Piers Anthony: Inkarnationen der Unsterblichkeit

Piers Anthony: Inkarnationen der Unsterblichkeit
gelesen von Wilko Müller jr.


On a Pale Horse, 1983
(Del Rey - Ballantine Books*)
Bearing an Hourglas, 1984
(Del Rey - Ballantine Books*)
With a Tangled Skein, 1985
(Del Rey - Ballantine Books*)
Wielding a Red Sword, 1986
(Del Rey - Ballantine Books*)
Being a Green Mother, 1987
(Del Rey - Ballantine Books*)
For Love of Evil, 1988
(Grafton Books*)

* vorliegende Ausgabe

Piers Anthony (1934) ist - laut Heyne Lex - der Erfinder des Piers-Anthony-Effektes. Das ist der, wenn eine Trilogie acht Bände hat... Das scheint sich auch bei diesem Zyklus bemerkbar zu machen, der mit fünf Bänden angekündigt war, jetzt aber schon mindestens sechs zählt. Bekannt ist Anthony durch mehrere Fantasy-Zyklen, wie den Cluster-, den Tarot- und den Xanth-Zyklus. Er scheint äußerst produktiv zu sein, da er jährlich mehrere Romane schreibt. Er wohnt in einem Haus in Florida tief im Wald versteckt und arbeitet an seinen Büchern auf einer Pferderanch. Wenigstens steht da neuerdings auch ein Computer.
Auf einem Bleichen Pferd reitet der Tod einher. Und dieser ist der Held, der positive Held, des ersten Bandes der Inkarnationen. Eigentlich heißt er ja Zane, und er lebt anfangs in einer Stadt einer sehr merkwürdigen irdischen Welt. Mit der Zeit bekommt man mit, daß in dieser Alternativwelt I. Newton nicht nur die Grundgesetze der Physik, sondern später auch die der Magie entdeckte. Diese funktioniert daher bestens und man hat sowohl wissenschaftlich-technischen Fortschritt als auch angewandte Magie. So steigt man beispielsweise vom Fliegenden Teppich in das Auto um, oder statt Autounfällen (die Wagen sind magisch geschützt) gibt es Teppichcrashs.
Unser Held Zane begegnet uns beim Kauf eines magischen Edelsteins, der ihm angeblich Reichtum bringen soll. Natürlich wird er betrogen und sitzt alsbald einsam und mittellos in seinem Kämmerlein. Er ist durch verschiedene Schicksalsschläge total deprimiert. Sein Leben bietet ihm nichts mehr und so beschließt er, ihm mit seiner Pistole ein Ende zu setzen. Als der Tod eintritt - nicht bei Zane selbst, sondern in sein Zimmer - erschießt er jedoch diesen.
Und damit ist er gezwungen, das Amt des Todes als dessen Inkarnation zu übernehmen. Neben dem Tod gibt es weitere wichtige Inkarnationen bzw. sterbliche Unsterbliche, wie die Natur, die Zeit, den Krieg, das Schicksal und, wie sich später herausstellen wird, auch Satan und Gott scheinen Inkarnationen in ihren jeweiligen Ämtern zu sein.
Als Tod hat Zane nun über die Welt zu fahren, zu fliegen oder zu reiten, um die Seelen derer einzusammeln, die im Gleichgewicht zwischen Gut und Böse sterben. Dann entscheidet er, ob sie in den Himmel oder in die Hölle kommen, denn es gibt tatsächlich diese Orte. Falls er es nicht entscheiden kann, holt er sich im Fegefeuer Rat, wo die Computer stehen. Denn schließlich geht man auch in dieser Dimension mit der Zeit.
Er kann auch mit den Menschen Kontakte pflegen, was gut ist, denn er liebt eine Frau namens Luna (hat mit dem Mond nichts zu tun). Nun ist diese auserwählt, in 20 Jahren Satan zu stoppen, so daß dieser danach strebt, sie vorher zu vernichten. Kann er aber nicht, wenn der Tod nicht ihre Seele holt.
