Leonard Daventry: Das 21-milliardste Paradoxon

Leonard Daventry: Das 21-milliardste Paradoxon
(Heyne 06/4919)


Im Jahre 3000 ist die Erde natürlich der unvermeidliche Polizeistaat, den man aus ach so vielen post-doomsday-Filmen kennt. Es hat eine Atomkatastrophe gegeben und gleich noch eine Invasion außerirdischer Spirellinudeln oder so, jedenfalls ist alles ganz schön im Argen. Die Menschen werden unterdrückt, die Computer triumphieren und rechnen ihren Chefs immer neue Wunder der Technik aus. So zum Beispiel einen ominösen neuen Antrieb für die ohnehin schon ziemlich schnellen Raumschiffe. Vielleicht meinen die Computis, daß man den Erdenwürmern mal wieder was zu spielen geben sollte.
Die fangen auch gleich an damit und schicken eine Gruppe von Versuchskaninchen auf eine Weltraumreise mit dem neuen Antrieb. Daß es sich dabei um äußerst verschrobene Existenzen handelt, spielt keine Rolle, nicht für die Auftraggeber der Reise und nicht für den Sinn des Buches. Neben dem üblichen mad scientist, der tatsächlich total bescheuert ist, einer wahnsinnigen Lesbe, einem gescheiterten Raumschiffkapitän und noch ein paar Leuten werden auch noch einige gerade zum Tode verurteilte Verbrecher in den Kahn gestopft. Zwar sind das gar keine Verbrecher, sondern natürlich die Guten, aber das spielt auch keine Rolle.
Sie befreien sich auch so ungefähr in den ersten zehn Minuten der Reise und freunden sich mit der richtigen Besatzung an, die ja auch nicht so recht weiß, was das alles überhaupt soll. Das Schiff wird von der Erde leitstrahlgesteuert; es fliegt zwar mit absoluter Über-Super-Hyperlichtgeschwindigkeit, aber was solls. Seine Aufgabe ist nur, auf einer Ellipse schnell mal das Universum zu umrunden, oder anders gesagt, bis in eine Entfernung von 21 Milliarden Lichtjahren vorzustoßen und wieder zurückzukommen. Aha, dachte ich, als ich diese Zahl las, die wollen zum Urknall zurückfliegen. Kann ja interessant werden.
Wurde es aber nicht. Das Schiff verließ irgendwann den Bereich, in dem sich nach Ansicht des Autors die Sterne befinden und flog dann nur noch durch Schwärze, während aus nicht erklärten Gründen die Besatzung langsam dem Wahnsinn verfiel. Dann kehrte es um, ohne daß etwas geschehen wäre. Ein Geistesblitz eines der Leute bringt sie dann noch auf die Idee, den neuen Antrieb ein wenig zu stören, was dazu führt, daß sie nicht wieder in ihre häßliche Welt zurückkehren, sondern dreihundert Jahre eher, wo gerade Utopia an der Macht ist. Da hoffte ich dann noch einmal, einen Sinn in dem Ganzen erkennen zu können. Vielleicht würde ja der Polizeistaat von hinten aufgerollt werden? Aber wieder falsch gedacht. Die Altvorderen der Protagonisten haben nichts eiligeres zu tun, als ihnen das Gedächtnis zu löschen, um ihnen die Eingewöhnung zu erleichtern. Den direkten Vorschlag eines von ihnen, ihr Wissen zu benutzen, um die Geschichte zu verändern, ignorieren sie desinteressiert.
Es handelt sich nicht so sehr um eine "unglaubliche Odyssee einer bunten Schar von Typen zu den Grenzen des Universums", wie auf dem Cover zu lesen ist. Vielmehr erschien es mir als eine unglaublich langweilige Reise einer Gruppe von kranken Charakteren an die Grenzen meiner Geduld. Das Buch ist weder ganz eine Dystopie, noch ist es ein ernstzunehmender Roman der Raumfahrt-SF oder irgendetwas anderes. Es zerfällt in drei Teile, die alle etwas versprechen, was sie nicht halten.
Zuerst ist da die Handlung im Polizeistaat Erde - welch naive Vorstellung, die Erde könnte je einig sein, und sei es in der Gewalt der Unterdrückung - mit ihren revoluzzenden Studenten, bösen Gefängnisdirektoren und eiskalten Machthabern. Dann kommt die Weltraumhandlung im Raumschiff mit angedeuteten Konflikten und Beziehungen zwischen den Handlungsträgern, ohne daß der Raumflug an sich oder die Wissenschaft im Hintergrund irgendeine echte Rolle spielen. Und schließlich haben wir das Utopia, in dem die wohlwollenden Telepathen herrschen und das vor Zuckersüße nur so trieft.
Was soll das nun alles? Ich weiß es nicht. Nur eins weiß ich nun: warum ich das gerade erschienene Buch im second-hand-Angebot fand.
 
SX 36


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

David Gerrold: Inmitten der Unendlichkeit

Jack McDevitt: Die Küsten der Vergangenheit

Piers Anthonys Xanth