Robert N. Charrette: Trau keinem Elf
Robert N. Charrette: Trau keinem
Elf
Ich gebe zu, daß ich ein ausgesprochener Fan von Shadowrun bin,
insbesondere der Bücher aus der Feder (oder was auch immer) des Herrn
R. N. Charrettte. Die erste Trilogie - die Bände hängen inhaltlich
zusammen - die nachträglich als "Geheimnisse der Macht" bezeichnet
wird, gefiel mir sehr gut, was nicht heißen soll, daß mir andere
nicht gefielen. Ich habe mir die Bücher sogar gekauft, nachdem ich
sie geborgterweise schon gelesen hatte (Danke, Detlef!), und das will beim
heutigen Lese- und Sammelstreß schon etwas bedeuten.
Nun gibt es einen neuen Band von Charrette, der jedoch nicht die Trilogie
um Sam Verner fortsetzt, sondern von einem Ork namens Kham handelt. Verner
und seine Runs werden erwähnt, sie sind inzwischen fast schon ein
Mythos. Die einzigen Personen, die aus der ersten Trilogie übernomen
wurden, bleiben Nebenfiguren, obwohl der Autor einiges an Geheimnisvollem
vor allem der Figur des elfischen Deckers Dodger hinzufügt.
Kham ist der Jugendzeit bereits entwachsen und vom Stadium des Bandenführers
in das des echten Shadowrunners übergegangen. Er hatte sogar einen
gewissen Anteil an Sally Tsungs und Sam Verners legendären Runs. Nun
- da das Geschäft gerade nicht besonders läuft - läßt
er sich mit zwei Elfen ein, deren Grausamkeit in einer Art Prolog durch
eine häßliche Folterszene eindeutig determiniert ist. Er muß
es bereuen, wie man schon am Titel des Buches sehen kann. Die Elfen sind
hinter einem seltsamen Kristall her, den auch ein paar andere Gruppierungen
gern hätten. Zu allem Überfluß hat Kham dann auch noch
die fixe Idee, daß der Kristall für die Langlebigkeit der Elfen
verantwortlich ist. Das bringt ihn zu dem Entschluß, ihn für
sich und die Rasse der Orks zu beanspruchen.
Warum? Will er auch Jahrhunderte leben? Nein. Orks sind nämlich
mit der Lebenserwartung der Urmenschen "gesegnet". Mit Fünfunddreißig
sind sie schon hinfällige Greise! Kham hat Familie, und er begegnet
seiner total vergreisten Mutter, was ihn in seinem Entschluß bestärkt.
Gerade diese Motivation des Orks ist eine der stärksten Seiten des
Buches. Hier die Elfen mit ihrer Langlebigkeit, die immer geheimnistuerisch
auf ihr eigenes Wohl bedacht sind; und dort das Elend der verachteten Rasse
der nicht einfach sterblichen, sondern extrem kurzlebigen, häßlichen
Orks. Und beide sind vor nicht allzu langer Zeit aus dem Menschen hervorgegangen.
Die Handlung spinnt sich dann im wesentlichen darum, wie man den Kristall
sich verschafft, dafür fast umgebracht wird, und ihm dann nachjagt.
Mal hat die eine Partei das gute Stück - der echte Shadowrunner nennts
"Kiesel" - mal hats die andere. Bemerkenswert ist, wie der Autor ohne große
Philosophie, sondern über die aktionsreiche Handlung klarmacht, wie
jede der mächtigen Gruppen die Orks nur als Werkzeug benutzt, ohne
daß denen eine echte Wahl bleibt. Am Ende ist, den literarischen
Gesetzen folgend, natürlich Kham der ausschlaggebende Faktor in der
großen Rechnung. Doch die Handlung bleibt mehr oder weniger offen,
ein paar Stränge baumeln noch, wie man so schön sagt.
Das Buch ist zum großen Teil aus der Sicht von Leuten erzählt,
die in der ersten Trilogie Statisten waren. Natürlich handelt es sich
dabei um einen "dramaturgischen" Trick, die Verner-Handlung hatte sich
zunächst erschöpft. Andererseits macht ja gerade das die Shadowrun-Welt
aus: Im Megaplex Seattle lebt und wirkt natürlich nicht nur ein
herausragender Runner! Es schwindelt einen richtig, wenn man daran denkt,
was für Abenteuer in anderen Megaplexen oder irgendwo sonst auf dieser
erstaunlichen Welt geschehen - und noch keiner hat sie erzählt! Was
wundert es da, wenn H.J. Alpers es auf sich nimmt, den deutschen
Teil der Welt in den Schatten zu erzählen? (Wenn ich den Namen hätte,
der sich verkauft, würde ich vielleicht den ostdeutschen Teil
schreiben...) Ich wünsch ihm jedenfalls viel Glück. Genug Drek
haben wir hier ja eh schon.
Aber ich schweife ab. Man kann über das neueste Buch Charrettes
nicht viel mehr sagen, als daß es sich zu lesen lohnt, wenn man Shadowrun
liest. Jens Paulings und mein Artikel sollten etwas breiter angelegt sein,
sie sollten auf die ganze Welt des Shadowrun aufmerksam machen. Ein Buch
allein zu betrachten, hätte auch keinen Sinn. Denn wer einmal Gefallen
an einem Buch des Zyklus gefunden hat, kehrt bestimmt wieder in diese Welt
zurück. Sie stellt ganz einfach die geniale Verschmelzung von Cyberpunk,
Fantasy und Science Fiction dar. Und wer glaubt, das sei nicht möglich,
hat Shadowrun noch nicht probiert!
Also dann, die Klingen geschliffen, den Chrom poliert - und los gehts!
SX 45
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