Die Auseinandersetzung zwischen Tod und Satan macht das Hauptspannungsfeld des Buches aus. Aber es geht nicht nur darum. Das Buch ist auch keine humoristische Fantasy, wie es den Anschein haben könnte. Zwar enthält es gewisse satirische Elemente, ist auch manchmal recht amüsant, aber es ist eben nicht nur das. Es ist nicht Pratchetts in Großbuchstaben sprechender Tod, sondern ein weit ernsterer, "realerer". Ein Tod, der nicht gleichgültig ist gegenüber dem, was er tut. Anthony schreibt in seinem langen Nachwort, daß er sich das Buch auf zwei Ebenen denkt: einmal als "fun-fantasy mit einer einzigartigen Hauptgestalt ... aber auf einer anderen Ebene ist es ein satirischer Blick auf die gegenwärtige Gesellschaft, mit einiger gezielter Kritik. Es ist auch eine ernsthafte Erforschung des Verhältnisses des Menschen zum Tod." (S. 305) Und das stimmt. Ich habe nicht die Seelen gezählt, deren Aufsammeln beschrieben wird, aber es sind Dinge darunter, die zutiefst nachdenklich stimmen. Ein Altersheim übelster Sorte zum Beispiel, oder das kleine Mädchen, das an den Tod schreibt, weil es Angst hat, nachts zu schlafen - seine Mutter zwingt es, vorher zu beten, daß es in den Himmel kommt, für den Fall, daß es im Schlaf stirbt.
Anthony glaubt nicht an ein Leben nach dem Tode, er will mit seinen Büchern also keineswegs christliche Mystik verbreiten. Im Gegenteil, für einen Amerikaner geht er mit der Religion recht freizügig um. Trotzdem sind die Dinge, die er im ersten Band der Inkarnationen zur Sprache bringt, des Nachdenkens wert. "Der Mensch ist das einzige Geschöpf auf der Erde, das weiß, daß es sterben wird, und das ist eine entsetzliche intellektuelle Last." Und so beleuchtet Anthony, indem er einen lebenden Menschen zum Tod macht, unser Verhältnis zu diesem genauer.
Aber wem nicht nach so viel morbider Tiefgründigkeit ist, der braucht das Buch nicht wegzulegen. Hauptsächlich ist es spannend, neuartig und unterhaltend. Wie Anthony schon sagte: "Fiktion sollte immer unterhalten!"
Ein Stundenglas tragend, das ist Chronos, die Inkarnation der Zeit. Auch er wird uns am Anfang des zweiten Buches als Mensch namens Norton vorgestellt, dann zeigt Anthony, wie Norton dazu kommt, das Amt des Chronos zu übernehmen. Auch er ist in einer Situation, wo ihm das Leben im 21. Jahrhundert dieser magisch-technischen Welt nichts mehr bringt. In diesem Fall muß aber der Vorgänger nicht getötet werden, sondern dieser gibt zu einem bestimmten Zeitpunkt sein Amt ab, während Norton überredet wird, es anzunehmen.
Soweit, so gut, ein Problem hat er jedoch übersehen. Er lebt fortan rückwärts. Nicht in dem Sinne, daß er immer jünger wird, sondern in einer anderen Zeitrichtung. Während er sich noch zu orientieren versucht, schlägt das Böse - also Satan - schon zu. Unerfahren wie er ist, tappt Chronos in die gestellte Falle und hilft Satan ungewollt, eine neue Bösartigkeit gegen Luna Kaftan in Gang zu setzen. Denn diese und der Held des ersten Bandes, der Tod, treten wieder auf. Im Buch geht es dann im wesentlichen darum, das Übel wieder ungeschehen zu machen und schließlich Satan erneut in seine Schranken zu weisen. Man müßte sich schon wundern, wenn Anthony bei dieser Hauptgestalt nicht die Möglichkeit zu Zeitreisen und umfangreichen Paradoxa genutzt hätte.
Das Rückwärtsleben hat für den Leser an einigen Stellen einen Nebeneffekt, der nicht so ganz angenehm ist. Über viele Seiten hinweg sprechen die Figuren rückwärts! (Auf Englisch liest sich das besonders gut!)
In Nebenhandlungen gerät Norton außerdem in eine Space Opera und eine Heroic Fantasy hinein, beides von Satan inszenierte Abenteuer, die ihn ablenken sollen. Sehr amüsant, wie es Anthony gelingt, durch einen sofortigen Stilwechsel genau das Gefühl beim Leser zu erzeugen, das dann auch die Lösung verspricht. Ich fragte mich gleich, ob Satan Chronos nun in ein Computer- oder Rollenspiel versetzt hatte, aber es waren dann doch Filme. Daß Chronos selbst erst so spät merkt, was gespielt wird, ist allerdings etwas unglaubwürdig.
