Piers Anthony: Cluster-Zyklus
Piers
Anthony: Cluster-Zyklus
Cluster*, AVON 1977 (Flint von Außenwelt, Heyne 06/3784)
Chaining The Lady, AVON 1978 (Melodie von Mintaka, Heyne 06/3828)
Kirlian Quest, AVON 1978 (Herald der Heiler, Heyne 06/3898)
Thousandstar, 1980 (Tausendstern, Heyne 06/4115, übersetzt
von Michael Kubiak und Hans Maeter 1984)
Viscous Circle, AVON 1982 (nicht auf Deutsch erschienen?)
[* wird auch als Vicinity Cluster aufgeführt, möglicherweise
eine spätere Überarbeitung]
"Tausendstern" ist das einzige Buch von Piers Anthony, das ich in deutscher
Sprache gelesen habe, und so soll es auch bleiben. Es war auch das Buch,
welches mich dazu brachte, mir die vier restlichen des Cluster-Zyklus aus
Amerika schicken zu lassen. Obwohl der Zyklus schon etwas älteren
Datums ist und auch in der deutschen Ausgabe nur noch Second Hand zu erhalten
sein dürfte, möchte ich ihn hier ein wenig näher vorstellen.
Der Piers-Anthony-Effekt hat natürlich aus der ursprünglichen
Trilogie der ersten drei Bände ein wenig mehr gemacht. Nicht nur die
beiden oben genannten Romane entstanden - wie man sieht, ein paar Jahre
später - zusätzlich zur Trilogie, auch der sogenannte Tarot-Zyklus
(siehe Schluß) spielt offensichtlich im selben Universum und mit
Personen, die im Cluster-Zyklus zumindest genannt werden. Von der Form
her ist der Zyklus eine Space Opera, jedoch zeichnet er sich durch Besonderheiten
aus, die ihn deutlich von den üblichen Vertretern dieses Subgenres
abheben.
Zum einen durch seinen Maßstab, seine enormen Größenordnungen.
Hier geht es nicht einfach um das Sonnensystem, oder ein paar benachbarte
Sterne, es geht auch nicht nur um unsere Galaxis Milchstraße, die
Handlung entwickelt sich von einer Auseinandersetzung mit der Galaxis Andromeda(nebel)
im ersten Buch zu Größenordnungen der sogenannten Lokalen Gruppe
- das ist übrigens, was Anthony als Cluster bezeichnet, nicht ein
bloßer Sternhaufen, der in der Astronomie üblicherweise so genannt
wird. Und die Galaxien und Sternhaufen sind alle besiedelt, von den unterschiedlichsten
Intelligenz- und Lebensformen. Die Entwicklung ist in dieser unvorstellbar
weit entfernten Zukunft so fortgeschritten, daß all diese Zivilisationen
miteinander in Verbindung stehen und auf unterschiedliche Weise wechselwirken.
Dieses Kaleidoskop der Verschiedenartigkeit ist der zweite wichtige Aspekt,
der den Zyklus für mich zu etwas Besonderem macht.
Oberflächlich gesehen, ist die ursprüngliche Trilogie die
Geschichte dreier Kriege: des ersten und zweiten Energiekrieges Milchstraße
gegen Andromeda und des Krieges gegen die Weltraum Amöbe. Die Handlung
erstreckt sich über ca. 3000 Jahre, die der beiden anderen Bücher
liegt zeitlich irgendwo zwischen den zweiten Energiekrieg und der Amöben-Invasion.
Sieht man aber genauer hin, so merkt man schnell, daß die martialische
Grundstruktur nur ein Aufhänger für eine aktionsreiche, spannende
Handlung ist, letztlich der Konvention der Space Opera geschuldet. Was
Anthony über dieses Gerüst gebaut hat, macht eigentlich die Romane
aus. Man kann seine Botschaft auf einen ziemlich eindeutigen, kurzen Nenner
bringen: Verständigung, Zusammenarbeit und sogar Liebe ist zwischen
den unterschiedlichsten Rassen und Kulturen möglich. Man findet immer
einen Weg, einen Konflikt auch friedlich zu lösen, wenn man nur will.
Und das ist etwas, das man bei Anthony nicht nur in diesem Zyklus findet.
