Ralf Winter: Das Herz des Stroms
Ralf Winter: Das Herz des Stroms
(Heyne 06/5006)
Der Name Ralf Winter kam mir gleich so unbekannt vor. Ein Debütroman
also? Jedenfalls machte ich mich ans Lesen, obwohl der Text auf der Buchrückseite
für meinen Geschmack nicht gerade Aufregendes versprach. Hexenjäger
Aal trifft Hexe, die sich als seine Tochter herausstellt. Qualvolle Verstrickung
beginnt. Ich habe etwas gegen solche "fanatischen Glaubenslehrer", wie
der Hexenjäger einer sein sollte. Fanatische Religiösität
an sich stößt mich ab. Vermutlich, weil ich sie nicht verstehe.
Aber - wie auch in dem Roman herausgestellt wird - fanatischer Glaube bedeutet
außerdem meist Ignoranz und Dummheit. Und das erinnert mich dann
doch zu sehr an die Realität, um mir in einem Fantasy-Roman zu gefallen.
Trotzdem begann ich das Buch. Es handelt von Ninh, einem gerade fünfzehnjährigen
Mädchen, das von zu Hause wegläuft, als es an einen reichen Geldverleiher
verkauft werden soll (und keineswegs von einem Hexenjäger, wie der
Rücktitel glauben macht). Diese Ninh ist dermaßen naiv, daß
es völlig unglaubwürdig wirkt. Es ist einfach nicht möglich,
sich vorzustellen, daß jemand, der unter den geschilderten Umständen
in einem Dorf dieser pseudomittelalterlichen Welt lebt, so ignorant durchs
Leben stolpern kann.
Die Geschichte beginnt scheinbar erst bei der Flucht richtig, denn
vorher hängt das Girl nur unentschlossen rum und träumt in den
Tag, obwohl sie weiß, was ihr blüht. Doch selbst danach schleppt
sich die Story zusammenhanglos und verworren dahin. Rasch kommt Langeweile
auf, die manchmal von Ärger über die unsinnigen, dummen Handlungen
des Mädchens abgelöst wird. Und dann dreht sich eine Weile auch
noch alles nur darum, was für Ekelgestalten mit ihr schlafen wollen
und es zum Teil auch tun. Winter beschreibt eine zutiefst abstoßende
Szenerie voller dumpfem Aberglauben, hysterischem Hexenwahn, Dummheit und
Gewalt, eine Welt, die jedes übernatürliche Element - das eigentlich
einen Fantasy-Roman ausmachen sollte (oder liege ich da falsch?) - vermissen
läßt. Und er macht das nicht mal stilistisch besonders gut.
Zeitweise hatte ich den Eindruck, der Autor wolle eigentlich etwas über
die religiösen Abartigkeiten des Mittelalters so um das 13. Jahrhundert
schreiben, war aber zu faul, um für einen richtigen historischen Roman
zu recherchieren. Ihm zu unterstellen, er habe seine sexuellen Probleme
ausleben wollen, wäre eine andere Antwort auf die Frage, was das alles
nun eigentlich sollte.
Für eine Hauptfigur ist Ninh entschieden zu passiv angelegt. Sie
treibt regelrecht dahin, es sind immer andere, die sie aus unerklärlichen
Gründen irgendwohin bringen, die sie benutzen und ausbeuten wollen.
Kaum daß sie sich von den einen gelöst hat, stolpert sie dem
nächsten in die Arme.
Im Laufe der Zeit redet man ihr mehr ein, als sie es von sich aus entdeckt,
daß sie eine Hexe ist und besondere Fähigkeiten besitzt. Allerdings
könnte man bis zum Schluß alles, was da an "Geheimnisvollem"
geschieht, auch ganz natürlich erklären. Dann wird sie plötzlich,
ohne jede Vorwarnung, als Hexe festgenommen, kommt aber wieder frei und
landet schließlich in einem Kloster, das verflucht ist. Vielleicht
hoffte der Autor, daß kaum ein Leser bis hierher vorstoßen
würde, denn nun beginnt er schamlos bei Eco zu klauen. Da sind finstere
Mönche - egal, daß er sie "Glaubensbrüder" nennt - die
mit den Dorfmädchen ihren Spaß haben, eine geheime Bibliothek
mitsamt Labyrinth, ein oder zwei verbotene Bücher...
