Pierre Ouellette: Die Deus-Maschine
Pierre
Ouellette: Die Deus-Maschine
(Heyne Verlag 1995)
Der Autor ist (noch) ein Unbekannter, der Roman sein Erstling. Doch
das vergißt man schnell, wenn man sein Buch liest. "Die Deus-Maschine"
ist ein atemberaubender High-Tech-Thriller, dessen Stoff - obwohl zehn
Jahre in der Zukunft angesiedelt - beängstigend realitätsnah
wirkt. Er verbindet aktuelle Themen und Trends in Wissenschaft und Politik
und hat es gar nicht nötig, sich auf besonders viele SF-Elemente einzulassen.
Manche Passage des Romans könnte man sich durchaus auch in einem Horror-Buch
vorstellen, andere erinnern an Crichtons Schreibweise.
Einiges zum Inhalt. In einem Jahrzehnt steckt die Welt in einer Wirtschaftskrise,
wie man sie seit den zwanziger Jahren nicht mehr gesehen hat, allen voran
die USA. Man spricht von Zusammenbruch und Niedergang, die Zeiten sind
mehr als nur schlecht. Amerika hat seine wirtschaftliche und politische
Vormachtstellung verloren, allerdings nicht an "die Japaner", wie das so
schön einfach und pauschalisierend in der SF gerade Mode ist.
Wenn man während des Lesens einen massiven Zusammenbruch des Dollars
miterlebt (Anfang März), dann klingt manches dabei schon regelrecht
prophetisch.
Eine Clique in den höchsten Kreisen der amerikanischen Wirtschaft
und des Militärs hat es sich nun zum Ziel gesetzt, die alten Positionen
zurückzugewinnen. Mit Schwarzgeldern betreibt man eine Firma, die
scheinbar dazu dient, neue und schnellere Computer zu entwickeln. Gleichzeitig
ist diese jedoch mit einem Unternehmen verstrickt, das Waffen für
die biologische Kriegsführung entwickelt, synthetische Drogen im großen
Stil herstellt und Menschen als Versuchsobjekte benutzt. Mit der Computertechnologie
soll vor allem erst einmal Geld gemacht und die Wirtschaft angekurbelt
werden. Was eigentlich die Waffen in der Vorstellung der Strategen sollten,
wurde mir nicht ganz klar. Der Supercomputer, der als ein sogenanntes neuronales
Netz konstruiert wurde, hat aber eigentlich die geheime Aufgabe, die Daten
einer riesigen Genbank so weit zu entschlüsseln, daß man am
Ende mit einem "Biocompiler" eigene, maßgeschneiderte Lebensformen
züchten könnte - vorzugsweise natürlich Kampfviren.
Womit keiner rechnete, tritt ein: das neuronale Netz erwacht zu einem
eigenen Bewußtsein, als es die DNS entschlüsselt hat. Aber leider
entdeckte die Computerintelligenz in den Gensequenzen auch eine gefährliche
Information, die sich über das Netz verselbständigt. Es entwickeln
sich unkontrolliert Viren, die beginnen, ein ganz spezielles biologisches
Programm auszuführen, das offensichtlich eine Art Sicherung gegen
"unbefugtes" Knacken des genetischen Codes darstellt. Eine aggressive,
noch nie gesehene Ökologie breitet sich aus, mit dem einzigen Ziel,
das Computerzentrum zu vernichten. Die Schilderung der einzelnen, immer
furchtbarer werdenden Lebensformen gehört zu den besten Aspekten des
Buches.
Eingebettet ist das alles sind die Geschichten von einigen Personen.
