Mercedes Lackey & Ellen Guon: Knight of Ghosts and Shadows

Mercedes Lackey & Ellen Guon: Knight of Ghosts and Shadows
(BAEN Fantasy 1990, 345 Seiten, $ 4.99)


Der eigentliche Grund für den Kauf dieses Buches war, daß ich bisher nur von einer Spielart der Fantasy gelesen hatte, die in den USA entstanden ist: den sogenannten urban faeries oder urban fantasies. Ich wollte endlich einmal wissen, was das ist. Außerdem kannte ich den Namen Mercedes Lackey (nein, das ist kein Auto) schon aus anderen Büchern, z.B. als Ko-Autorin von Anne McCaffrey.
Die "urban fantasies" sind nach dem, was ich vorher las, und dem Eindruck dieses Romans wohl solche Geschichten, die in unserer normalen Gegenwart der Großstädte handeln - deshalb urban - in denen aber schwere Fantasy-Geschütze aufgefahren werden. "Elfen in L.A." - das ist das Stichwort dieses Buches. Und der Klappentext fährt fort: "Es würde eine Menge erklären, nicht wahr?" Ich liebe diese Klappentexte.
Nun bin ich ein besonderer Fan von Anachronismen. Das war ein weiterer Kaufgrund. Elfen in L.A.? Das klang echt gut. Versprach intelligente Komik, Verwicklungen der dritten Art und all das Zeug. Der Zusammenprall einer magischen Welt und der unseren ist natürlich nichts, was auf die urban fantasies beschränkt wäre, sondern im Gegenteil schon eine recht alte Idee. Nichtsdestotrotz scheint die Idee immer noch etwas herzugeben, das man neu nennen kann.
Urban Fantasy - das ist keine Fantasy im eigentlichen Sinne, das ist Fantasy in der Realität, vor allem in Konfrontation mit der Realität. Dieser Gedanke bietet tatsächlich eine Unmenge Stoff. Denkt man ihn allerdings zu realistisch zu Ende, wird es leicht depressiv. Ist es etwa zu pessimistisch, wenn ich am Ende einer solchen Entwicklung Psychiater, Gefängnisse, Prozesse und Irrenanstalten sehe? Zum Glück streift das vorliegende Buch diesen allzu realistischen Aspekt nur, vielleicht ist das ja in den USA wirklich ein wenig anders. Kann man in Hollywood tatsächlich in beliebigem Outfit durch die Gegend rennen, ohne aufzufallen, hätte man inNew York als Alien keine Probleme, weil da eh nur Irre wohnen, und war "Zurück in die Gegenwart" der Enterprise purer Realismus? Möglich.
Die Idee der urban fantasy erscheint mir als sehr reizvoll. Sie birgt ein enormes Potential, nicht nur für traditionelle Fantasy-Handlungen, sondern auch für einen neuen Weg, das Hier und Jetzt dem Was Wäre Wenn gegenüberzustellen, der althergebrachten Aufgabe der SF&F.
Das Buch von Lackey und Guon war da für mich vermutlich nicht gerade der beste Einstieg. "Ritter der Geister und Schatten" ist ein sehr eigenwillig geschriebener Roman, der sich ziemlich zäh las - aber das ist mein subjektiver Eindruck, vielleicht war ich nur nicht in der richtigen Stimmung.
Mein erstes Problem war, das ca. 50% (und das ist nicht übertrieben) des Textes kursiv geschrieben sind, was bedeutet, daß es Gedanken der gerade mal denkenden Personen sind. Praktisch sieht das so aus, daß man auf jeder Seite, ja, in jedem zweiten Absatz Gedanken findet. Bekanntlich handelt es sich in Gedanken schlecht, und so bewegte sich auch die Action auf niedrigem Niveau. Die Denkprodukte der Protagonisten waren auch nicht unbedingt immer das, was ich als besonders tiefsinnig ansehen würde.
Mein zweites Problem mit dem Stoff entstand daraus, daß ich es partout nicht mag, wenn der Held des Romans ein infantiler Volltrottel ist. So etwas nennt man wohl einen Antihelden, ok. dann mag ich eben keinen Antihelden, wenn er nicht gerade witzig ist. Ich habe ganze Zyklen nicht gelesen, weil ich es nicht ertragen konnte, wie dämlich sich die Typen anstellten, mit denen ich mich als Leser identifizieren sollte. Das ist es, was meiner Meinung nach die Autoren vergessen, daß sich der Leser mehr oder weniger in die Position des Helden versetzt, daß die Erzählposition gleichzeitig die Erlebnisposition ausmacht. Neben der Selbstidentifikation (die übrigens unabhängig davon funktioniert, ob eine Ich-Erzählung verwendet wird) spielt für den Leser m.E. auch eine Rolle, wie oft und wie deutlich sichtbar diese Position wechselt.