Im zweiten Buch der Inkarnationen geht es also um die Zeit. Nicht so ein finsteres Thema wie der Tod, aber es gibt auch hier einige nachdenkenswerte Momente.
Jedoch, ist Anthony im ersten Band eher philosophisch, so wird er nun stellenweise wissenschaftlich. Es gibt Ausflüge in die Relativitätstheorie und Nuklearphysik (letztere referiert von Mars, der Inkarnation des Krieges !) sowie in die Entwicklung des Universums. Auf der Ebene der abenteuerlichen oder fun-fantasy ist auch das zweite Buch durchaus gelungen, auf der ernsteren Ebene bietet es aber nicht so viel wie das erste. Es deutet sich allerdings in diesem Teil an, daß die Bände nicht nur über die Welt und die handelnden Personen / Inkarnationen zusammenhängen, sondern auch über die bösen Absichten, bzw. eine bestimmte böse Absicht Satans. Szenen aus dem ersten Teil wurden sogar aus anderer Sicht wieder eingebaut, da manche Handlungen, die den anderen Inkarnationen schon geschehen sind, Chronos erst noch bevorstehen. Ich halte es für legitim, Satan als den ständigen Gegenspieler der Helden zu wählen, wenn es auch auf den ersten Blick etwas stereotyp wirkt. Aber bei diesem Thema, diesen Hauptfiguren, wäre es verwunderlich, wenn der ewige literarische Ewige Kampf zwischen Gut und Böse nicht mit dem Bösen an sich geführt würde.
Mit einem verwirrten Faden hat Niobe zu kämpfen, die das Amt der Inkarnation des Schicksals als Clotho, einer der drei Aspekte dieser Gestalt, übernimmt. Diese Inkarnation ist eine Einheit, die aus drei Aspekten besteht, drei Frauen unterschiedlichen Alters, die ihre dominante Persönlichkeit zusammen mit dem dazugehörigen Körper je nach Notwendigkeit oder Wunsch tauschen können. Neben dem jüngsten Aspekt Clotho sind da noch Atropos, der älteste, und Lachesis, der mittlere Aspekt. Das Schicksal als Inkarnation hat die Fäden der Menschenschicksale zu spinnen, zuzuschneiden und in den großen Teppich zu weben, der die gesamte Menschheit darstellt. Dabei muß Niobe mit ihren "Kolleginnen" und auch mit Chronos und dem Tod eng zusammenarbeiten - beides Helden, die wir schon kennen, wenn auch nicht unbedingt mit dieser "Besetzung". Zum Teil begegnen wir dem Chronos Norton wieder, später taucht auch der Tod in der bekannten Form auf.
Zeitlich liegt der Beginn der Handlung diesmal am weitesten in der Vergangenheit. Niobe wird im Laufe des Buches zu Luna Kaftans Großmutter und ist daher natürlich wieder einmal Ziel der Boshaftigkeit selbst. Wir folgen ihr in ihrer Entwicklung als Inkarnation, nachdem in einem längeren Abschnitt die Übernahme des Amtes vorbereitet wurde. Satan versucht sie als Mensch umbringen zu lassen, doch ihr Mann opfert sich für sie. Daraufhin willigt sie in den Vorschlag des Schicksals ein.
Irgendwo in der Mitte des Buches hat sie ihre Amtsperiode als Clotho beendet und wird auf eigenen Wunsch wieder sterblich. Was nun, dachte ich, sonst war hier doch Schluß. Und richtig, jetzt (einige Jahre danach) kommt Satans großer Tag. Er bringt durch seine Manipulationen alle drei gegenwärtig tätigen Aspekte des Schicksals dazu, abzutreten. Dadurch will er erreichen, es mit einer völlig unerfahrenen Inkarnation aufnehmen zu können. Doch Niobe wird zum zweiten Mal ins Amt berufen, diesmal als Lachesis, um Satans Pläne zu durchkreuzen.
Nichtsdestotrotz startet der Böse seinen nächsten Versuch, der ihm die Herrschaft über die Erde bringen soll. Niobe muß zu den äußersten Mitteln greifen und sich schließlich sogar auf einen Wettkampf mit ihm einlassen - in der Hölle! Natürlich siegt das Gute, aber noch ist nicht aller Bände Ende.
