Robert A. Heinlein: Die Zahl des Tiers

Ein Haufen Mist!
Robert A. Heinlein: Die Zahl des Tiers
(Heyne 3796)


Ein Buch, das es unternimmt, den Leser in eine fiktive Welt des Autors zu entführen, ist ja nun nichts so neues mehr. Eines, das gleich mehrere Welten anderer Autoren als des eigentlichen Schreibers anbietet, könnte da schon interessanter werden.
Auf dem Klappentext dieses umfangreichen sogenannten "Alterswerkes" des bekannten Autoren Robert A. Heinlein ist zu lesen, daß die "Zahl des Tiers" - bekanntlich 666 -, bei Heinlein geschrieben als 6 hoch 6 hoch 6, die Anzahl der möglichen Universen sei, die je erdacht oder beschrieben wurden und werden, grob gerundet 10 hoch 28.
Einer der Helden, Jake (Jacob) Burroughs [!], hat eine Raum-Zeit-Maschine erfunden, so ist weiter auf der Buchrückseite zu lesen, die eine Gruppe von vier Personen tatsächlich in diese Universen bringen kann. Als ich dies las und dazu die schöne Aufmachung des Buches betrachtete, ein Bild von Jim Burns, noch dazu das Werk bei Reinhard Rauscher für den halben Preis zu haben war, konnte ich nicht widerstehen. Ich dachte mir, sehen wir mal, was Heinlein so aus den Welten anderer bekannter Autoren macht. Es wurden das Universum von "Doc" E.E. Smith, Asimov, das Land Oz, Barsoom, das Universum Niven/ Pournelles und das von Heinleins Lazarus Long angekündigt. Dann folgte die Aufforderung: "Begleiten Sie den berühmten Meister der SF auf seiner phantastischen Reise!" Das wollte ich gern tun, und ich begann zu lesen.
Ich muß leider sagen, "Die Zahl des Tiers", dieses Alterswerk Heinleins, war für mich eine sehr große Enttäuschung.
Im Grunde genommen besteht das Buch von etwa 630 Seiten aus einer ungeheuren Zahl von praktisch nichtssagenden, fürchterlich ermüdenden Dialogen zwischen den vier Protagonisten.
Nachdem diese Leute sich eine ganze Weile auf der Erde aufgehalten haben, in einem bunkerähnlichen Haus verborgen, da sie von grünen Außerirdischen verfolgt werden, die offenbar versuchen, die Benutzung der Raum-Zeit-Maschine zu verhindern, nachdem sie also einige Zeit auf der Erde weilten, begeben sie sich mit ihrem Superfahrzeug auf den Mars (eines anderen Universums), den sie einer Laune folgend Barsoom nennen, genau wie in den entsprechenden Marsromanen (von Burroughs?). Nun sind mir gerade diese Romane überhaupt nicht bekannt, und ich kann nicht einschätzen, inwieweit Barsoom dem Mars entspricht, den die Helden vorfinden, aber besonders beschrieben wird dieser ohnehin nicht.
Wie schon gesagt, eigentlich geschieht nichts anderes, als daß die Helden pausenlos aufeinander einreden, oder alternativ damit beschäftigt sind, durch noch sinnloseres Gefasel einen Bordcomputer des Flugmobils zu programmieren. Sie scheinen nicht ganz damit klarzukommen und denken sich immer neue Codewörter aus, um den Computer zu veranlassen, sie in bestimmten Situationen an bestimmte Plätze zu bringen, alles als mir übertrieben erscheinende Vorsichtsmaßnahmen gegen irgendwelche, oft nur eingebildete Gefahren.
Ganz dünn gesäht sind Episoden, wo die Helden wirklich auf andere Leute stoßen, aus den anderen Universen eben. Neben dem grünen Alien sind das in der ersten Hälfte des Buches hauptsächlich merkwürdige Russen und Briten, die den Mars besiedelt haben und unter dem Zaren bzw. dem Empire leben. Die bösen Aliens scheinen recht geschickt zu sein, sie sprengen Autos und Häuser und belegen sogar das bunkerähnliche Heim der vier Hauptpersonen mit einer Atombombe, andererseits schicken sie einen einzelnen, mit einer Pistole bewaffneten Mann vor, den die beiden männlichen Helden mit altertümlichen Säbeln niedermachen, bevor er Piep sagen kann. (Vielleicht wollte er ja nur nach Hause telefonieren?) Man vivisektiert mit dem Küchenmesser an der Leiche herum, sehr appetitlich, wenn dabei auch noch Sandwich gegessen wird. Wozu das dienen soll, bleibt geheim.