Worum es in dem Buch geht? Um Elfen in L.A. natürlich. Und das war so: Vor Kolumbus noch entdeckten die in ihrer europäischen (keltisch-irischen) Heimat arg bedrängten Elfen Amerika und wanderten an dessen Westküste aus. Offen bleiben bei dieser Begründung mindestens eine Million Fragen, aber lassen wir das. Anscheinend stammen die spitzohrigen Typen sowieso aus einer Welt "hinter dem Schleier", der unser Universum von dem anderen trennt. Die Menschen kamen aber schneller als gedacht mit ihrem "kalten Eisen" und bedrängten die Elfen weiter. Nun, heute, lebt eine Elfengemeinde in L.A. gerade noch so, fast alle versunken im Stadium des Träumens. Das stellt sich so dar, daß sie als stupide Konsumenten in Einkaufszentren (den amerikanischen shopping malls) existieren. Wenn sie Coca Cola trinken, werden sie abhängig und verfallen dem Träumen. Ist da wer von Pepsi gesponsert? Natürlich nicht.
Ein Oberböser, ein verstoßener Elf, will aber dennoch die Macht. Er träumt komischerweise nicht vor sich hin, sondern ist sehr aktiv. Er plant, mit Hilfe jetztzeitlicher Konzernmagie - sprich dem alltäglichen Kapitalismus - den Konzentrationspunkt der Magie (von hinter dem Vorhang) zu zerstören. Dadurch würde aber nicht nur die ansässige Elfengruppe ausgelöscht, sondern auch die Kreativität von Hollywood (und damit meine ich MGM und Co.!). Was wäre das für ein Verlust für die Menschheit!
Der Volltrottel des Buches, verzeihung, der Hauptheld, ist der Musiker Eric. Dieser Mann ist eine Art Aussteiger. Ein begnadeter Flötenspieler, zieht er es vor, für seinen Lebensunterhalt an Straßenecken zu spielen. Man kann nicht gut seinen Charakter in drei Worten beschreiben - darin hat das Buch (für mich) wirklich Pionierarbeit geleistet - aber auf ein Wort gebracht, ist er ein Verlierer. Ein labiler Typ, läßt sich treiben und macht, was ihm gerade einfällt. [Wer meint, das sei das ideale Leben, ist total bescheuert hat es noch nicht versucht.] Ich wurde in diesem Buch zum ersten Mal mit der Idee konfrontiert, daß Leute, die ich z.B. in London an jeder Straßenecke sah, nicht nur für ihr nacktes Leben Musik spielen, sondern auch für ihre Miete, Sozialversicherung, Rente, die nächsten Paar Jeans oder eine neue Fender. Es war erleuchtend.
Eric ist nicht nur ein superguter Flötist, sondern ein Barde. Das heißt, die armen Elfen sind ganz allein auf ihn angewiesen, da sie der schöpferischen Magie nicht mächtig sind. Ein Barde (ob nun Musiker oder - wie im Buch - auch ein Trickfilmanimateur) und Mensch ist ihr also mächtig, und das ist sein Problem.
Der Oberböse möchte gern den Nexus, den magischen Fokus, für sich haben. Die Elfen würden gern (wenn sie sich das wünschen könnten) aus ihrem Traum aufwachen und den Nexus neu fokussieren. Eric möchte gern . das weiß er selber nicht. Ist eben ein Trottel.
Was mich am meisten störte, war Eric. Im ersten Drittel des Buches denkt (hauptsächlicher Handlungsträger ist ja das Denken) er pausenlos darüber nach, warum ihn seine gegenwärtige Frau gerade verlassen hat. Dabei ist das völlig klar - er ist ein absolut weltfremder Idiot. Die kursiven Gedankengänge tragen nichts zu seiner Persönlichkeitsentwicklung bei.
Zu eindeutig sind hier die Hinweise, die Beschreibungen, Eric bleibt bei allen Versuchen der fortschreitenden Handlung ein Papierkrieger, ein blasser Schatten. Er hat nicht die Gelegenheit, ein eigenes Profil zu entwickeln.
Erst im Finale, das fast schon traditionell eine Schlacht der Guten gegen den Bösen wird, kommt es zum Ausspielen aller Stärken der Charaktere. Die Musiker um Eric schaffen einen neuen Nexus (ohne daß sie als Personen im einzelnen Bedeutung erlangen), der Böse wird besiegt, die unglücklich Liebende in einen liebesunfähigen Zustand versetzt. Alles sehr hübsch, sehr glatt. Für mich dann doch ein wenig platt.
Was die beiden Autorinen anschnitten, war sicher ein sehr brisantes Thema, aber es wurde in vielfältiger Weise nicht weiterverarbeitet. Das manchmal schon an Blödheit grenzende Gedankengelaber Erics und seine bei vollem Bewußtsein ausgeführten noch größeren Torheiten entziehen sich meinem Verständnis. Und sobald ein Charakter nicht mehr nachvollziehbar wird, ist er literarisch unsinnig.
Ich glaube, daß in diesem Buch ein wesentliches Potential der urban fantasies verschenkt wurde: die Wirklichkeit einer (besseren oder schlechteren) Fantasy gegenüberzustellen. Wie es auch ausgegangen wäre, der Konflikt allein hätte den inneren Konflikt unseres Denkens widergespiegelt. So wurde es nur ein Handeln relativ moderner Figuren in einem altmodischen Kontext, aber historischem Setting. Irgendwie war es das nicht.
Aber das ist ja nur ein einziges Buch aus einem ganzen Subgenre.
  

SX 55

 

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