe des ersten Buches wird nach und nach das schreckliche Geheimnis der Moties enthüllt: Bevölkerungsexplosion. Wenn sie sich nicht hemmungslos vermehren können, sterben sie qualvoll. Die einzige Regulierung geschieht durch Kriege, welche die Zivilisation immer wieder in die Barbarei zurückbomben. Das heißt aber auch, falls sie aus der Isolation ihres Systems entkommen können, werden sie sich über den Weltraum ausbreiten und bald zu einer Bedrohung für das Reich der Menschen werden.
Man beschließt, die Moties nicht auszurotten - wie edel! - sondern den einzigen Sprungpunkt zu blockieren, der aus dem System herausführt. Es ist allerdings abzusehen, daß dies keine Lösung auf Dauer sein kann.
"Splitter" ist tatsächlich ein gut erzähltes, spannendes Buch, das vor allem von der Darstellung der verschiedenen Aspekte der Motie-Zivilisation lebt. Die menschliche Seite der Handlung war für meinen Geschmack etwas zu militaristisch belastet. Ich fand eigentlich keinen Protagonisten, der mir wirklich gefiel. Diese Leute agierten eher hölzern und hatten geradezu unmoderne, manchmal recht puritanische Anschauungen. Frauen spielten in der total militarisierten Gesellschaft fast gar keine Rolle, dafür aber um so mehr adlige Offiziere, Lords und dergleichen, vor denen alle scheinbar in Ehrfurcht erschauderten. In tausend Jahren? fragte ich mich häufig. Dazu kam das paranoide Gehabe der Menschen, das letztlich ja auch zur Katastrophe führte. Wenn die Expedition mehr Vertrauen zu den Moties gehabt hätte, wäre das eine Raumschiff nicht vernichtet worden.
Man merkt also dem Buch seine zwanzig Jahre schon ein wenig an. Allerdings mag eine Menge davon auch auf die Autoren zurückgehen, besonders auf Pournelle, der, wie ich mir sagen ließ, wirklich ein ziemlicher Liebhaber des Militärischen ist. (Man lese nur seine Trilogie um "Die entführte Armee"!)
Was haben die beiden alten Herren der SF nun aus der Situation gemacht? Ich war gespannt, als ich "The Gripping Hand" zu lesen begann. Würde die Fortsetzung dem Vergleich standhalten?
Der Titel selbst bezieht sich auf die Dreiarmigkeit der Moties, die rechts zwei Arme und Hände zum Manipulieren und links eine starke Hand zum Greifen - und Kämpfen - haben. Bei manchen Menschen hat sich sogar schon eine Motie-Denkweise eingebürgert, bei der die greifende Hand in einer Redewendung eine bestimmte Rolle spielt. Leider läßt sich diese schlecht übersetzen, da sie dem "einerseits - andererseits" im Deutschen entspricht und dabei der Bezug auf Hände verlorengeht. (on the other hand = andererseits; but on the gripping hand = svw. aber drittens und wichtigstens)
Nach fünfundzwanzig Jahren Blockade haben die Moties nun einen Weg gefunden, auf dem sie ihr System verlassen könnten. Die Menschen dagegen glauben eine Methode gefunden zu haben, mit der man das Bevölkerungswachstum der Moties kontrollieren könnte, ohne daß dauernd Krieg herrschen muß. Einige Personen des ersten Teils brechen zusammen mit neuen Leuten auf, um zu verhindern, daß doch noch ein allumfassender interstellarer Krieg ausbricht. Der Handelsmagnat Bury, im ersten Teil als ziemlich zwielichtige und fiese Figur angelegt, wird nun ganz anders präsentiert, und er hört nicht auf, sich zu entwickeln. Das ist durchaus glaubwürdig begründet. Außerdem sind die Kinder Lord Blaines mit im Spiel, nun Offizier (natürlich!) und Wissenschaftlerin, eine "rasende" Reporterin und noch ein paar andere. Zumindest die Figurenbesetzung ist wesentlich vielschichtiger und damit auch interessanter als im ersten Teil.
