Margaret Ball: No Earthly Sunne

Margaret Ball: No Earthly Sunne
(Baen Books 1994, $ 5.99, 343 Seiten)


Ein weiteres Buch von M. Ball, das ich vorstellen möchte, wenn ich dieses auch nicht uneingeschränkt empfehlen kann.
Wie schon in den beiden zuvor besprochenen, thematisiert die Autorin das Aufeinandertreffen zweier Welten - der modernen irdischen Gegenwart und einer anderen, magischen Realität. Hier handelt es sich allerdings nicht um eine echte andere Welt der "Magier und Drachen", sondern um eine andere Sphäre, die gelegentlich mit der irdischen Sphäre in Kontakt kommt. Jene andere ist die Realität der Elfen und Feen, wie sie in den irdischen - vor allem englischen - Sagen und Mythen beschrieben sind. Auch das ist keineswegs neu, besonders in der Urban Fantasy der Autoren und Autorinnen um Mercedes Lackey spielt die Möglichkeit einer geheimen parallelen Realität der Elfen neben der unseren eine große Rolle. Es ging Margaret Ball sicher auch nicht darum, ein neues Element in die (Urban?) Fantasy einzuführen. Sie benutzt das Instrumentarium - neben anderen Dingen -, um ihre eigene Geschichte zu erzählen.
Bei den anderen Dingen handelt es sich um die Musik des 16. Jahrhunderts. Auch das ist ein charakteristisches Merkmal der erwähnten Gruppe von AutorInnen. Die Barden und ihre Tradition werden oft in die Fantasy einbezogen. Mercedes Lackey selbst ist ja auch eine Musikerin, während Margaret Ball einen Hintergrund als Historikerin zu haben scheint.
Die vielschichtige Handlung, die zwischen dem Heute und dem Ende des 16. Jahrhunderts hin und her springt, rankt sich um folgendes:
Der (fiktive) englische Landedelmann Christopher "Kit" Arundel schrieb 1594 ein Stück (eine "masque"), die zur Mittsommernacht aufgeführt wurde. Erklärtes Ziel des Mannes war es, durch die Aufführung auf mystische Weise Kontakt zu höheren Sphären herzustellen, um - kurz ausgedrückt - in den Besitz des Wissens über das Universum zu gelangen. Jedoch öffnete er mit der Aufführung der "Feenkönigin" den Weg in die irdische Sphäre und wurde von ihr in ihr Reich entführt. Seine Verlobte Eleanor verlor darüber schließlich den Verstand.
1994 lebt die Computerprogrammiererin Ellen, die früher mittelalterliche Musik studierte, das aber aufgab, nachdem sie während des Singens eines Stückes einen Zusammenbruch erlitt. Natürlich war das ein Stück von Arundel. Sie wird von Träumen und Visionen heimgesucht, die den Leser schnell erkennen lassen, daß Eleanors Bewußtsein in ihr lebt.
Ein geheimnisvoller Fremder - ein Abgesandter der Feenkönigin - bringt Ellen und ihre Freundin dazu, nach England zu reisen, wo das bewußte Stück in der Mittsommernacht wiederaufgeführt werden soll. Was er nicht verrät - das soll nach dem Willen der Königin die Sphären für immer vereinen und die zeitlose Traumwelt der Elfen zur ständigen Realität werden lassen. Nicht weniger als das Ende der Welt also!
Doch Ellens Gesang bewirkt zunächst etwas ganz anderes. Kit Arundel taucht nach vierhundert Jahren wieder auf. Da Ellen Eleanor ist, lebt ihre Liebe zu ihm natürlich noch immer.
Sehr schön die Eindrücke der beiden Amerikanerinnen vom ländlichen England, das abseits der Großstädte als genauso vernieselt wie verschlafen geschildert wird. Man glaubt der Autorin, daß hier der Aberglauben herrschen mag, und daß das Feenreich manchmal nur einen Schritt weit entfernt ist.
Die Handlung läuft darauf hinaus, ob die Masque noch einmal aufgeführt wird und was dadurch am Ende geschieht. Daß das Feenreich auf Erden nicht gerade erstrebenswert ist, wird dem Leser deutlich genug vor Augen geführt. Auf der persönlichen Ebene geht es einfach darum, ob Ellen ihren Kit bekommt.
Soweit ein interessantes Buch mit Spannungsbögen und viel Liebe zum historischen Detail. Aber genau hier liegt auch ein Problem. Man muß als Leser einfach hinnehmen, daß ein offenbar gewöhnliches Musikstück des Mittelalters die Macht hat, magische Dinge zu tun. Das muß man natürlich immer, wenn die Musik in dieser Weise als Vehikel benutzt wird und dem Buch nicht gerade eine CD beiliegt. Doch der Methode an sich wird sehr wenig Aufmerksamkeit geschenkt; ähnlich wie in der SF, wo es eigentlich niemanden mehr interessiert, wie das Raumschiff funktioniert, das die Helden zu ihrem Bestimmungsort bringt. Schwierig wird der Text vor allem dadurch, daß M. Ball versucht, der mittelalterlichen Sprache eine gewisse Authentizität zu geben. Wollte man das Buch übersetzen, müßten die Leute in den Mittelalter-Passagen wie Menschen aus Luthers Zeiten reden und schreiben (ein Teil sind Tagebuchnotizen). Sollte der Roman je ins Deutsche übertragen werden, so hoffe ich, daß der Übersetzer sich hier solche Mühe gibt wie die Autorin selbst.
"No Earthly Sunne" im Original zu lesen, ist daher kein uneingeschränkter Spaß. Da die Handlung nicht gerade vor Action strotzt, muß man sich streckenweise ganz schön quälen. 

SX 74

 

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