Was ich eben kurz zusammenfaßte, ist nur die Oberfläche der recht verzweigten und wieder sehr unterhaltenden Handlung. Stellenweise ist Anthony humorvoll (aber nicht durchgehend, da es sich nicht ausschließlich um fun-fantasy handelt), stellenweise fabuliert er in abenteuerlichen Szenarien wundersame Situationen zurecht.
Im Anhang berichtet er dann über sein Schicksal, was auch nicht gerade rosig gewesen zu sein scheint. Auf jeden Fall versteht er das Handwerk eines Serienschreibers. Die Handlung hängt über bestimmte Schwerpunkte und Personen lose zusammen, gerade genug, daß man neugierig wird; trotzdem sind die Bücher durchaus als Einzelwerke zu lesen.
Ein Rotes Schwert schwingend zieht Mars über die Welt, die Inkarnation des Krieges. Von einer solchen erwartet man sicher kaum, daß sie sonderlich sympathisch ist, was auch zutrifft. Für mich war Mym / Mars die bisher schwächste Gestalt der Inkarnationen, ein Held, mit dem ich mich kaum identifizieren konnte.
Es ist aber auch ein schweres Thema, den Krieg als Inkarnation zu beschreiben und ihn nicht böse erscheinen zu lassen. So versucht Anthony hier auch kaum, in philosophischen Tiefen eine Rechtfertigung des Krieges zu finden, wie es beim Tod noch möglich war.
Mym ist ein indischer Prinz - in Anthonys Welt gibt es in Indien etliche Königreiche - der wegen eines Sprachfehlers (er stottert) seiner Familie lieber ist, wenn er nicht da ist. Bis sein Bruder umkommt und er plötzlich der Erbe ist. Als Prinz ist er entsprechend geschult worden, er ist Krieger und Edelmann der höchsten Kaste.
Was mir an Myms Gestalt negativ auffiel, war seine Sexbesessenheit, die meiner Meinung nach nicht, wie es Anthony tut, durch die Zugehörigkeit zum indischen Kulturkreis und der Herrscherkaste erklärt oder entschuldigt werden kann. Praktisch sein ganzes Handeln wird von Beziehungen zu Frauen bestimmt. (Ja, S. Freud mag wohl auch sagen, daß ausschließlich diese Dinge das Handeln der Menschen bestimmen, aber ich bin anderer Auffassung, wenn es auch vermessen klingt.)
Da aber die Politik etwas anderes erfordert, soll er mit einer gewissen Prinzessin verheiratet werden, die er gar nicht will. Darüber wird Mym so böse, daß er gerade in dem Moment der wütendste Mann im Umkreis ist, als das Amt des Mars neu besetzt werden soll. Und just das ist das Kriterium, das an den neuen Mars angelegt wird: ein kriegerischer Typ, der wütig genug ist. Sehr passend.
Und natürlich ist alles wieder Satans Werk, der diesmal aufs Ganze geht. Während er Mars ablenkt - mit Dämoninnen ist ihm das ein Leichtes - und ihn schließlich sogar in der Hölle festsetzt, heizt er Konflikte und Kriege auf der Welt so an, daß alles außer Kontrolle gerät. Damit will er eine Situation schaffen, in der das Böse überwiegt und Luna Kaftan (natürlich!) keinen politischen Einfluß erringen kann.
Wie es schon bei den anderen Inkarnationen der Fall war, findet Mars in der Zwangslage zu seiner Macht und wird aktiv. Er organisiert schnell eine Rebellion der Seelen in der Hölle, kommt dadurch frei und rettet in der allerletzten Sekunde die ganze Welt vor dem Untergang, den er allerdings vorher selbst einleitet, um Satan in Zugzwang zu bringen.
Dieser Teil des Zyklus' überzeugte mich nicht ganz so wie vorherige, obwohl es auch hier wieder interessante und witzige Einfälle gibt, die Handlung durchaus spannend ist. Man nehme nur die Sache mit dem Krieg zwischen Persien und Babylonien (was damit wohl gemeint ist...), der durch Kinder geführt werden muß. Anthony gelingt es, den Einsatz der Kindersoldaten zumindest plausibel zu machen, auch wenn er ihn ablehnt. Mars beendet die Sache, indem er den Führer der Babylonier zwischen die Linien versetzt, wo er von den Kindern erschossen und dann erkannt wird. Sieht ganz wie Saddam H. aus, möchte ich meinen (natürlich nicht im Golfkrieg).