Immer wieder zeigt er seinen Lesern anhand der phantastischsten Geschöpfe
und Welten, daß man über sich selbst hinauswachsen kann. Der
Weg dazu ist manchmal verschlungen und schwierig, aber es läuft immer
darauf hinaus, Vorurteile abzubauen und Verständnis für das Andere
aufzubringen. Gerade der Cluster-Zyklus bringt noch eine weitere Komponente
ein: Erfahrungen vom Gesichtspunkt des Anderen aus zu machen.
Denn ein wichtiges Element dieser Galaxien umspannenden Zivilisation
ist der Transfer. Der Materietransfer ist zwar möglich, aber ungeheuer
energieaufwendig, d.h. teuer. Viel billiger ist es, einen Auratransfer
durchzuführen. Die Aura ist etwas, das zwischen Hirnströmen und
der Seele rangiert, ganz wird das nie geklärt. Anthony ist nun wirklich
kein Autor, der seine Leser mit christlichen Hirngespinsten von Seele und
Paradies vollschüttet. Das merkt man an seinen Büchern, die mit
Religion ziemlich respektlos umgehen und sie mehr als einmal in Frage stellen.
Er geht hier davon aus, daß die Aura eines intelligenten Wesens all
sein Bewußtsein, seine Erinnerungen usw. ausmacht. Diese Aura kann
nun mit technischen Mitteln in den Körper eines anderen intelligenten
Wesens übertragen werden, wobei der Transferer eine möglichst
hohe Aura haben sollte. Die Protagonisten seiner Bücher verbringen
demzufolge die wenigste Zeit in ihren eigenen Körpern.
Aus einer derartigen Möglichkeit entwickeln sich natürlich
enorm viele Konstellationen. Konflikte zwischen dem Transferer und seinem
Wirt oder dessen Umwelt sind vorprogrammiert. Seltsamste Erfahrungen erwarten
die Transferer auf ihren Reisen und Missionen quer durchs Universum.
Mit Hilfe des Transfers ist es möglich, eine Art gemeinsame galaktische
Zivilisation aufrechtzuerhalten. Dennoch entwickeln sich die Kolonien an
den Rändern der jeweiligen Einfluß-Sphären zurück
- manche bis in die Steinzeit. Das gilt für die Menschen (Solarier)
wie auch für andere Rassen. Nur die Alten, eine seit drei Millionen
Jahren verschwundene Superzivilisation, schien das Geheimnis zu kennen,
das die Rückentwicklung verhindert.
Flint (Feuerstein) vom Planeten Outworld (Außenwelt) ist
ein solcher Höhlenmensch. Was ihn auszeichnet, ist seine Kirlian-Aura
von über zweihundertfacher Stärke des Normalen. Deshalb wird
er kurzerhand in den Dienst des solaren Imperiums gezwungen, um schnell
mal die Galaxis zu retten. Nun, ganz so einfach ist es nicht. Im ersten
Buch droht aus der Nachbargalaxie Andromeda die dortige Multi-Zivilisation
mit Krieg, um die Energie der Milchstraße zu klauen. Natürlich
spielt der Auratransfer eine Schlüsselrolle, so daß der Mann
mit der stärksten Aura der Galaxis in den Kampf geschickt wird.
Flint, der sich durch seine Erfahrungen rapide zu einem sehr unsteinzeitlichen
Helden entwickelt, meistert natürlich das Abenteuer. Bis zu diesem
Ende erlebt er aber so einiges. Sein Weg führt ihn von Wirt zu Wirt,
wobei er von einer andromedaischen Transferagentin verfolgt wird, die ihn
eliminieren soll. Der Schlüssel zum Sieg liegt in einer uralten Anlage
der Alten, die offenbar Meister der Kirlian-Technik waren.
Melodie von Mintaka gehört einer ganz und gar nichtmenschlichen
Rasse an. Dennoch ist sie die entfernte Nachfahrin von Flint, der in seinen
Wirten nicht gerade im Zölibat lebte. Nach tausend Jahren muß
nun sie mit der zweiten Aggression aus dem Andromedanebel fertigwerden.
Auch sie hat eine Aura über zweihundert, darum wird sie zu Hilfe gerufen,
als die Gegner beginnen, Wirte zwangsweise zu übernehmen. Nur eine
höhere Aura kann sie wieder vertreiben und ist immun gegen sie. Melodie
steht allerdings hunderten von Feinden gegenüber. Eine regelrechte
Raumschlacht mit übernommenen und zurückeroberten Schiffen entbrennt.