Die Handlung entwickelt sich mit gewaltigem Tempo. Die Entdeckungen überschlagen sich plötzlich, und Bury samt Crew sehen sich gezwungen, ins Mote-System zurückzukehren. Dort ist nach dem Zusammenbruch der planetaren Zivilisation (der ständig in Zyklen geschieht) ein Konglomerat von Planetoidenbewohnern an der Macht. Es entbrennt ein wütender Kampf zwischen den einzelnen Gruppierungen um den Sprungpunkt, um die Allianz mit den Menschen usw. Alles wogt hin und her, und die paar schlecht ausgerüsteten Menschen sind immer irgendwo mittendrin. Das Ganze kulminiert in einer Raumschlacht, der man gerne Gigantismus vorwerfen kann. Hier hätten sich die Autoren wohl etwas zügeln müssen, denn es ist schon unglaubwürdig, daß sich die chronisch an Materialmangel leidenden Moties hunderte Schiffe besorgen konnten. Aber nichtsdestotrotz weiß man bis zum Ende nicht, wie das alles nun ausgehen wird.
Ich werde mich hüten, etwas mehr als dies zu verraten. Wenn alles klappt, kommt in diesem Monat ohnehin die deutsche Ausgabe auf den Markt. Hoffentlich ordentlich übersetzt! Was die Übersetzung des ersten Teils angeht (von Yoma Cap), so war ich beim Lesen des zweiten doch etwas überrascht, wieviel der Übersetzer offensichtlich geändert hatte, ohne daß dafür ein plausibler Grund erkennbar wurde. Zum Beispiel gibt es gar keinen "Großen Narren" (eine fast mythische Figur der Moties), sondern der heißt "Crazy Eddie". Nun muß man darauf hoffen, daß der neue Übersetzer sich wenigstens an die einmal eingeführten Begriffe hält, sonst kommt ein Leser ja ganz durcheinander.
"The Gripping Hand" ist natürlich ein deutlich moderneres Buch. Dabei sind die Autoren recht behutsam vorgegangen, haben nur dort technische Innovationen eingeführt, wo es ohne Widersprüche ging - z.B. bei der Computertechnik. Der erste Teil war allerdings in dieser Hinsicht durchaus nicht hinter dem Mond. Den gesellschaftlichen Hintergrund konnte man nun schlecht ändern, selbst wenn sie es gewollt hätten. Aber ich hatte den Eindruck, daß der zweite Teil nicht mehr ganz so vordergründig militärisch daherkommt. Die Protagonisten sind Händler (na ja, der ist auch gleich noch ein Geheimagent.), Forscher und Forscherinnen (!), eben viel zivilere Leute. Es geistert nicht mehr ständig die den Militärs scheinbar angeborene xenophobische Paranoia durch das Buch, die immer gleich mit der Vernichtung der anderen Rasse droht. Das Ziel der Handelnden ist zwar auch, die unkontrollierte Ausbreitung der Moties zu verhindern, man will ihnen aber auch ehrlich aus ihrem Teufelskreis heraushelfen. Die Bedrohung wird zu einer Bewährungsprobe für die Menschheit; nicht nur für deren Waffen, sondern auch für ihre moralische Reife.
Mit dem zweiten Band stellen die Autoren die vorher fast unangefochtene These in Frage, die behauptet, die Menschheit (oder was für eine Gruppe auch immer) habe das Recht, über die fremde Zivilisation der Moties zu urteilen und zu entscheiden. Eine Frage, die sehr wohl weiter zu fassen ist.
Das Buch stellt meiner Ansicht nach nicht nur eine Fortsetzung der Abenteuer zum Zwecke der Gewinnmaximierung dar, sondern bildet den konsequenten nächsten Schritt in einer Gesamthandlung. Es hat sich wirklich gelohnt, darauf zu warten. 

SX 56

 

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