Nigel D. Findley: Der Einzelgänger

Nigel D. Findley: Der Einzelgänger
(Heyne 06/5305)


Und wieder tobt der Kampf zwischen Helden und Bösen in den Straßen von Seattle des Jahres 2054 oder so. Blut und Magie wüten in ihnen, verheißt der Klappentext der Originalausgabe. Ganz so schlimm wird es dann doch nicht - es gab schon wesentlich blutigere Shadowruns.
Findley ist ein Autor, der sein Handwerk versteht. Das Buch hat alles, was man von dieser Serie erwartet: Eine spannende Handlung, ein wenig Mysterium, interessante Charaktere - und wiederum einen ganz neuen Gesichtspunkt. Außerdem ist es in einer Sprache geschrieben, die überzeugend echt wirkt, gelegentlich mit Wortspielen und Humor durchsetzt, so daß man nur den Hut ziehen kann.
Der neuartige Blickwinkel auf die Welt des Shadowruns kommt diesmal von der Seite der Cops. Lone Star ist die private Polizeiorganisation, die in Seattle und anderen Metroplexen die Wahrung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit übernommen hat - soweit das überhaupt geht. Alles, was Lone Star vermag, ist jedoch die Aufrechterhaltung eines gewissen Gleichgewichtes, so daß die Städte nicht vollkommen in Anarchie versinken. Wenn man Shadowrun kennt, fragt man sich allerdings, wie es noch anarchischer werden könnte.
Rick Larson ist ein Undercover-Agent des Lone Star, der sich tief in die Struktur einer Straßengang, der Curters, eingeschleust hat. Er glaubt an die hehren Ideale von Recht und Gesetz, und daran, daß seine Arbeit nützlich ist. Die Polizei verkörpert für ihn das Gute, an das er glaubt. Für Shadowrunner hat er daher nur Verachtung übrig, weil sie sich seiner Ansicht nach an gar keine Spielregeln halten und einfach amoralisch sind.
Wer dies liest, wird ahnen, was kommen muß: Larsons ganze Welt wird abrupt aut den Kopf gestellt, und er muß ein paar bittere Wahrheiten über das erfahren 'was wir lachend Realität nennen'. Plötzlich fliegt sein Cover auf und er wird von der Gang gejagt. Aber auch Lone Star ist nicht besonders bereitwillig, ihn wieder hereinzuholen. Larson muß erkennen, daß seine Arbeitgeber unterwandert sind und ihn viel lieber tot sehen wollen. Seine einzige Chance liegt darin, die Verbindungen der Gang mit den Elfen und dem Star herauszufinden. Dazu braucht er allerdings die Shadowrunner.
Für den Leser und Fan ist die Welt dagegen wieder in Ordnung. Die Leute in den Schatten sind die Guten, die von der ausbeuterischen Super-Industriegesellschaft an den Rand gedrängt wurden, bis sie anfingen sich zu wehren. Freilich gilt für sie kein Gesetz dieser Welt, sie leben nach ihren eigenen. Eigentlich verkörpern sie die ultimate Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen, ein amerikanisches Ideal der Freiheit, wenn man so will. Natürlich gibt es auch unter den Shadowrunnern Finsterlinge, aber in der Regel finden wir die positiven Figuren in ihren Reihen.
Rick Larson - später bekommt er aus einleuchtendem Grund den Spitznamen "Wolf" - begreift schließlich auch, daß der Lone Star eine Corporation wie jede andere ist. Von Idealismus der Polizeiarbeit gibt es 2054 nichts mehr zu spüren. Und als solche arbeitet er mit genau denselben schmutzigen Tricks und Mitteln wie alle anderen. Zwar wird es am Ende nicht ausdrücklich gesagt, aber man kann vermuten, daß Larson den Star verläßt und zu seinen neuen Freunden in die Schatten geht. Aber vielleicht auch nicht?

[Lone Wolf. © Nigel D. Findley 1994, übersetzt von Christian Jentzsch 1995, 429 Seiten. DM 14.90]

SX 62


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