Reinhardt O. Hahn / Klaus-Dieter Loetzke: Noah II

Reinhardt O. Hahn / Klaus-Dieter Loetzke: Noah II


Das Positive soll man zuerst nennen: Sehr weltoffen schreibt der Verlag "Science fiction - Roman" auf den Umschlag des Buches, dessen Gestaltung durch Stefan Duda sehr auffällig an die von Schulz/ Labowski bekannten Collagen erinnert, was ja nicht unbedingt von Nachteil ist.
Nun zu den kritischen Anmerkungen.
Die Fabel des Romans kann nicht ihre deutliche Verwandschaft mit den Lorenzschen Hommunkuli verleugnen. Hier wie dort böse Klongeschöpfe, in denen "ganz von selbst" doch letzten Endes das Gute siegt. Bei entsprechender Unterstützung durch angemessen fortschrittliche Kräfte, die sich auch als ehemalige Klons oder sogar deren bekehrte Erzeuger erweisen, wie bei Hahn/Loetzke. Leider - wie man sagen muß - endet damit die Verwandschaftsbeziehung der beiden Bücher. Gibt es bei Lorenz noch eine größtenteils interessante Handlung, so existiert diese in "Noah II" nur sehr fragmentarisch. Zeitlich gestaffelte Ebenen der Erzählung tragen eher zur Verwirrung des Lesers bei. In der erzählerischen Gegenwart lebt nur die erlebende Person Babette Fourier; man kann sie beim besten Willen nicht als handelnd bezeichnen. Die Aktionen um das Raumschiff LYR sind vom Ereignisvordergrund so weit abgerückt, daß sie ebenfalls nicht als tragende Handlung angesehen werden können, sie treten überdies nur am Schluß des Buches auf. Alle anderen Ebenen der Erzählung erscheinen als Bericht aus der Vergangenheit oder sogar als Erinnerungen in diesem Bericht, der selbst eine Erinnerung ist. Paradoxerweise stellen diese Passagen die interessantesten, weil fesselndsten des Romans dar. Ein "spannender Bericht einer abenteuerlichen Flucht", wie in der Inhaltszusammenfassung angekündigt, ist das nun aber doch nicht. Eher eine konfuse und undurchsichtige Aneinanderreihung von Episoden. Der Handlungsstrang der Flucht des Klons, der den Leser gerade so weit interessiert, daß er bereit ist, Nebensächlichkeiten wie die Babette-"Handlung" hinzunehmen und weiter zu lesen, endet enttäuschend. Erstens ist der positive Fluchtausgang von Anfang an vorweggenommen, so daß ein dringend benötigtes Spannungselement verschenkt wird, zweitens gibt es fast keine echten Probleme zu bewältigen (außer unerklärlichen Schwächeanwandlungen des Helden, die wohl Rauschmittelentzug andeuten sollen) und drittens bricht die Fluchthandlung mit der lapidaren Bemerkung ab, sie habe dann ja bekanntlich zum Sturz der Regierung geführt. Ebensogut hätte man schreiben können, der Leser wisse das ja sowieso schon. Haben die Autoren hier entnervt aufgegeben, auf ein bereits mehrfach vorgezeichnetes Ende zuzusteuern? Es zeugt außerdem von einer gewissen politischen Naivität, anzunehmen, daß eine Regierung in dieser Weise zu stürzen sei, ganz zu schweigen vom angedeuteten Zusammenbruch eines Gesellschaftssystems.
Wie schon angeführt, die Babette-Handlung hat nur eine Monitor-Funktion. Ihre Personage wirkt von allen Strukturen des Romans am wenigsten überzeugend, hölzern und fragwürdig. Aussprüche in Zeitungsdeutsch ersetzen Dialoge. Das alles findet nur im Raum der Babette statt, die sich mit dem Bericht des Klons wie mit ihrer Nahrung von einem "intelligenten" Computer versorgen läßt und sonst praktisch isoliert ist. Die Beziehung zu diesem Computer ist die einzige auf jener Erzählebene und gipfelt am Ende im Chaos. Der Computer faselt etwas von "Endlösung" und gibt seinen Geist auf. Na ja, wenn er sich schon über seinen Namen ärgert... Was das soll, bleibt unklar.
