Poul Anderson: Die Tänzerin von Atlantis
Tanz mit der Zeit
Poul Anderson: Die Tänzerin von Atlantis
(Heyne 3404 - Top Hits der SF)
Irgendwo hatte ich dieses Buch schon mal gesehen, ob als Abbildung oder
richtig, weiß ich nicht mehr genau, aber die Aufmachung der alten
Ausgabe war auf jeden Fall weit besser gelungen als die der neuen in der
Reihe "Top Hits der SF". Eine recht lieblos zusammengeklebte Collage mit
einer kalt blickenden Dame vor dem Hintergrund der kaum erkennbaren Plejaden
bildet das Cover. Nun, mich würde so eine Aufmachung eigentlich vom
Kauf abschrecken. Aber man soll ja nicht von Äußerlichkeiten
ausgehen. Die Investition von DM 8.80 lohnt sich bestimmt, wenn man auf
ein gut gemachtes Zeitreiseabenteuer mit pseudohistorischem Hintergrund
aus ist.
Poul Anderson bringt in seinem Roman aus dem Jahre 1971 zwei recht
oft benutzte Themen der SF unter. Einmal die Zeitreise (hier die Zeitreise
wider Willen) und zum anderen den Atlantismythos, wie der Titel schon andeutet.
Vier Personen geraten in die Vergangenheit, wenige Monate vor dem Untergang
von Atlantis. Da ist Duncan Reid, ein Architekt aus dem 20. Jahrhundert,
da ist Oleg, ein Russe aus dem Gebiet von Nowgorod, aus dem 11. Jahrhundert,
und da ist Uldin, ein Hunne aus dem 4. Jahrhundert, der auf dem Gebiet
der Ukraine gelebt hat, und schließlich ist da noch die Tänzerin
aus Atlantis, Erissa, die nur um wenige Jahrzehnte in ihrer eigenen Lebenszeit
rückversetzt wird.
Die Handlung wird etwa ins 15. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung
datiert, als Theseus das minoische Reich zerschlug. Die vier Personen reisen
ohne ihren Willen in der Zeit, weil sie durch eine defekte und außer
Kontrolle geratene Zeitmaschine mit in die Vergangenheit gerissen werden,
von jenen Orten aus, wo sie sich gerade befinden, als die Zeitmaschine
durch Raum und Zeit vorbeirast. Und dann kann das Abenteuer beginnen.
Sie müssen, so erfahren sie von dem sterbenden Piloten der Zeitmaschine,
zu dem Zeitpunkt in Atlantis oder wenigstens in der Nähe sein, wenn
es untergeht, denn an diesem Punkt in Raum und Zeit werden sich wahrscheinlich
noch andere Zeitreisende aufhalten, um diese gewaltige Katastrophe zu studieren.
Das ist ihr Ziel, und ihre einzige Chance, um in ihre eigenen Zeiten zurückzukehren.
Erissa weiß ungefähr, wie der Untergang von Atlantis sich abgespielt
hat, bzw. sich abspielen wird, und zur Überraschung von Duncan Reid
kennt sie ihn von früher, ist ihm also begegnet, und behauptet sogar,
von ihm ein Kind zu haben.
Für den Leser ist das alles natürlich klar - eine typische
Zeitschleife. Es ist abzusehen, daß Duncan Reid der jungen Erissa
irgendwo in Atlantis begegnen wird und die beiden sich verlieben werden
(was auch geschieht), so wie sich die ältere Erissa wiederum Duncan
zuwendet. Oleg und Uldin spielen eigentlich nur eine Art Nebenrolle, haben
in der weiteren Handlung neben Duncan und den Erissas kaum noch eine Bedeutung.
Günstigerweise versieht sie der sterbende Pilot der Zeitmaschine
mit zwei Helmen, die es ihnen ermöglichen, die Sprache Erissas zu
erlernen, so daß sie sich miteinander und in ihrer fremdartigen Umgebung
verständigen können. Sie nehmen Kontakt zu den Achäern,
den späteren Griechen, auf, die sich von den Atlantern bzw. Kretern
unterdrückt fühlen, lernen die Helden der griechischen Sagenwelt
kennen, wie z.B. Theseus und Ariadne, und versuchen, allerdings ohne Erfolg,
den Ablauf der Geschichte zu verändern, indem sie die Atlanter vor
dem drohenden Untergang warnen. Vor allem natürlich Erissa versucht
ihr Volk zu retten.
Bei Anderson ist die typische Zwangsläufigkeit einer Zeitschleife
nicht so ausweglos und negativ dargestellt, wie das bei anderen Zeitreisegeschichten
meistens vorkommt, sondern es ist gerade diese Zwangsläufigkeit, die
dem Leser und auch den handelnden Personen später eine gewisse Hoffnung
auf ein gutes Ausgehen der Geschichte gibt. Obwohl natürlich das gute
Ausgehen nicht für alle feststeht. So ist es am Ende nicht verwunderlich,
daß Uldin heldenhaft kämpfend stirbt und sich Erissa und Duncan
dann doch wieder trennen müssen - Erissa, die in ihrer Zeit bleibt,
und Duncan, der zusammen mit Oleg gerettet und in seine Zeit zurückgebracht
wird.
