Lois McMaster Bujold: Die Quaddies von Cay Habitat

Lois McMaster Bujold: Die Quaddies von Cay Habitat
(Heyne 06/5243)


Entgegen einigen Ankündigungen handelt es sich bei dem Buch nicht um einen weiteren Roman aus dem Barrayar-Zyklus*, jedenfalls hat er mit den restlichen, unter dieser Bezeichnung laufenden, Werken McMaster Bujolds nichts zu tun. Allerdings spielt er im selben Kosmos - die Beta Kolonie und ihre ominösen Erzeugnisse werden erwähnt. Einmal mehr erinnerte mich das an die Technokratenwelt in Frank Herberts Universum. Zeitlich läßt sich die Handlung allerdings kaum in das übrige Geschehen einordnen.
Die Autorin mischt in ihrem neuen Buch - das eigentlich so neu gar nicht ist - althergebrachte Strukturen der Space Opera mit einer konsequent zu Ende gedachten Grundidee und einigen raumfahrttechnischen Überlegungen. Der Aufbau des Problems und der folgenden Handlung ist leider so schablonenhaft, daß es dem Buch einiges an Qualität nimmt.
Wieder einmal ist es nämlich der superböse, superskrupellose, supermächtige Superkonzern, der eine Gruppe armer Wesen ausbeutet und in ihrer bloßen unschuldigen Existenz bedroht. Es ist letztlich egal, wer die Ausgebeuteten sind, die Konstellation ist immer wieder gleich. Geht man bei den ersten fünf Büchern dieser Art noch mit und sagt sich, jawohl, Karl Marx hatte also doch recht: das Kapital geht für ein paar Prozent Profit über Leichen, so ödet es einen beim fünfzehnten oder fünfzigsten Buch nur noch an. Zumal man es im täglichen Leben viel deutlicher vorgeführt bekommt. Die Sache zieht so vordergründig dargestellt einfach nicht mehr.
Es geht in dieser Art weiter. Ein mutiger Einzelheld, hier geheißen Leo Graf von der Erde, kommt des Weges und stürzt sich in die Lösung des Problems. Die Ausgebeuteten haben anscheinend nur auf ihn (oder manchmal auch sie) gewartet und erheben sich dank der Führungsqualitäten des Helden zur siegreichen Revolution. Aha, Lenin hatte auch recht. Na sowas.
Das Ende läßt sich bei Romanen dieser Sorte wahlweise offen für Zyklen oder mehr geschlossen gestalten. Entweder die Bösewichter werden umgelegt, eingebuchtet, in den Konkurs getrieben oder den Steuerbehörden gemeldet. Für Fortsetzungen dürfen sie sich natürlich wieder aufrappeln, die Verluste beim Finanzamt geltend machen und weitere Untaten anrichten.
Die interessante Idee des Romans besteht darin, daß die "raffgierige Corporation" (O-Ton Klappentext) eintausend menschliche Mutanten extra für die Arbeit in der Schwerelosigkeit gezüchtet hat. Diese Wesen haben keine Beine, sondern ein zusätzliches Armpaar. Außerdem sind sie strahlungsresistent, werden nicht raumkrank und lassen sich wohl auch billig halten. Die Mutanten werden mehr oder weniger geheimgehalten, obwohl es anscheinend nicht verboten ist, so etwas "herzustellen". Wie sich herausstellt, sieht die Firma sie nicht als Arbeiter, sondern betrachtet sie als eine Art Gewebekultur, die bei Fehlschlagen des Versuches entsorgt werden kann. Und damit würde man sogar durchkommen, auch wenn der Held die Öffentlichkeit alarmierte. Diese würde vermutlich selbst "Tod den Mutanten" schreien. Diese Inhumanität der Gesellschaft wirkt allerdings aufgesetzt - es gibt keine anderen Hinweise, die sie belegen würden.
Genau eine solche Entsorgung steht den Quaddies bevor, da eine technische Neuerung von der Beta Kolonie sie plötzlich überflüssig gemacht hat. Es fehlt nicht die übliche Starbesetzung an Charakteren: der finstere, machtbesessene Karrierewiderling, die etwas dümmliche, systemkonforme Psychologin, der väterliche Schöpfer der Mutanten. und Mister Superheld Leo Graf. Dieser ist ein Schweißingenieur, der angeheuert wurde, um die Quaddies zu unterrichten. Was er hingegen macht, ist etwas ganz anderes. Er befreit sie in einer - natürlich - unblutigen Aktion und entfleucht hinein ins weite Universum, als er die Machenschaften des Bösen, den er ohnehin schon von früher her nicht leiden kann, nicht mehr erträgt.
Untersetzt wird das Spiel mit einer Reihe interessanter Darstellungen des Lebens in der Schwerelosigkeit, die durchaus überzeugend wirken, jedenfalls überzeugender als die Figuren. Unter den Quaddies gibt es leider nur drei Hauptcharaktere, von denen wiederum nur eine weibliche Quaddie namens Silver etwas Profil gewinnt. Selbstverständlich spinnt sich zwischen ihr und Graf etwas an, kein Klischee bleibt ungenutzt.
Das Buch ist an sich ein lobenswerter Vorsatz, geht es doch um die Rechte von Minderheiten und Ausgebeuteten. Es liest sich auch nicht gerade zähflüssig, man merkt der Autorin eine gewisse Routine an. Hier und da ist es auch spannend zu nennen. Aber andererseits fehlt ihm doch das gewisse Etwas. Zu viel Altbekanntes schüttet die wenigen Ideen zu.
Im Original heißt das Buch "Falling Free", was einerseits soviel heißt wie Schwerelosigkeit (Freier Fall), aber andererseits auch auf die völlige Lossagung Leo Grafs von der menschlichen Gesellschaft anspielt, als er die Quaddies rettet. Und selbst das ist mir am Ende zu schwach motiviert. Um alle Brücken hinter sich zu verbrennen, wie er es macht, wünschte ich mir dann doch eine Begründung mehr. Und wenn es eine schlimme Kindheit gewesen wäre.

[Falling Free, © Lois McMaster Bujold 1988, übersetzt von Michael Morgental 1995, 336 Seiten, DM 14.90]

* Da irrte ich damals. Das Buch spielt im selben Kosmos und später kommt man darauf zurück.

SX 61


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