Wieder will sie ein Hexenjäger abfackeln, der sich quasi nebenbei
als ihr Vater zu erkennen gibt. Aber das hat keine Bedeutung für ihn,
er hat sie, wie er sagt, sowieso nur "geschaffen", damit sie sich zur Hexe
entwickelt, die er dann zu seinem eigenen Ruhme anzündeln kann. Also
keinerlei "qualvolle Verstrickung". In dem besagten Labyrinth begegnet
Ninh komischerweise noch einem Dämon, der mit dem Fluch zusammenhängt,
dann lodert der Scheiterhaufen, ein Erdrutsch löscht die Flammen,
ein Typ rettet sie und sie reiten in den Sonnenuntergang oder was weiß
denn ich wohin.
So ein hanebüchener Blödsinn aber auch!
Das Buch ist nicht nur langweilig, es ist auch völlig wirr und
konzeptionslos. Manchmal deutet der Autor tatsächliche übernatürliche
Erscheinungen an, um sie eine halbe Seite später schon wieder in Frage
zu stellen, z.B. kommt eine Art Voodoozauber vor. Wenn das seine Vorstellung
von suspense ist, dann danke auch schön. Als ein Buch gegen
Aberglauben und Hexenwahn kann ich das Werk denn auch nicht akzeptieren.
Zu unentschlossen schwankt Winter zwischen dem armen Opfer der Blödheit
der Menschen und der wirklichen Hexenkönigin.
Die Welt, in der alles spielt, ist flüchtig hingeklatscht: ein
Fluß (natürlich!), diverse Reiche, eine selbstherrliche Religion
mit Gut und Böse, Bauern, Herren und Mönche. Platter und flacher
ging es kaum. Dazu kommt, daß der Autor geradezu schwachsinnige Namen
für seine Göttergestalten wählte. Der Obergute heißt
Aal, ja, wie der Fisch. Und nein, Aal ist nicht der Hexenjägermeister-Oberförster,
wie der Buchrücken verkündet. Der Unterböse heißt
Zuul, und falls einem dazu nur die Ghostbusters Teil 1 einfallen, ist das
wohl etwas unangemessen für dieses Buch. (Wenkman: "Hallo, Zuuli,
altes Haus! Wie gehts denn so?") Vielleicht kommt Aal ja von Baal, was
auch nicht auf großen Einfallsreichtum schließen läßt,
und Zuul schlich sich übers Unterbewußtsein ein. Doch es liegt
nicht an den Kleinigkeiten, wenn mir das Buch nicht gefällt. Dieser
Roman ist ganz einfach schlecht.
Was soll man von so etwas halten - willkürlich aufgeschlagen:
"Als die Gegner dann angriffen, sprang er mit unerwarteter Schnelligkeit
zur Seite und entriß einem Wächter das Schwert, um es ihm gleich
darauf in den Bauch zu stoßen. Der Mann sackte in sich zusammen."
Ja, hätte er warten sollen, bevor er den armen Kerl pieckste? Der
war eh nur eine aufgeblasene Hülle, so wie er in sich zusammensackt.
Das ist so etwa Herrn Winters Vorstellung von Aktion: Schwert in Bauch
und - "Tjosna jubelte lauthals".
Wieder einmal ein Beitrag zum Thema: Ach wie öde ist deutsche
Phantastik? Vielleicht habe ich ja nur das "Anliegen des Autors" nicht
verstanden. Genausowenig wie den Titel.
[Ralf Winter 1993, 283 Seiten, DM 12.80]
SX 39
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