Wiederum schließt der Autor mit einem überlangen Nachwort, das ich auch diesmal mit Interesse gelesen habe, denn es enthält immer sehr persönliche Details. Diesmal geht es neben Anthonys Erfahrungen mit dem Computer auch um Fanbriefe, die er offenbar sehr ernst nimmt. Über fünf Seiten berichtet er zum Beispiel über ein Mädchen, das ihn liebt(e) und sich das Leben nehmen will/wollte. Dieses hat er natürlich gleich Mars als tragische Gestalt zur Seite gegeben.
Eine Grüne Mutter sein soll Orb, die zweite Tochter Niobe Kaftans, und ehemalige Geliebte Myms, des späteren Mars.
Doch im Gegensatz zu den anderen vier Bänden der Inkarnationen wird Orb erst am Schluß des Buches die Inkarnation der Natur. Der weitaus größere Teil beschäftigt sich mit ihrem "Vorleben". Und das ist gut so, denn nun wird es wieder interessant. Der Endkampf beginnt.
Lange bevor Luna und Orb zur Welt kamen, gab es eine Prophezeiung, in der unter anderem gesagt wurde, daß eine von ihnen den Tod und die andere das Böse heiraten würde. Luna hat bereits den Tod zu ihrem Gefährten gewählt, Orb jedoch tut natürlich alles, um die Erfüllung der Weissagung zu verhindern.
Sie hat ein großes Talent für Musik und sie sucht ein ganz bestimmtes Lied, eigentlich das Lied der Lieder - den Llano. (Offenbar gibt es tatsächlich einen derartigen Mythos, da auch andere Autoren darauf zurückkommen, z.B. Greg Bear "Das Lied der Macht") Der Suche nach diesem Lied widmet sie ihr Leben. Sie geht unter die Zigeuner, später zu einer umherziehenden Theatergruppe und dann zu einer modernen Band. (Diese Reihenfolge scheint nicht unbedeutend zu sein.) Ihre musische Magie wächst und sie findet tatsächlich Bruchstücke des Liedes. Ihre Beziehung zu Mym wird von der anderen Seite her beschrieben und auch die anderen Inkarnationen treten gegen Ende wieder auf.
Da begegnet sie Natasha, einem hervorragenden Sänger, der offenbar noch mehr Teile des Llano kennt, und verliebt sich in ihn. Er lehrt sie und ihre Macht wächst. Und dann taucht ihre Mutter, Niobe bzw. Lachesis, auf und teilt ihr mit, daß sie dafür bestimmt ist, Gaea zu werden, die nächste Inkarnation der Natur. Sie entscheidet sich für die Annahme des Amtes.
Doch in diesem Augenblick erfährt sie, daß Natasha in Wirklichkeit Satan selbst ist. In ihrem Zorn darüber entfesselt sie mit dem Lied der Macht das Chaos und die Welt droht unterzugehen.
Das Ende der Welt kann nur verhindert werden, wenn sie der Heirat mit Satan zustimmt, der behauptet, sie zu lieben. Hat das Böse letzten Endes doch gewonnen? Nun, das Ende ist kein Showdown, aber es ist doch sehr überraschend, selbst für mich, der ich den nächsten Teil schon kannte, weil dieser das erste Buch des Zyklus' war, welches ich mir zulegte.
Um der Liebe zum Bösen willen tut Satan, was er zu tun hat. Und das ist der eigentlich ursprünglich wohl gar nicht geplante siebente Teil der Inkarnationen. Der Piers-Anthony-Effekt wieder einmal am Werke...
Im Gegensatz zu den anderen Inkarnationen bleibt Satan bemerkenswerte 700 Jahre in seinem Amt, kein Wunder, daß er zu den Ewigen gezählt wird. Es scheint schwierig, gerade dieses besondere Amt zu übernehmen, denn dazu muß man die Inkarnation des Bösen, den Meister der Täuschung, selbst täuschen. Das gelingt Parry, einem südfranzösischen Zauberer des 12. Jahrhunderts, am Ende seines Lebens.