Ganz knapp schafft es Melodie am Ende, eine Stätte der Alten zu aktivieren
und fortan das zwangsweise Besetzen eines Wirtes unmöglich zu machen.
Leider war es in der deutschen Übersetzung nicht möglich,
das Wortspiel Anthonys zu übernehmen, das diesen Vorgang beschreibt.
Der Wirt, das ist "host"; im Buch nennt man die unfreiwilligen Wirte "hostages",
was Geiseln bedeutet. Nur handelt es sich nicht um Geiseln in dem Sinne,
wie wir das verstehen. Ein Beispiel dafür, wieviel bei einer Übersetzung
verlorengehen kann. Zu Übersetzungsproblemen später mehr.
Der zweite Band der Trilogie zeichnet sich noch dadurch aus, daß
in ihm die Religion des Tarot (bei Anthony eine Religion) eine große
Rolle spielt. Melodie ist Tarot-Priesterin und die Philosophie dieses Weissagungskartenspiels
durchdringt ihr ganzes Denken. Nicht nur das ihre, die gesamte galaktische
Zivilisation scheint die Philosophie des Tarot mehr oder weniger übernommen
zu haben, nachdem "Bruder Paul" es einst in den Weltraum brachte. (Das
wird offenbar im Tarot-Zyklus behandelt.) Mir erschien es ein wenig überbetont,
man merkt deutlich, daß der Autor die Sache hoch einschätzt.
Wenn man von den Prinzipien des Tarot keine Ahnung hat, fällt es ein
wenig schwer, ihm zu folgen, wenn er z.B. Szenen einbaut, in denen tatsächlich
das Kartenset befragt wird. Andererseits spielt die Aussage Bruder Pauls
eine große Rolle, daß der Gott des Tarot und alle anderen
Götter gleichwertig und eins seien.
Auch Herald der Heiler ist ein entfernter Nachkomme von Flint.
Er ist diesmal ein Andromedaer, denn nun ist der Cluster friedlich vereint.
Sein Beruf ist Heraldiker und Aura-Heiler, so kommt er im Transfer viel
herum. Als er einen Astronomen behandeln soll, der seit seiner letzten
Entdeckung unter Schock leidet, findet er nicht nur eine Geliebte, sondern
auch heraus, daß die Weltraum Amöbe, die man für einen
unbedeutenden winzigen Staubnebel hielt, in Wahrheit eine supergigantische
Raumflotte ist, welche den Cluster angreift. Diesmal ist es nicht Energie,
was den Feind anlockt, sondern man will einfach nur sämtliches intelligentes
Leben vernichten. Wieder beginnt eine Suche nach der Lösung, die man
sich in den Stätten der Alten erhofft. Melodie hatte deren Geheimnis
zwar erfahren, sich aber geweigert, es preiszugeben. Nun findet am Ende
Herald die schreckliche Wahrheit heraus, was zwar die Amöben-Gefahr
abwendet, aber auch einige Illusionen zerstört.
Damit schließt sich mehr als ein Kreis und die Trilogie wäre
eigentlich abgeschlossen. Der Cluster ist nun aber ein so vielfältiger
Ort, daß man schier unendlich viele Bücher über ihn schreiben
könnte. "Viskoser Kreis" und "Tausendstern" sind zwei solche Ableger,
die mit der ursprünglichen Handlung nichts zu tun haben, obwohl Flint
und Melodie und ihre Errungenschaften natürlich erwähnt werden.
Jessica in "Tausendstern" ist sogar eine weitere Nachfahrin des
Höhlenmenschen.
