Pawel Bagrjak: Kidnapped für den Mars
Pawel Bagrjak: Kidnapped für den Mars
Vorbemerkung
NL is back - nun ja, nicht gerade mit einem Paukenschlag, aber doch mit einem Konzept, das Überlebenschancen hat, falls der Geldbeutel der Leser es zuläßt. NL, also der Verlag Neues Leben Berlin GmbH, steigt mit einer Reihe "NL-Taschenbuch" wieder in den Markt ein, die auf den drei Schienen Abenteuer, Krimi und SF laufen soll. Im klassischen TB-Format, mit ansprechender Aufmachung - naturalistische Coverbilder (alle Stephan Köhler?), gut durchdachte Logos - allerdings auch mit Preisen, wie man sie von Heyne kennt und fürchtet. Im Angebot Frühjahr '91 ist neben dem hier zu besprechenden Roman "Kidnapped..." als SF allerdings nur K. Steinmüllers "Die letzten Tage auf der Venus" vertreten. Ja, richtig gelesen, im Prospekt findet man das Bild des Buches mit diesem Titel, die Ankündigung aber mit dem richtigen: "Der letzte Tag...". Man könnte aus lauter Spannung, was nun stimmt, gar das Buch bestellen, wenn nicht... der Preis sich leicht erhöht hätte. (auf 12.80 DM nämlich). Drei Krimis bzw. Abenteuerbücher kamen mir auch von Spannend Erzählt bekannt vor, aber auf dem Sektor kenne ich mich nicht aus. Außer Klassikern wie Dumas, London und Verne scheint sich die Reihe zunächst östlichen Autoren zuzuwenden - vorhandenes Material, nehme ich an. Die Betreuer der NL-TBs sollten sich aber überlegen, ob sie damit z.Z. wirklich ausreichende Chancen haben. Immerhin, wenn die Reihe überhaupt in die Ständer der Läden kommt, räume ich ihr welche ein.
Kidnapping in Nirgendwo?
Pawel Bagrjak erschien mir unbekannt, aber das hat natürlich nichts
zu sagen. Jedenfalls hatte ich von diesem - vermutlich russischen - Autor
bisher noch nichts gelesen. Vermutlich schreibe ich deshalb, weil
leider fast jede Angabe in dieser Richtung fehlt, außer dem Copyright-Verweis
auf den Verlag Junge Garde Moskau. Kein Originaltitel, kein Wort über
den Autor. Na, vielleicht hat nicht jeder dieses Informationsbedürfnis,
und schließlich ist es ja auch wirklich zweitrangig, wer etwas geschrieben
hat, wenn es nur gut ist.
Bei "Kidnapping..." haben die NL-Leute vielleicht etwas gezögert,
ob sie den rotumrahmten Revolver oder den blauunterlegten Saturn aufs Cover
drucken sollten. Schließlich entschieden sie sich mit Recht für
letzteres, definierten aber im Untertitel die folgenden 245 Seiten als
"phantastische Kriminalgeschichte", auch mit Recht.
Es geht um Kindesentführungen in einem "englischen" Land mit dem
Namen Newcomb, der Hauptstadt New und ähnlichen Bezeichnereien. Teilweise
scheinen diese Holperstellen der Übersetzung aus dem Russischen geschuldet
zu sein, wo das Englische ja bekanntlich etwas seltsam aussieht. Ein Übersetzer
müßte sich aber auch mal Gedanken darüber machen, was das
Wort vielleicht einmal heißen sollte. Andererseits ist die
pseudoenglische Welt so grob gezeichnet, daß es schon wieder Absicht
sein könnte, um auf die eigentlich gemeinte Welt zu verweisen. Gelesen
habe ich das Buch an zwei Abenden, was durchaus für den Unterhaltungswert
spricht. Wenn man sehr genau hinschaut, kommt ein politischer Hintergrund
zum Vorschein, der keineswegs die "bösen" USA und sonstigen Kapitalisten
meint. Bezeichnenderweise überschreibt der Autor das Kapitel, in dem
es vordergründig um gesellschaftliche und politische Fragen geht,
mit "Die Philosophie in der Sackgasse". Leider bleibt gerade dieser Aspekt
des Buches im Bemühen stecken und wirkt etwas aufgesetzt. Es ist zu
merken, daß er nicht das eigentliche Anliegen war. Das scheint dann
doch mehr in der Action gelegen zu haben. Nach der Vorstellung anfänglich
undurchsichtiger Mächtegruppierungen (Präsident, Geheimer Rat
und General Doron in aufsteigender Hierarchie) tritt der Held, Kommissar
Gard, auf, der von Doron inoffiziell mit der Untersuchung eines Falles
von Kindesentführung betraut wird. Irgendwie erinnerte mich Gard an
Herrn Bond, nur der englische Humor fehlte etwas. Schnell merkt Gard, daß
es nicht nur einen, sondern fast zweihundert Fälle gibt. Für
meinen Geschmack geht die Aufdeckung des Zusammenhanges zwischen diesen
Fällen etwas zu schnell, obwohl sie weder uninteressant noch unglaubhaft
ist.
Als der Sohn des Freundes des Kommissars nach einer Lockvogelaktion
tatsächlich gekidnappt wird, beginnt die Jagd erst richtig. Sie führt
die Verfolger auf eine Insel, in ein Geheimlabor, zu einer Millionärstochter
und zu den üblichen Mad Scientists, die allerdings auf Geheiß
der Regierung arbeiten und die Kinder für die Raumfahrt irreparabel
umbauen. Nein, es sind keine Marsmenschen oder BEM, die arme Kinder als
Sklaven oder zum Frühstück kidnappen, der Autor hält die
Menschheit - zum dritten Mal zu Recht - für schlecht genug, darin
allein auszukommen. Das Ende der Story ist dann doch etwas überraschend,
wenn auch nicht ganz unvorhersehbar. Aber wie Bagrjak schließt! Sieht
man mal am dicken gesellschaftlich-moralischen Zeigefinger vorbei, so ist
es doch erstaunlich, auf was man so kommen kann. Der Autor vergibt sich
jedoch einiges, das ansatzweise auftaucht, aber nicht weiter verfolgt wird.
Da wird z.B. der clevere kleine Junge, der immer eine wirkungsvolle Gestalt
ist, eingeführt, ohne daß sein Schicksal dann noch eine Rolle
spielt. Vielleicht fürchtete der Autor auch, mit einer Konzentration
auf diese Seite der Handlung ins Kinderbuch abzurutschen. Sollte mal ein
paar Stephen Kings lesen. Auch das Verhältnis von Erwachsenen zu Kindern,
die ihnen vorschreiben, was für sie gut ist, wird durch die Handlung
nur am Rande aufgegriffen, obwohl man mehr daraus hätte machen können.
Insgesamt gesehen ist das Buch ein spannender Krimi in einer gar nicht
so fiktiven Welt, der in westlicher Manier, also auch mit gewissen Klischees,
geschrieben wurde, der aber doch eine eigene, russische Handschrift erkennen
läßt. Für jene Fans, die Strugazki und Bilenkin, Bulytschow
und Kolupajew (ah, und konjeschno: Snegow!!!) nicht vergessen haben oder
gar erst entdecken wollen, ein Buch, mit dem man getrost seine NL-TB- Sammlung
eröffnen kann.
SX 14
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