Richard Henrick: Vampire in Moscow

Richard Henrick: Vampire in Moscow
(TSR Books 1988, 382 Seiten, $ 3.95)


Man müßte einmal auflisten, wie viele Bücher neueren Datums inzwischen hoffnungslos von der Zeit überholt worden sind. Jedenfalls in Bezug auf die gesellschaftlichen oder politischen Zustände in den Ländern des ehemaligen Ostblocks. Das 1988 erschienene Buch "Vampir in Moskau" schildert die Sowjetunion noch beim Stand der frühen oder mittleren 80er Jahre. Das irritiert natürlich ein wenig, aber da kann man eben nichts machen.
Der Übertitel "St. John The Pursuer" (Sankt Johannes der Verfolger) scheint darauf hinzudeuten, daß der Roman nur einer in einer Reihe ist, aber es konnten keine weiteren Hinweise auf andere Bücher gefunden werden. Jedenfalls steht das Buch ausreichend für sich selbst.
Die Handlung beginnt im Jahre 54, als ein junger Mensch aus den Karpaten in Rom in die Christenverfolgung Neros verwickelt wird und schließlich bei Sankt Johannes und ein paar anderen Jüngern auf einer Insel landet. Diese Urchristen gründen einen Orden von Kriegerpriestern, deren einziger Zweck es ist, auf die Wiederkunft des ... Satans zu warten - um ihn mittels einer aus dem Kreuz des Herrn gefertigten Lanze wieder in seinen tausendjährigen Schlaf zu schicken. In der folgenden Handlung, die in der Sowjetunion unserer (nicht lange zurückliegenden) Zeit spielt, wird klar, daß das gefangene Böse um das Jahr 1000 tatsächlich gelebt hat. Die Ordensbrüder vernichteten es und schlossen es in einen steinernen Sarkophag ein.
Dieser wird nun zufällig in den Karpaten von der Armee ausgegraben und nach Moskau geschickt. Henrick zieht hier schon an den Registern des Horrors, wenn er die öde Bergwelt mit ihrem strömenden Regen beschreibt, wenn ein Leutnant von dem abrutschenden Sarkophag zerdrückt wird und dessen Blut über die Runen läuft, die - wie sich später herausstellt - die Zahl des Tiers bedeuten: 666.
Aber er wird auch hier schon unlogisch. Nicht, daß ein Horror-Roman immer logisch sein muß, aber man wundert sich doch, was das für eine Bestie war, die einer Nebenperson heulend im Wald begegnet, wenn der Böse selbst erst in Moskau zum Leben erwacht.
Die Mönche vom Orden des Hlg. Johannes in einem nahen Kloster erfahren zu spät von dem Fund und schicken einen der ihren mit dem heiligen Speer nach Moskau, um zu prüfen, ob ihre Befürchtungen wahr sind.
Ein trunkener Museumswärter öffnet den Steinsarg derweil und siehe: eine Gestalt entsteigt ihm. Es war für mich eine kleine Enttäuschung, daß das Wesen, was da zum Leben erwachte, offenbar nicht Satan persönlich war, sondern "nur" ein Vampir. Hier stößt man auf die nächste Unlogik des Buches. Während der Heilige Johannes davon zu sprechen scheint, daß Gottes Gegenspieler für tausend Jahre gefangen gesetzt wurde, um dann wieder zu erwachen, sieht es später so aus, als ob Vladimir Dolgoruki, der Sohn des Gründers von Moskau übrigens, das Opfer von trivialem ansteckenden Vampirismus wurde. Er ist es, der dem Sarg entsteigt und erst mal den Wachmann auslutscht. Ich kam mit dieser biblischen Verwirrung nicht ganz zurecht, muß ich gestehen. Angedeutet wird zwar einmal, daß nicht er die Inkarnation des Bösen sei, sondern z.B. solche Leute wie Hitler und Stalin, aber das wird gleich wieder relativiert. Irgendwo fehlt eine eindeutigere Definition des bösen Wesens, das nun beginnt, die Katakomben unter Moskau heimzusuchen.