Parry ist am Beginn der Handlung ein Zauberlehrling, der gerade seine erste Reifeprüfung abgelegt hat. Als sein väterlicher Lehrmeister, der alte Zauberer, und seine junge Frau von Söldnern umgebracht werden, muß sich Parry als wandernder Bettelmönch verbergen, um nicht das gleiche Schicksal zu erleiden. Im Laufe der Zeit wird Parry durch seine Tätigkeit als Mönch praktisch zum christlichen Glauben bekehrt und wird einer seiner Aktivisten. Der Erkenntnis folgend, daß es der Böse war - zu dieser Zeit unter dem Namen Luzifer regierend - der ihn um seine Frau und seinen Vater gebracht hat, setzt Parry alles daran, gegen das Böse auf der Welt zu kämpfen. Er wird ein angesehener Franziskanermönch, wechselt schließlich zu den Dominikanern über und ist Begründer der Inquisition, damals ein Instrument zum Kampf gegen das Böse. Es gelingt ihm sogar, durch seine Magie und mit Hilfe des Geistes seiner ermordeten Frau, den er immer bei sich hat, den Vormarsch der Mongolen auf Europa zu stoppen, indem er einen Plan Luzifers durchkreuzt. Das schließlich macht den Höllenfürsten auf ihn aufmerksam, und er sendet eine Dämonin, um ihn zu verderben.
Hier scheint mir der schwächste Punkt der Romanhandlung zu liegen, denn wie bei der Inkarnation des Krieges benutzt Anthony als Begründung für die Probleme des Helden eine Art sexuelle Besessenheit. Es ist vorstellbar, daß ein etwa vierzigjähriger Mönch, der seit vielen Jahren im Zölibat lebt, mit dieser Methode relativ leicht zur Sünde zu verführen ist, aber es gelingt der Dämonin praktisch ausschließlich auf diese Weise, den Inquisitor Parry zu verderben, zum Bösen hin zu wenden. Zwar scheint mir dies nicht als ausreichende Begründung für den Sinneswandel des Helden, aber andererseits muß man Anthony eine gewisse historische Korrektheit bescheinigen, denn es wirkt überzeugend, wie Parry und seine Zeit Liebe und Sex als eine der größten Sünden betrachten. Wir wissen, daß es tatsächlich so gewesen ist.
Luzifer will es sich nicht nehmen lassen, Parry persönlich in die Hölle zu befördern, als dieser schließlich im Sterben liegt, doch etwas Erstaunliches geschieht: die Dämonin (übrigens die biblische Lilith selbst) und Parry haben sich wirklich ineinander verliebt, so daß er bestrebt ist, sie vor Luzifers Zorn zu beschützen, der natürlich etwas dagegen hat, daß sich seine Geschöpfe so einfach in Sterbliche verlieben. In seinen letzten Minuten wirkt er einen letzten Zauber, der Luzifer selbst zum Höllenfeuer verdammt. Parry muß ähnlich wie Zane, die spätere Inkarnation des Todes, das Amt übernehmen und eine Probezeit bestehen. Parry, der ursprüngliche Kämpfer für das Gute, ist zur Inkarnation des Bösen geworden.
Wie im fünften Band nimmt diese Vorgeschichte einen Großteil des Romans ein, die darauffolgenden 700 Jahre werden dann vergleichsweise kurz gestreift. Einige Schlüsselereignisse wie die Schwarze Pest in Europa oder der Zweite Weltkrieg und der Faschismus werden von Anthony aufgegriffen. Hier verändert er allerdings die Realität dahingehend, daß Parry - jetzt Satan - aufgrund einer alten Schuld gegenüber JHVE die Juden und Zigeuner vor der Verfolgung durch das Naziregime schützt.
Und dann kommt es schließlich zur Konfrontation Satans - nein, nicht mit Gott, denn dieser hat überhaupt kein Interesse am irdischen Geschehen - mit dem Erzengel Gabriel, der den Chef vertritt. Parry ist der Meinung, daß man den desinteressierten Gott durch einen neuen oder durch sich selbst ersetzen müsse, damit die Dinge besser laufen. Gabriel weiß das zu verhindern, indem er Parry eine Art Wettbewerb vorschlägt, dessen Folge die Ereignisse um Niobe, Luna und Orb sein werden. Parry geht auf den Handel ein, ohne zu wissen, worauf er sich da einläßt. Daher finden wir am Schluß des Buches die Handlung der ersten fünf Bände wieder, aber nun aus der Sicht Satans, was nicht das Böse rechtfertigt, aber einen völlig anderen Blickwinkel eröffnet. Dann kommt das Ende, als Parry sich tatsächlich in Orb verliebt, die er laut Absprache heiraten soll, und sein Amt als Inkarnation aufgibt.