Die Figuren des Romans bleiben schemenhaft, einzig der Klon tritt als Erzähler und "Mann der Aktion" ein wenig hervor. Wer nun der Held des Romans sein soll, die Identifikationsfigur, bleibt schleierhaft wie vieles andere auch. Beispielsweise, warum erst Babette erforderlich war, um dem Raumschiff LYR über den komplizierten Umweg Bericht - Computer - Oberstes Parlament Informationen zuzuleiten, die aber von Besatzungsmitgliedern des Raumschiffes, nämlich ihren Eltern, hinterlassen wurden. Dieser gesamte Aspekt erscheint in höchstem Maße unglaubwürdig, genau wie auch die ganze Heimlichtuerei des Parlaments. In einer Gesellschaft, wo jeder innerhalb von Minutenfrist mit einem Parlamentsmitglied sprechen kann, ist das geradezu widersinnig.
Man darf hoffen, daß sich Hahn und Loetzke in ihrem vielleicht nächsten Werk nicht wieder ins All begeben, denn in allen Passagen, wo sie es nicht vermeiden konnten, offenbaren sie eine verblüffende Inkompetenz. Wie lange wohl wird es noch SF-Schriftsteller geben, die ihre Raumschiffe a’la O.W.Gail "ins All schießen"? (Seite 18) Fiel den Autoren wirklich kein anderer Name für den Schemen ihres Kommandanten ein, als Valeri, verzeihung, Vitali Bykowski? (S. 127) Wie macht es ein Raumschiff, das aus nicht näher erläuterten Gründen Raumkugel heißt, seine Geschwindigkeit im All ohne Antrieb ständig zu verringern? (S. 127) Wird es etwa von einer Spur mittelalterlichen Weltäthers gebremst? Interessant die Methode der LYR- Raumfahrer, den Bordfunk der NOAH II mitzuhören und sogar zu entschlüsseln. Verwechselt man da nicht Funk mit Funk? An Bord eines Raumschiffes dürfte die Verständigung mittels Radiowellen jedenfalls schwerfallen. (S. 128) Leider auch nicht erklärt wurde die "Eigengravitation" der Raumkugel. (S. 184) Vielleicht wurde sie notwendig, um den Widerspruch zwischen der früher erwähnten Schwerelosigkeit (was wird aus Mutanten, die unter diesen Bedingungen entstehen...?) und dem recht festen Auftreten der Raumfahrer bei deren Begegnung in der NOAH II zu umgehen. Sollte die "Gravitation" durch Rotation erzeugt werden (wobei sie gar keine mehr wäre), könnten sich bei der Kugelform des Schiffes nicht unbedeutende Schwierigkeiten einstellen. Doch einmal umgangen, lassen die Autoren das Problem geschickt verschwinden. Der Leser ist ja so dankbar, daß er nun alles erklären kann: Eigengravitation, und damit hat sichs! Was mögen die Autoren allerdings unter dem "Sternengroßraum" der Leier verstehen? (S. 130) Ein Sternbild, oder brauchten sie nur mal schnell einen großdeutsch klingenden Begriff, um ihre Negativen zu "charakterisieren"? Die bedrohlichen "Lichtfinger" der Laser (S. 186) gemahnen nun endgültig an triviale Machwerke, die gut geeignet sind, die SF als den rechten Schund zu diffamieren. Im Vakuum des Alls gibt es keine Lichtfinger, wie es auch keine zischend dahinschießenden Himmelskörper, keine dröhnenden und brummenden Raumschiffe oder beim Flug auf den Betrachter zurasenden Sterne gibt. Man sollte wirklich die Effekte schlechter SF-Filme vergessen, wenn man ein Buch zu schreiben sich anschickt. 

SX 5

 

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