Allerdings kann man darüber hinwegsehen, denn die Handlung fesselt enorm. Zwei russiche Kriminalisten und ein amerikanischer Linguist, der zu Forschungszwecken am Kulturinstitut weilt, werden zu den Hauptfiguren. Überhaupt ist die Handlung sehr stark auf verschiedene Charaktere verteilt. Selbst das Monster hat seinen Teil als aktiver Handlungsträger. Dadurch werden verschiedene Perspektiven möglich, wobei die beiden Kriminalisten in der Wichtigkeit der Personen leicht hervorragen.
Nach mehreren brutalen Morden (der Autor bringt es allerdings nicht fertig, auch das "unschuldige" 16jährige Mädchen sterben zu lassen) kommt es zum Showdown - ausgerechnet auf der Tribüne über dem Leninmausoleum. Vlad Dolgoruki wird vom Amerikaner mit dem heiligen Speer besiegt. Der KGB breitet den üblichen Mantel des Schweigens über alles und Ende.
Für einen Amerikaner muß die Beschreibung russischen Milleus faszinierend echt wirken. Henrick läßt ständig Details einfließen, die eine gute Kenntnis des Landes vermuten lassen. Blickt man jedoch tiefer, kommen schon Zweifel auf. Vielleicht stammen diese Einsichten doch eher aus dem Moskauer Telefonbuch, einem Stadtplan und einem russischen Kochbuch. Kein Vorwurf! Henrick hat sich ehrlich bemüht, einen Ort für seinen Roman zu schaffen, der dem Durchschnittsamerikaner exotischer erscheinen mußte als der Mars. Daß er dabei ein paar kleine Fehler und Übertreibungen machte, kann man ihn schwerlich zur Last legen. Nicht jeder kann schließlich wie Norman Spinrad nach Moskau reisen, um für ein Buch wie "Russian Spring" zu recherchieren.
Einige solche Fehler beziehen sich auf eine bestimmte Terminologie. Keiner wird in der Sowjetunion in Redewendungen wie "Um Gottes willen", "Bei Gott" oder ähnlichen einfach nur Lenins Namen eingesetzt haben. Ein Amerikaner wird von den Sowjetbürgern schwerlich "Genosse" genannt worden sein, sondern eher "Gospodin" (Herr). Und die Armee, die im 16. Jahrhundert auf russischem Boden focht, war sicher nicht die Sowjetarmee. Wenn man ein wenig mehr Einblick hat, lächelt man schon mal über solche Verwirrungen.
Henricks Buch ist sehr christlich geprägt. Es nimmt die Religion ernst. Entsprechend greift er mit ihm auch die bösen Kommunisten an, die in ihrem Lande die Kirchen unterdrücken und vernichten wollen. Sicher übertreibt er mit seiner Darstellung, wenn ich auch inzwischen mit dem vorsichtig geworden bin, was ich in der Sowjetunion für unmöglich so geschehen halte.
Steht der Roman auch auf ideologisch nicht ganz festen Füßen, so besticht er doch durch sein Ambiente und die spannende Handlung. Unterirdische Katakomben, ein geheimnisvolles Wesen und eine mächtige religiöse Reliquie, Polizeiarbeit und Verfolgungsjagden, jede Menge Ratten und Blut: das ist der Stoff, aus dem Alpträume sind. Dazu kommen ein Schuß alte Sowjetunion mit ihrem Machtapparatschiks, fiese Vorgesetzte (die genauso stur und dumm dargestellt sind wie der durchschnittliche amerikanische Ober-Cop) und ein paar Helden wider Willen.
Das Buch hat schon seine fragwürdigen Stellen, es ist aber von der Idee und Ausführung noch weit besser, als manches andere, das ich gelesen habe.

Richard Henrick schloß 1971 die Universität von Missouri mit einem Titel in Frühgeschichte ab. Er komponierte eine Rockoper mit dem Titel "Bloody Monday", in der es um die Geburt des Antichrist geht und die auf einem Friedhof handelt. Sie war ein Erfolg. In L.A. arbeitet er in der Filmbranche und als Publizist. Seine gegenwärtigen Interessen gehen von nuklearer Kriegsführung bis zum Okkulten. (sic) Weitere Bücher von ihm sind "Silent Warriors" und "Counterforce", die möglicherweise mit St. John zusammenhängen. 

SX 51

 

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