Es ist recht interessant, wie Anderson die Welt vor der griechischen
Antike schildert, wie er versucht, die Überlieferungen, Legenden und
Sagen zu relativieren, in einem anderen Licht erscheinen zu lassen, als
wir sie kennen - nicht weil er es vielleicht besser zu wissen glaubt, sondern
einfach, um zu zeigen, daß immer die Sieger die Geschichte schreiben
und das auch schon zu Homers Zeiten getan haben. (Ein geradezu beklemmend
aktueller Gedanke, zwanzig Jahre nach Erscheinen des Buches.) Nach Andersons
Meinung könnte alles ja ganz anders gewesen sein. Nicht die Griechen
waren "die Guten", sondern es war eigentlich die höher stehende Zivilisation
der Kreter und Atlanter, die durch die noch barbarischen Griechen vernichtet
wurde, um in deren Zivilisation später aufzugehen, und schließlich
die griechische Hochkultur hervorzubringen, bevor diese wieder vor dem
Ansturm neuer Barbaren (die Römer waren das, glaube ich) zerfallen
mußte.
"Die Tänzerin von Atlantis" ist zweifellos ein gut lesbares, abenteuerliches
Buch; allerdings auch ohne allzugroßen philosophischen Tiefgang.
Es setzt nicht unbedingt neue Akzente in der SF - ob es das 1971 getan
hat, kann ich jetzt natürlich nicht mehr beurteilen - aber die Handlung
ist logisch und folgerichtig, selbst für eine Zeitreisenhandlung,
die ja eigentlich überhaupt nicht logisch sein kann. Sie führt
sogar zu einem Happy End.
Ein wenig überbetont erschienen mir die wiederholten Reflexionen
des Haupthelden Duncan Reid über die Beziehung zu seiner eigentlichen
Frau, die er im 20. Jahrhundert zurücklassen mußte, über
eine Ehe, die dabei ist, zu scheitern, und schließlich das Ende des
Buches, wo er mittels seiner neu gewonnenen Erfahrungen versuchen wird,
diese Ehe zu retten. Möglicherweise hatte Anderson gerade zu dieser
Zeit entsprechende Probleme, aber wie gesagt, mir erschienen sie ein klein
wenig überbetont.
In einer Auffassung weicht Anderson von der traditionellen Zeitreisegeschichte
ab, jedenfalls vom überwiegenden Teil dieser Geschichten. Er stellt
durch die Handlung dar, daß die Zukunft eigentlich nicht aus der
Vergangenheit veränderlich ist. Was die Helden auch immer tun, sie
sind gefangen in der Zeitschleife, oder wie auf dem ausnahmsweise zutreffenden
Umschlagtext zu lesen ist, es "ist alles Bemühen vergeblich wie das
Flattern eines Vogels im Käfig der Zeit." Dem Autoren dieses Klappentextes
müßte man den Buchrückseiten-Award zuerkennen.
Sie sind in der Zeitschleife, im Zeitkreis gefangen, und was sie auch
tun, es stellt sich am Ende heraus, daß daraus immer nur die vor
allem Duncan und Erissa bekannte Vergangenheit resultieren wird. Selbst
eine scheinbare Abweichung, die sich in den chaotischen Zuständen
des Unterganges von Atlantis entwickelt, wird kurz darauf als tatsächliche
Wiederholung der für Erissa schon abgelaufenen Vergangenheit entlarvt.
Normalerweise ist es ja so, daß anachronistische Handlungen in
der Vergangenheit bewirken, daß sich in der Zukunft irgendetwas ändert,
sogar eine Zeitkatastrophe entwickelt. Das passiert in diesem Fall nicht,
der Kreis schließt sich in diesem Fall vollständig, obwohl Uldin,
der Hunne aus dem 4. Jahrhundert, in der Vergangenhet umkommt und nicht
wieder zurückkehrt, ändert sich nichts Offensichtliches bei Duncan
Reid im 20. Jahrhundert. Ob sich Anderson damit etwas vergeben hat, oder
ob er diese Form bewußt wählte, wird man sicher nicht einfach
entscheiden können. Diese von der Masse anderer Zeitreisen abweichende
Darstellung tut dem Roman keinen Abbruch.
Als Roman hat es das Buch sicher nicht nötig, auf eine Pointe
hinzuarbeiten. Es hätte die Möglichkeit einer wirksamen Pointe
gegeben, denn da sich der Kreis schließt und Duncan wieder mit seiner
Frau zusammentrifft, hätte man hier einige Kleinigkeiten einbauen
können. Ich habe Schluß und Anfang aufmerksam gelesen, aber
nichts gefunden. Anscheinend Absicht des Autors.
SX 31
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