Richard Paul Russo: Inner Eclipse

Richard Paul Russo: Inner Eclipse
(Grafton Books, 1988)


Eine schöne, grüne Dschungellandschaft hinter dem Vordergrund eines merkwürdig aussehenden Berges gibt auf dem Einband des Buches eine - wenn auch falsche - Vorstellung vom Handlungsort. Zumindest der wie ein Menschenkopf aussehende Berg spielt darin nämlich gar keine Rolle. Aber seien wir nicht kleinlich. Die Illustration von Geoff Taylor war interessant genug für mich, um das Buch zu kaufen.
"Inner Eclipse" bedeutet soviel wie "innere Verfinsterung", und zustoßen tut diese dem Empathen Erster Ordnung, Benedict Saltow. Als Empath ist er in der Lage, Gefühle anderer Menschen zu fühlen, nicht etwa Gedanken zu lesen. Aber er hat ein Problem damit, denn seine mentalen Schilde brechen in immer kürzeren Abständen in Form von Anfällen zusammen, so daß er ungefiltert den Emotionen seiner Umgebung ausgesetzt ist. Saltow lebt jedoch in einer Welt, wo das kein besonderes Vergnügen ist. Er ist umgeben von einer Flut aus Gier, Neid, Haß und Gewalt. Trotzdem ist es nicht etwa unsere Welt, wie man jetzt leicht vermuten könnte. Der Empath lebt in einer recht fortgeschrittenen SF-Welt vom Typ einer galaktischen Föderation. Viele Planeten sind besiedelt, Handel und Wandel blühen, Raumfahrt ist Alltag. Soviel zum Umfeld, das ist nämlich nur Hintergrund. Wichtiger sind dem Autor seine Gestalten.
Saltow sitzt in einer Orbitalstadt herum und ist deprimiert. Unlängst war er an einer planetaren Revolution beteiligt, deren siegreicher Ausgang eine ziemliche Enttäuschung für ihn war. Seitdem hat er auch seine Anfälle. Nun kommt ein finsterer Bösewicht namens Ryker daher, der ihn auffordert, an einem Unternehmen mitzuwirken, das angeblich auf einer schon zum Teil besiedelten Welt nach einer vernunftbegabten Rasse eingeborener Aliens suchen will. Obwohl er den psychopathischen Gewalttäter Ryker von Anfang an verabscheut, beteiligt er sich an der Expedition; in der Hoffnung, den Emotionen der Menschen bei den Aliens entfliehen zu können.
Auf der Zielwelt Nachtschatten stellt sich heraus, daß dieser Planet von der Flex-Industrie beherrscht wird. Flex ist eine tödliche Droge, von der man sich nicht mehr lösen kann, wenn man erst mal über einen bestimmten Punkt hinaus ist. Flex wird auf Nachtschatten gewonnen. Es verwundert weder Saltow noch den Leser, als klar wird, daß die Expedition zu den Aliens letztlich das wahre Ziel verfolgt, diese für die Flexgewinnung auszubeuten.
Mit von der Partie sind noch Renata, eine Abenteuerin, und Gerard, ein Flexsucher. Bevor die kleine Gruppe in den Urwald aufbricht, halten sie sich noch eine Weile in der wichtigsten Stadt des Planeten, Riotmark, auf. Hier lernt Saltow Silky kennen, eine vierzehnjährige Flexabhängige. Es entwickelt sich eine seltsame Beziehung zwischen den beiden. Silky bittet ihn schließlich sogar, sie zu töten, wenn der Moment käme, wo sie nur noch als psychisches Wrack dahinvegetiert. Doch er verläßt sie, um mit den anderen in den Dschungel zu gehen.
Während die Gruppe immer tiefer in die größtenteils unerforschten Regionen des Waldes vorstößt, spitzt sich das Verhältnis zum Anführer Ryker weiter zu. Alle drei Mitglieder der Expedition lehnen ihn ab, doch er allein weiß alles über das Ziel, und außerdem hat jeder der anderen seine eigenen Gründe, weiter mitzumachen. Also geschieht nichts. Die Katastrophe ist schließlich unausweichlich, kam aber dann doch nicht so, wie ich sie erwartete. Nicht der auch ganz schön abgebrühte Saltow oder der Flexsucher Gerard konfrontieren Ryker letzten Endes. Eine richtige Konfrontation oder ein Showdown kommt gar nicht. Nachdem Ryker unterwegs eine andere Gruppe mit dem selben Ziel kaltblütig umbrachte, gelangen sie zu dem Ort, wo die Aliens sein sollen. Es muß aber auch noch Gerard von ihm getötet werden - der jetzt seine Schuldigkeit als Führer getan hat - damit sich die beiden anderen offen gegen ihn stellen. Renata erschießt Ryker. Kurz und knapp, einfach so, ohne viel Gewese. Er kommt von seiner Mordtat zurück, und sie ballert ihn über den Haufen. Fertig.
Um diesen Punkt zu verstehen - anticlimax nennt man das auf Englisch - muß man etwas über die Stimmung des Buches wissen.
Das Buch ist durchaus spannend, wie man es von einem Abenteuerroman erwartet. Aber die geschilderte Welt vermittelt, vor allem durch das Empfinden des Empathen Saltow, eine dichte Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit. Nicht ohne Grund erwähnt Saltow oft seine Depressionen. Das Wesen Mensch ist für ihn etwas zutiefst abstoßendes. Nur von der Hoffnung auf die Aliens vorangetrieben, wandert er in passiver Lethargie hinter Ryker her, aber auch ohne selbst noch etwas gegen das Böse zu tun - wie er es offenbar bei dieser Revolution getan hat.
Saltow findet seine Aliens, aber der Kontakt auf der Ebene der Empathie bringt nicht das, was er sich erhofft hat. Unter Einfluß der berauschenden Flexpflanze Lysium leben diese Wesen in einer anderen Realität. Ihre Gefühle bleiben unverständlich, mehr noch, die Kontaktversuche "brennen" Saltow aus. Er verliert seine Fähigkeit - das ist die innere Verfinsterung, auf die sich der Titel bezieht. Am Ende bleibt ihm nur noch die Rückkehr zu Silky, aber auch die nicht, um ihr helfen zu können, von der Droge wegzukommen, sondern um sie ihrem Wunsch gemäß zu töten, wenn es soweit ist. Auswegs- und Hoffnungslosigkeit auch hier. Die im Buch beschriebenen anderen Lebensmöglichkeiten wirken unsinnig und pathetisch, bieten keine Lösung an. Selbst die eindringlichste Erinnerung Saltows - an einen Freund, der sich aufopfert, um Kindern in den Slums dieser intergalaktischen Welt zu helfen - ist nur angetan, die Unmöglichkeit wirklicher Veränderung zu betonen. Symbol für diese Aussage ist auch die gescheiterte Revolution. Nicht sie selbst scheiterte allerdings, sondern ihre Ideale. Der Führer der "Guten" verwandelte sich sofort in einen "Bösen", als er die Macht hatte; er wollte sogar Saltow und seine anderen vorherigen Helfer töten lassen.
Das Buch ist einerseits eine recht spannende, wenn auch für das Genre nicht gerade besonders innovative Abenteuergeschichte, andererseits aber eine bittere Anklage des Menschen selbst. Hier zeigt ein Autor auf die dunkelsten Stellen der menschlichen Seele.
Das Buch ist nicht erschütternd, aber wenn man ein wenig über es nachdenkt, hinterläßt es ein unangenehmes Gefühl in einem. Vielleicht, weil man genau weiß, daß es alles stimmt.
 
SX 35


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