Auf Seite 270 begann ich ernsthaft zu überlegen, ob ich es mir antun sollte, auf die Gefahr dauernder Schäden hin den Rest auch noch zu lesen. Ein paar Abbildungen deuteten aber auf das Wunderland hin, was mir Hoffnung auf etwas interessanteres gab.
Heinlein hätte man sogar positiv anrechnen können, daß er den sogenannten kleinen Dingen große Aufmerksamkeit schenkt. Er schreibt von der Notwendigkeit, in der Enge des winzigen Raumschiffes zu leben, sich zu säubern und zu entsorgen, Sachen zu wechseln und Nahrungsmittel aufzubewahren. Allerdings übertreibt er hier maßlos, indem er ständig auf diesen Dingen, die mit einer Romanhandlung wohl so viel nicht zu tun haben, herumreitet.
Die Gespräche der Protagonisten selbst sind auch nicht gerade konstruktiv, sie benehmen sich wie Achtjährige und streiten sich einen großen Teil der Zeit immer wieder darüber, wer denn nun Kapitän des Schiffes spielen darf.
Eine gewisse Handlung ist ohnehin erst nach der 300. Seite zu bemerken, obwohl auch dann noch kaum etwas von einem Besuch in irgendwelchen erfunden Welten zu spüren ist. (Es kann natürlich sein, daß ich gerade die bis dahin beschriebene Welt nicht kenne. Es gibt jedoch keinerlei entsprechende Hinweise.) Daß etwas nicht stimmt, wird zum ersten Mal deutlich, als die Protagonisten in Oz landen, dem Zauberland von Lyman Frank Baum (nicht Wolkows!). Aber sie nehmen es mit absurder Gelassenheit hin, erkennen es und akzeptieren es. Ohne eine einzige Überlegung, daß ihre bis dahin gepflegte Theorie von den Paralleluniversen anscheinend falsch war!
Als nächstes springen die Helden dann in das Swiftsche Universum zu den Lilliputanern. Auch das wird ruhig hingenommen. Man sieht ein Segelschiff und weiß mit genialer Intuition, wo man ist...
Zu diesem Zeitpunkt beginnen die vier Leute nun endlich darüber nachzudenken, was mit ihnen passiert, und stellen flugs eine Theorie auf, die diese merkwürdigen Sprünge in fiktive Welten erklären soll. Statt Quantensprüngen werden Fiktionssprünge eingeführt, und fertig. Das ist nicht nur total unmotiviert und aus der Luft gegriffen, sondern auch in einem Wust von Dialogen begraben, in unverständlichen Sätzen der Protagonisten, die überhaupt nichts mit dem Problem zu tun haben. Nebenbei gesagt, streiten sie sich auf Seite 425 immer noch um das Amt des Kapitäns. Mittlerweile waren fast alle schon mal dran und hatten so ihre Probleme damit, den Haufen ausgeflippter Individualisten zu kommandieren. Diesen Aufhänger benutzt Heinlein wohl, um irgendwelche Beziehungskisten ins Spiel zu bringen, aber es gelingt ihm nicht. Es geht unheimlich auf die Nerven, daß sich diese Leute offenbar über nichts anderes unterhalten können, als über Sex und Nacktherumlaufen und ihre idiotischen Kleinkindprobleme mit der Kapitänspielerei.
Es scheint nun mit der angekündigten Reise durch die Universen der Fiktion richtig loszugehen. Man erfindet einen "pantheistischen Solipsismus" - noch mehr hohles Wortgeklingel - als Erklärung des Phänomens. Praktisch heißt das, man hat nur die Möglichkeit, in Universen zu gelangen, die von allen Teilnehmern gelesen worden sind. Rein zufällig sind diese nämlich Liebhaber der phantastischen Literatur, insbesondere wohl der, mit welcher Heinlein aufgewachsen sein könnte: Burroughs, Swift oder Baum...
Die Teilnehmer der Reise stimmen sozusagen ab, indem sie aufschreiben, was sie kennen (und gut finden), und was viermal getippt wurde, ist dann prompt die nächste Station.