Damit endete der fünfte Teil, aber im sechsten geht es noch weiter, denn Ex-Satan muß nun als verdammte Seele in der Hölle schmoren. Oder etwa nicht? Da er sein Amt verlassen hat, wird kurzfristig der böseste Mensch der Erde, ein amerikanischer Kindermörder, zum Höllenchef berufen. Die anderen Inkarnationen jedoch schmieden ein Komplott, um Satan wieder zur Macht zu verhelfen. Sie ziehen das bekannte Böse diesem Fiesling vor. Außerdem haben sie wohl erkannt, daß Parry als Satan versuchte, versteckt hinter dem Bösen auch Gutes zu tun, wie z.B. im Falle der Juden. Der Coup gelingt. Parry ist wieder im Amt. Zwar bekommt er Orb, die ja nun die Inkarnation der Natur ist, doch nicht, aber dafür wird der Geist seiner seit Jahrhunderten toten Frau wieder belebt. Happy End.
Im Nachwort erwähnt Anthony, daß noch ein weiterer Band folgen solle, der "And Eternity" (Und Ewigkeit) heißen würde. Mir ist über diesen nichts bekannt, vielleicht gibt es ihn schon, vielleicht auch nicht. Um wen es darin gehen müßte, dürfte klar sein - um Gott. Anthony schreibt aber, daß das Herangehen anders sein würde. Falls ich das Buch auftreiben kann, reiche ich eine Besprechung nach.
Um alles abschließend noch einmal im Zusammenhang zu betrachten, ein paar kurze Bemerkungen.
Anthony erreicht zweifellos zumindest in einigen Bänden des Zyklus' den von ihm angestrebten Effekt, der zwei Ebenen. Die vordergründige und für den Leser wohl in den meisten Fällen wichtigste Ebene ist die einer spannenden Handlung in einer Fantasy- bzw. Alternativwelt. Einen besonderen Effekt erzielt der Autor durch die vielfache Verflechtung der von unterschiedlichen Figuren getragenen Handlung. Der Leser wird in die Lage versetzt, das Geschehen mehrfach und aus unterschiedlichen Perspektiven zu erleben. Man könnte natürlich Anthony Ideenlosigkeit vorwerfen, da er immer wieder auf einige Schlüsselereignisse zurückgreift, aber ich glaube, dann hätte man den Sinn des Ganzen nicht verstanden.
Auf der zweiten Ebene seines Schreibens philosophiert Anthony über verschiedene Seiten des menschlichen Lebens. Liest man seine Nachworte aufmerksam, so merkt man schnell, daß er viele autobiographische Details nutzt. Was soll ein Autor auch anderes machen, als zuerst seine eigenen Erfahrungen einbringen? Die Philosophie in Anthonys Werk ist jedoch hintergründig, nicht zu dick aufgetragen. Sie wirkt daher nicht aufgesetzt und störend wie bei manch anderem Autor. Ist man bereit, ihm in seine Welt zu folgen, ihre innere Logik zu akzeptieren, kann man sich von der Handlung tragen lassen und etliche interessante Gedanken erfahren.
Die Welt, in der alles geschieht, ist unserer sehr ähnlich. Anthony benutzt bewußt das Zeitgeschehen und historische Fakten, um diese Nähe zu erreichen, trotz Magie und Fliegender Teppiche. So tauchen russische Panzer in Budapest auf, die Mongolen bedrohen Europa und da ist der Faschismus und der Iran-Irak-Krieg. Andererseits spielt die Welt an sich nicht die Hauptrolle, wichtiger sind dem Autor die Charaktere der Inkarnationen.
Der Zyklus ist auch in deutscher Sprache erschienen, ob schon vollständig, entzieht sich meiner Kenntnis.

(Die hier angeführten deutschen Titel sind Übersetzungen der Originaltitel, müssen also nicht denen der deutschen Ausgabe entsprechen.)
  

SX 25


 

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