Nigel Findley: Schattenspiele
Nigel Findley: Schattenspiele
Da hätten wir also den dritten gerade aktuellen Band der Shadowrun-Serie.
"Schattenspiele" klingt nicht sonderlich originell als Titel - der Zyklus
hatte da ja schon ganz andere Einfälle zu bieten, insbesondere Nigel
Findley, dessen erster Beitrag zum Thema "2 X S" hieß, was eine Cyberdroge
war und "bis zum Exzeß" bedeutete. Aber andererseits, wie hätte
man das Buch sonst nennen können? Vielleicht "Laß ab von Konzernen",
eine müßige Warnung an jeden Shadowrunner.
Ein Runner, der kurz darauf gegeekt (getötet) wird, spielt der
Deckerin Sly eine Datei zu, von der er nicht weiß, was sie enthält,
die aber enorm wichtig zu sein scheint. Sly, die eine Hauptperson, ist
dem aufmerksamen Leser als Nebenrolle aus irgendeinem der früheren
Bücher bekannt. Man müßte alle kurz hintereinander lesen,
um genau mitzukriegen, wer wo eine Rolle spielte und wie alles verflochten
ist. Aber es ist nicht so, daß Vorkenntnisse erforderlich wären.
Die Datei enthält ein Ultrageheimnis, Forschungsergebnisse darüber,
wie man Glasfaserkabel abhören und die Daten darin auch noch manipulieren
kann. Es stellt sich bald heraus, daß diese Datei nichts weniger
als den Weltfrieden bedroht. Die Megakonzerne der Shadowrun-Welt wollen
sie natürlich haben. Eine Jagd auf Sly, die anfangs gar nicht weiß,
worum es da eigentlich geht, setzt ein.
Die zweite Hauptfigur ist ein amerindianischer Junge, der die Anlagen
zum Schamanen in sich spürt. Falcon begegnet eines Nachts einem Shadowrunner,
der gerade an einer Aktion beteiligt war, dieselben geheimen Daten zu klauen.
Durch ihn wird Falcon in die Sache verwickelt. Er übernimmt - als
sein Freund umkommt - dessen edle Gesinnung und beabsichtigt, die Welt
vor einem Konzernkrieg zu retten. Zwangsläufig stößt er
irgendwann auf Sly, die ja die Daten besitzt.
Die Handlung rollt weiter ab, Flucht, Gefangenschaft und Kämpfe
wechseln in schnellem Tempo, fast nebenbei findet Falcon den Weg zum Schamanentum,
und schließlich gelingt es Sly, die Daten öffentlich zu machen,
so daß die Katastrophe (ein nuklearer Schlagabtausch wird so im Vorübergehen
in Erwägung gezogen) doch noch verhindert wird.
Einerseits ist das alles ziemlich geradlinig, wenn auch sehr spannend
beschrieben. Problempersonen gehen über kurz oder lang drauf, allerdings
auch einige der "Guten". Es besteht eigentlich kein Zweifel daran, daß
es Sly schließlich schaffen wird.
Andererseits zeichnet sich das Buch durch eine Fülle von Details
aus, welche das Geschehen anreichern. Da ist der ehemalige Runner, der
Autos sammelt - zufällig welche, die heutzutage den letzten Schrei
darstellen. Und natürlich fahren die Helden mit so einem Superschlitten
dann auch davon. Oder die plausiblen Darlegungen über das komplexe
Wirtschaftsgefüge der Zukunft, das gerade in diesem Buch eine wichtige
Rolle spielt, da es zu zerbrechen droht. Oder Landschaftsbeschreibungen
der Gegend um Seattle, wie sie sich der Autor in der Zeit der Handlung
vorstellt. Man merkt, daß Findley genau weiß, wovon er schreibt.
Da ich John Cramers "Twistor" übersetzte, das im Seattle der heutigen
Zeit spielt und sich ebenfalls durch geographischen Detailreichtum auszeichnet,
habe ich vieles "wiedererkannt".
Es geht ziemlich hart zu im Jahre 2053, die Shadowrun-Serie ist damit
etwas für Actionfreunde. Gerade in diesem Buch gibt es diverse blutige
Gefechte, und auch die Liebe zum Detail in Bezug auf Waffentechnik kommt
durch - sie mag vom Battletech-Zyklus abgefärbt haben, mit dem die
FASA solchen Erfolg hatte. Außer der üblichen Botschaft jedes
"Endzeitromans" oder -films: "Es könnte alles viel schlimmer sein."
bringt diese Welt natürlich auch ihre eigene eskapistische Faszination
mit sich. Trotz der unglaublichen Härte des Lebens in den Schatten
mag mancher, der im Hier und Heute unbefriedigt dahintrottet, sich in diese
Welt wünschen. Ich fürchte, ein Shadowrunner könnte eine
gute Identifikationsfigur abgeben. Denn solch eine(r) findet schließlich
immer eine Lösung für seine Probleme. Auch wenn sie AK 97 oder
Sturmgewehr heißt.
SX 45
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