Jetzt erst beginnt Heinlein mit dem, was mich zum Kauf des Buches veranlaßte, nämlich reihenweise phantastische Literatur zu zitieren, die ich sogar zum großen Teil kannte. Aber was macht der Meister daraus? Nachdem er etliche hundert Seiten vorher schon A. C. Clarke in einem Nebensatz vernichtete, er wurde bei einer "großen Säuberung" eliminiert, kommt nun I. Asimov dran, dessen Foundation-Trilogie von den Helden erwähnt wird. Aber sie kommt nicht durch, mit nur drei Stimmen ist das Universum verschlossen. (Heinlein selbst erhielt vier Stimmen, wenn auch für zwei verschiedene Bücher.) Irgendwie hatte ich den Eindruck, daß er seine berühmten Kollegen nicht so recht leiden konnte. Was dann über Asimov gesagt wird, ist einfach blöd und geschmacklos, keineswegs witzig. Außerdem gibt der Meister noch die Weisheit zum Besten, daß ein Autor, der aus anderen Gründen als für Geld schriebe, ein Dummkopf sein. Danke!
Vielleicht hat Heinlein an dieser Stelle gemerkt, daß seinem Buch der Faden fehlt, er erwähnt jetzt öfter wieder die bösen Aliens und die Notwendigkeit ihrer Bekämpfung. Aber auch diese Ansätze bleiben Stückwerk. Er konstruiert gleich noch einen zweiten Grund, warum man sich eilig durch verschiedene Universen bewegen muß. Die beiden Frauen sind inzwischen schwanger geworden, und man sucht Geburtshelfer, ungeachtet des Umstandes, daß eine solche Sache in der Regel neun Monate dauert und bestenfalls zwei Wochen vergangen sind.
Nachdem er sich nicht in das Foundation-Universum traute, schickt er seine Leute auf einen Trip in Alices Wunderland. Man begegnet dem weißen Kaninchen und - Schluß.
Die meisten Universen dieser Reise werden gar nicht besucht, sondern nur erwähnt, z.B. Darkover oder das Enterprise-Universum. Diese Reisen entarten immer mehr in eine Art Psychotrip. War das Buch am Anfang noch als technische SF zu lesen, so fragt man sich jetzt, nach welcher Physik das alles passiert, wenn es davon abhängt, was für Vorstellungen alle vier Reisenden z.B. von der Welt König Arturs haben, was für ein Stückwerk vor ihnen dann entsteht.
Das Nahrungsmittelproblem löst Heinlein nebenbei, in Oz schenkt ihnen die Fee Glinda schnell mal eine Art Tischleindeckdich (und eine sich magisch selbst entsorgende Toilette). Was hat das noch mit SF zu tun?
Es gibt einen Kontakt mit den Grauen Lensmen. Was dabei passiert, ist das Übliche. Man verheddert sich in unsinnige Diskussionen, genau wie auf dem Mars mit den Russen und Briten, bis ein Besatzungsmitglied genug davon hat und sie zu ihrer Basis zurück katapultiert.
Einen sehr großen Raum gibt Heinlein (natürlich) der Begegnung mit einem seiner eigenen Helden, mit Lazarus Long. Mit ihm konnte ich leider mangels Kenntnis des betreffenden Buches nichts anfangen. Wenn man das entsprechende Universum nicht schon kennt, ist man bei Heinlein hilflos.
Nach einer unendlichen Reihe von Dialogen und unmotivierten bzw. kindischen Handlungen strebt das Buch seinem Ende zu. Vielleicht ist "Die Leben des Lazarus Long" wirklich besser, aber eines weiß ich: Jetzt werde ich es auf keinen Fall mehr lesen.
In "Die Zahl des Tiers" gibt es noch ein großes, abschließendes Kapitel, welches - wenn das überhaupt noch möglich ist - eine Steigerung der Unverständlichkeit darstellt. Es geht da um einen "Kongreß der Interuniversalen Gesellschaft für Eschatologische Pantheistische Multiple-Ego Solipsismen." Schön, nicht? Das Kapitel gleicht einer Traumbeschreibung, eine zusammenhangslose "Handlung", die zu nichts führt, zu keinem Ende, zu keinem Abschluß, zu nichts.
Vielleicht hat ja Heinlein wirklich irgendwelche hintergründigen "wichtigen" Gedanken äußern wollen. Möglicherweise über das Verhältnis zwischen Ehepartnern, oder über SF und SF-Leser an sich, über Literaturkonsum; aber das alles kommt nicht durch. Es wird zugeschüttet. Selten hat mich ein Buch so sehr geärgert und enttäuscht. Ich weiß nicht, ob Heinlein der Senilität anheimgefallen ist, oder was der Grund für dieses Machwerk ist, ich hoffe nur, der Verlag, der 500000 Dollar für das Buch ausgab, kam sich genauso verarscht vor wie ich. 

SX 29


 

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