Hier geht es darum, daß durch ein interstellares Rennen von tausend
Zivilisationen in drei Wirtsrassen eine neuentdeckte Stätte der Alten
dem Sieger zugesprochen werden soll. Jessica ist die Transferin in dem
HydrO Heem von Steinfall, welcher der eigentliche Hauptheld ist. Sie bewältigen
zusammen das komplizierte Rennen, ihre persönlichen Probleme und ihre
Vorurteile gegenüber den anderen Rassen. Das Buch ist das deutlichste
in Hinsicht auf Anthonys Botschaft. Nur durch die Zusammenarbeit der eigentlich
verfeindeten drei Wesen (äußerlich) und die Zusammenarbeit der
völlig verschiedenen Wesen im Inneren, also der solarischen Jessica
mit dem Wirt Heem, der eine Art Wasserstoff-atmender Schleimklumpen ist,
kann der Sieg errungen werden. Die Rolle der Alten dabei ist mysteriös,
fast scheint es, als hätten sie die ganze Sache schon vor drei Millionen
Jahren geplant, um genau diese Lehre zu erteilen.
In "Viscous Circle" schließlich soll der militärische Transferagent
Ronald die Spezies der Bands ausspionieren, in deren Territorium
sich die Solarier eine Stätte der Alten aneignen wollen, wobei sie
sogar die Auslöschung der Band-Zivilisation in Kauf nehmen. Er entscheidet
sich jedoch für die Bands, die nach Anthony eine ultimate utopische
Gesellschaft darstellen, im krassen Gegensatz zu den Menschen, die bald
nur noch als Monster bezeichnet werden. Ronald kämpft verzweifelt
in Band-Form für die Bands, ein fast aussichtsloses Unterfangen. Anthony
stellt die hemmungslose Gier der Menschen nach Profit sehr deutlich dar.
Man fühlt sich genau wie der Held von der egoistischen, von Mißtrauen
geprägten Gesellschaft Sols abgestoßen. Aber es gibt natürlich
auch das Gegenbeispiel, von Ronalds menschlicher Frau, sonst wäre
ja alles zu Schwarz-Weiß.
Die fünf Bände des Zyklus' sind voll von den erstaunlichsten
Lebensformen, die man sich nur ausdenken kann. Anthony scheint sich nicht
so sehr darum gekümmert zu haben, ob man sich das Funktionieren eines
solchen Wesens noch vorstellen kann, ihm geht es weit mehr um die vielfältigen
Folgen einer derartigen Andersartigkeit. Immer wieder beschreibt er neue
soziale, kulturelle und sexuelle Aspekte, um dann zu zeigen, wie man dennoch
zu einer Verständigung kommt. Vor allem im letzten Band ist das radikal,
wenn sich Ronald letztlich für das Verbleiben im Wirt entschließt,
auch wenn das seinen Tod bedeutet. Er geht ein ins Nirvana der Bands, in
den Viskosen Kreis der Seelen.
Zum Problem der Übersetzung wollte ich mich abschließend
noch äußern. Ich schrieb eingangs, daß ich entschlossen
sei, Anthony nur noch im Original zu lesen. Seine Bücher sind nämlich
derart voll von Wortspielen und -konstruktionen, die z.T. wichtig für
die Handlung sind, daß in einer Übersetzung vieles verzerrt
wird oder verloren geht (siehe oben). Auch "Viscous Circle" stellt übrigens
ein Wortspiel mit vicious circle (Teufelskreis) dar. Wer es kann, sollte
deshalb versuchen, die Romane von Piers Anthony so zu lesen, wie er sie
schrieb.
In meiner Meinung bestärkt hat mich die Übertragung von "Tausendstern".
Hier kam zu den objektiven Schwierigkeiten (wie bei host - hostage) noch
subjektives Unvermögen der zwei (!) Übersetzer hinzu. Von falsch
verstandenen Redewendungen, die sogar im Text erklärt wurden, bis
hin zu falschen Artikeln und Begriffen findet sich alles, was eine oberflächliche
Arbeit bieten kann. Schade um das Buch.
Dennoch eine nur geringfügige Betrübnis. Für alle, die
in irgendwelchen Wühlkisten und auf Buchmärkten auf die Romane
des Cluster-Zyklus stoßen sollten, kann ich hier nur eine Empfehlung
aussprechen. Lest sie und euer Horizont wird sich weiten.
Zur Vollständigkeit hier noch der Tarot-Zyklus, der auf
Deutsch 1982/83 erschien:
God of Tarot (Der Gott von Tarot, Moewig 3576)
Vision of Tarot (Die Visionen von Tarot, Moewig 3604)
Faith of Tarot (Die Hölle von Tarot, Moewig 3616)
[nach dem Heyne Lexikon der SF Literatur]
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