Martin Cruz-Smith: Der Andere Sieger

Martin Cruz-Smith: Der Andere Sieger
(Heyne 01/8221)


Man muß ihn nicht kennen, den Mr. Cruz-Smith, jedenfalls nicht als SF&F Purist. Wem allerdings die Titel "Gorki Park" und "Polar Star" etwas sagen, der kennt auch den Autor des dünnen und billigen Buches, auf das mich eine Besprechung in einer Zeitung aufmerksam machte. Er ist ein Main Stream Autor, schreibt Thriller, die Weltbestseller werden. Wie so viele seiner Art, wendet er sich nun auch mal der Phantastik zu.
"Der Andere Sieger" wird sicher kein Weltbestseller werden. Aber lesen kann man das Buch als SF-Leser dennoch, vor allem, wenn man an den sogenannten "Alternativen Historien" interessiert ist. Denn um eine solche handelt es sich hier.
Die alte Grundfrage der SF, "Was wäre, wenn...?" wird in dieser Art Geschichten ja abgewandelt in "Was wäre (heute), wenn es damals anders gelaufen wäre?". Der Einfachheit halber beschränkt man sich meistens auf ein Schlüsselereignis, das dann eine mehr oder weniger plausible Andersentwicklung zur Folge hat.
Im vorliegenden Buch spekuliert der Autor darüber, was hätte geschehen können, wenn die Geschichte der Ausrottung der Indianer einen anderen Verlauf genommen hätte. Er beginnt mit der Schlacht, bei der General Custer und seine Soldaten den Tod fanden. In der Realität war das zwar ein Sieg der Indianer unter Sitting Bull, leitete aber doch das Ende ein. Bei Cruz-Smith passiert nun etwas anderes: Fast alle Indianerstämme Nordamerikas vereinigen sich, um gegen den Weißen Mann zu kämpfen. Über Kanada erhalten sie aus obskuren Quellen umfangreiche Lieferungen modernster Waffen - Winchestergewehre, Maschinengewehre und Artillerie. Der Mann im Hintergrund ist ein Indianer namens John Setter, der von Jesuiten erzogen worden ist, in Europa war und in Südamerika die Kunst der Kriegsführung studierte. Ihm und einem Propheten der Indianer gelingt es, die Stämme zu vereinigen und einen erfolgreichen Krieg gegen die amerikanische Armee zu führen.
In dessen Endergebnis sich die östlichen und die westlichen USA damit abfinden müssen, daß sich zwischen ihnen ein unabhängiger Staat der Indianer etabliert hat.
Heute besteht dieser Staat immer noch, wenn man ihn überhaupt einen Staat nennen kann. Denn die indianischen Stämme werden nur lose vom Rat der Häuptlinge "regiert", in sozialer Hinsicht haben sie sich ihre Lebensweise bewahrt. In wirtschaftlichen und militärischen Fragen sind sie jedoch ihren Nachbarn durchaus ebenbürtig. Sie verfügen über eine Air Force und gar die Atombombe, obwohl sie diese nie testen, weil das gegen ihre religiösen Anschauungen verstößt.
Abwechselnd erzählt der Autor in der Gegenwart und der Vergangenheit des Indianerkrieges. Im Heute ist ein indianischer Diplomat bemüht, den drohenden Kriegsausbruch mit den USA zu verhindern. In der Vergangenheit erlebt der Leser mehr oder weniger die Taten John Setters mit. Eigentlich kann man bei diesem "Handlungsstrang" von einer Handlung im Sinne einer Geschichte gar nicht sprechen. Es gibt keine regelrechten Protagonisten. Das Ganze ist wenig mehr als ein Kriegsbericht, der in kühler, distanzierter Manier das Geschehen beschreibt und logisch die Entwicklungen aufeinander folgen läßt.
Gehandelt wird in der heutigen Ebene, und zwar mit Anlehnungen zum Politthriller. Der Indianer muß schon illegal einreisen, und erst nachdem er auf einer Pressekonferenz seine diesbezügliche Absicht mitgeteilt hat, kann er mit dem Präsidenten sprechen. Die Beziehungen sind äußerst gespannt. Bei ihren Kriegsvorbereitungen geht es den Amerikanern um neues Land. Angeblich leiden sie in den ihnen verbliebenen Gebieten an Überbevölkerung.
Kurz vor dem Ende des Buches steigert sich alles noch einmal zu einem Moment, wo man glauben muß, der Ausbruch des Atomkrieges stehe unmittelbar bevor. Aber dann geht natürlich noch alles gut.
Der Roman ist für mich in Wirklichkeit gar keiner. Man kann dieses Buch höchstens als einen Entwurf betrachten, als ein kurzes Spiel mit den Möglichkeiten, das nicht einmal alle Konsequenzen berücksichtigt. Die Weltgeschichte wurde von der Existenz einer indianischen Nation überhaupt nicht beeinflußt. Alles lief wie gehabt. Und gerade das ist es doch, was einen Roman dieses Genres ausmachen sollte. Die Amerikaner sind genau dieselben wie heute, nur daß sie außer den bösen Kommunisten auch die andere Sorte Rote als ihre Erzfeinde ansehen. Ein Buch, das wirklich alle Auswirkungen bis ins Detail verfolgt, müßte viel umfangreicher sein. So bleibt nur die Tatsache, daß die Landschaft in Nordamerika etwas anders aussieht, und daß es da nun auch ein Volk gibt, das der Welt eine völlig andere Lebensweise vorlebt. Diese letzte, auf wenigen Seiten angedeutete Aussage ist vermutlich die wichtigste im ganzen Buch. Bildhaft wird sie widergespiegelt beim Treffen des Präsidenten und des Oberhäuptlings an der Grenze, wo man auf der einen Seite die Dunstglocke einer kleinen Industriestadt sieht, während sich auf der anderen das unberührte Grasland dehnt.
Das Buch behandelt somit nur einen Aspekt - die Spekulation, wie eine indianische Nation inmitten von Nordamerika hätte entstehen können und heute aussehen würde, wenn es sie denn gäbe. Es berücksichtigt keinerlei fernere Auswirkungen.
Als Gedankenspielerei ist das Buch nicht ohne eine zumindest nachdenklich machende Wirkung. Ein hübscher Entwurf, dessen Einzelheiten erkennen lassen, daß der Autor zumindest seine Hausaufgaben über amerikanische Geschichte gemacht hat. Als Nichtamerikaner fiel es mir daher auch ein wenig schwer, mich in dem Gewirr von Namen und Orten zurechtzufinden und die reale von der fiktiven Vergangenheit zu trennen.

[The Indians Won, 1988 von Martin Cruz-Smith, übersetzt von Michael Görden 1984 (was ja irgendwie nicht geht), 2. Aufl. 1993, 189 Seiten, DM 5,-] 

SX 47

 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

David Gerrold: Inmitten der Unendlichkeit

Jack McDevitt: Die Küsten der Vergangenheit

Piers Anthonys Xanth