Michael Riley, ein arbeitsloses Computergenie, Jessica, seine Freundin,
und der kleine Jimmy, der von seiner drogensüchtigen, prostituierten
Mutter vernachlässigt wird, sind die wichtigsten "Guten". Genügend
Böse gibt es auch, allen voran ein kinderschändender Psychopath,
der auch noch für das Computerprojekt verantwortlich ist. Die Rolle
dieses Mannes ging mir nicht ganz auf, es heizt jedenfalls die Spannung
noch um einige Grade an, zu wissen, daß Jimmy von dieser menschlichen
Bestie Gefahr droht. In verflochtenen Handlungssträngen entwickelt
sich der Roman schnell von einem hard core SF-Buch über Forschung
und Entwicklung zu einem apokalyptischen Thriller.
Michael wird angeheuert, um eine Softwarebombe zu finden, die der inzwischen
völlig durchgedrehte Schöpfer des Deus-Computers, der "Architekt",
hinterlassen hat. Mit der Zeit kommt er aber auch den anderen Machenschaften
auf die Spur.
Alle dubiosen finanziellen Aktivitäten einer politischen Verschwörergruppe
verblassen jedoch angesichts der Gefahr, die von der entfesselten genetischen
Bombe ausgeht. Nichts scheint die Organismen stoppen zu können. Abgesehen
davon, daß sie den sympathischen Computer vernichten wollen, der
gerade zu Jimmys Ersatzvater geworden ist, fallen ihnen auch immer mehr
Menschen zum Opfer. Nur der Deus-Computer selbst könnte einen Antivirus
konstruieren.
Eindrucksvoll stellt der Autor die beginnende Fluchtwelle und Panik
dar, als sich die Biowaffe immer weiter ausbreitet. Aber genauso eindringlich
malt er einige Kapitel zuvor das Bild einer USA, die dabei sind, zum Polizeistaat
zu werden: Geheimorganisationen, Massaker an Demonstranten, wachsende Anarchie
und ein schwacher, depressiver Präsident. Erst wenn man diese Punkte
mit den Bestrebungen der Militärs in Verbindung bringt, biologische
Waffen zu entwickeln, kommt man zu dem, was die Menschen erwartet, wenn
der Biocompiler in die falschen Hände fallen sollte.
Das Buch stellt streckenweise hohe Ansprüche an den Leser, weil
sein Autor bemüht ist, sogar die komplizierten Informatiktheorien
darzustellen, auf denen sein Deus beruht. Es entsteht an diesen Stellen
der Eindruck einer sachlichen, nüchternen Darstellung - ohne jeden
literarischen Kunstgriff, sie zu verpacken. Ouellette erklärt seinem
Leser direkt, ohne Umwege, was er meint. Und dieses Herangehen steigert
das Gefühl des Realismus noch.
Deus ex machina, der Gott aus der Maschine, oder hier auch in der Maschine,
ist nicht nur der Namensgeber für das Buch gewesen. Der Computer erlangt
buchstäblich die Macht eines Schöpfers, als er den Biocompiler
erschaffen hat. Andererseits taucht der deus ex machina - in der eigentlichen
Bedeutung des Wortes - auch schon mal auf, wenn ein paar der ganz üblen
Schurken gegen Ende von den Monstren zerfleischt werden, als sie gerade
den Guten ans Leder wollen.
Aussagekräftig ist auch, wie der wirtschaftliche Aufschwung dann
doch noch erreicht wird, mit Hilfe von Deus und der Biotechnik, aber auf
friedlichem und "demokratischen" Weg.
Zum Schluß noch ein Satz zur Aufmachung (von Christian Diener)
des Hardcovers, denn die ist wirklich sehr schön. Ein dunkelblauer,
seidig glänzender Umschlag mit einem eingeschnittenen Fenster und
großer silberner Schrift umhüllt das Bild eines in eine Doppelhelix
eingesponnenen Embryos.
Der durchschnittliche Taschenbuch-Leser wird sicher noch warten, bis
das Buch als solches auf den Markt kommt. Man kann es aber schon mal vormerken.
[The Deus Machine, © Pierre Ouellette 1993, übersetzt von
Michael Schmidt 1995, Hardcover mit Schutzumschlag, 567 Seiten, DM 44.00]
SX 62
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