Robert Silverberg: Der neue Frühling
Robert
Silverberg: Der neue Frühling
(Heyne 4894)
Silverberg bastelt an einer Trilogie, die wohl knapp an die 2000-Seiten-Grenze
heranreichen wird. Begonnen hatte alles mit einem Ende, "Am Ende des Winters"
nämlich, als das "Volk" aus seinem Höhlenbunker aufbricht, um
die Welt zurückzuerobern - wie seine Mitglieder glauben. Der Winter
hatte aber auch gar zu lange gedauert: 700000 (in Worten siebenhunderttausend)
Jahre. Grund für diese etwas ausgedehntere Abkühlung des irdischen
Klimas waren die Todessterne, eine Art Nemesis-Variante Silverbergs. Alle
zig Millionen Jahre verursachen sie eine Eiszeit, die einhergeht mit Meteoritenfällen
und sonstigen kataklysmischen Ereignissen. Das zyklische Weltbild läßt
schön grüßen.
Was das "Volk" im ersten Band erfahren muß, ist nicht nur, daß
es noch andere Gruppen von Überwinterern gibt, sondern auch, daß
sie nicht, wie sie glaubten, die Nachfahren der Menschen sind. Diese haben
vor dem Winter eine Geschichte von 26 Millionen Jahren Zivilisation (!)
hinter sich gehabt und gingen nicht etwa selbst in die Bunker, sondern
verließen offenbar die Erde. Das "Volk" des jungen Hresh stammt von
den Affen ab.
Silverberg geht ein Wagnis ein, auf das sich nur wenige SF-Autoren
einließen. Die Erde und eine irdische Zivilisation nicht in ein paar
Jahrhunderten, nicht in Jahrtausenden, sondern in Millionen von Jahren
zu schildern. An zwei Beispielen, nämlich Asimovs "Foundation" und
Herberts "Wüstenplanet", sieht man deutlich, wie kompliziert so etwas
sein kann. Beiden Autoren gelang es kaum, eine wirklich glaubhaft fern
in der Zukunft liegende Kultur zu schildern. Ja, sie griffen sogar auf
gesellschaftliche Strukturen des Mittelalters zurück, um ihre Welt
aufzubauen. Bei Silverberg dagegen hatte ich den Eindruck, daß es
ihm gelungen ist, die gewaltige zeitliche Entfernung greifbar zu machen.
Zwar wendet er den Kunstgriff an, die Menschen in den Mythos zu verbannen,
aber als solcher sind sie selbst in einer bloßen Ahnung ihrer wirklichen
Entwicklungsstufe noch eindrucksvoll genug. Es scheint, daß sie geradezu
gottgleiche Macht erlangten, denn sie schufen auf der Erde eine ganze Anzahl
weiterer intelligenter Rassen, von denen eine, die insektoiden Hijk zur
Zeit der Handlung noch existiert.
Im zweiten Teil der Trilogie, "Der neue Frühling", wird die Erzählung
über den Weg des "Volkes" und auch des Chronisten Hresh fortgesetzt.
Die Wesen haben die Nachfolge des Menschen auf der Erde, d.h. in einem
kleinen Gebiet der Erde, angetreten. Sie errichten Städte nach dem
Vorbild des Menschen, sie bauen ihre gesellschaftliche Struktur schrittweise
von der matriarchalischen Höhlenkultur zum patriarchalisch-monarchistischem
Staatsgebilde um. Sie töten einander und führen Krieg gegen die
Hijk, ganz wie die Menschen.
"Der neue Frühling" ist nicht frühlingshaft, sondern tragisch.
Das Buch ist die Geschichte des Fehlers, eine vergangene Kultur nachahmen
zu wollen. Bitter muß Hresh am Ende des Buches zum zweiten Mal erkennen,
daß sie alle doch nur Affen sind, und den Menschen nachäffen.
Er sieht keinen Ausweg, und es scheint, als sei der Untergang des "Volkes"
vorprogrammiert. Hresh selbst hat am Ende seines Lebens nicht mehr genug
Macht, um seine Erkenntnis von einer notwendigen anderen Lebensweise durchzusetzen.
Die Könige und Kriegsführer, die "starken Männer" scheinen
gesiegt zu haben.
Silverberg beschreibt in geradezu beklemmender Weise, wie letztere
sich durchsetzen und entgegen aller Vernunft handeln. Der Wissenschaftler
und Chronist Hresh ist seiner Zeit zu weit voraus, um die recht ungebildeten,
barbarisch anmutenden Stammesgenossen überzeugen zu können. Für
den Aufbau der Zivilisation wird es keine Abkürzung geben. Alltägliche
Ignoranz, die auch das Heute nur zu gut kennt. Der Krieg als Mittel zur
Lösung von Problemen, schon von einfachen Verständnisproblemen,
wird von den Primitiven vorgezogen. Mit Mord bringt man eine Stimme zum
Schweigen, die für die Position der Herrschenden gefährlich wird.
Trotz ihrer zusätzlichen Sinne, ihrer anderen Kultur und Abstammung
sind die Wesen des "Volkes" sehr menschlich. Allerdings nicht wie die von
Hresh verehrten Supermenschen vor dem Winter, sondern wie wir.
Zugunsten des Anliegens des Autors kann man über den Umstand hinwegsehen,
daß es eigentlich recht inkonsequent ist, erst eine völlig andere
Rasse aufzubauen und sie dann so sehr wie Menschen handeln zu lassen. Manchmal
störte es mich ein wenig, daß die Wesen ohne tatsächliche
Kenntnis der menschlichen Gesellschaft diese so eindeutig nachvollziehen.
Sicher muß man dem Gedanken folgen, daß sie mit den Fehlern
der Menschen unbewußt auch deren Gesellschaft nachahmten.
Eine wirklich abartige Gesellschaftsstruktur haben allerdings die Hijk,
die in ihren unterirdischen Bauen den Winter überstanden haben. Menschengroß
und irgendwie ameisenhaft sind sie, den Wesen des "Volkes" eigentlich nicht
direkt feindlich gesonnen, obwohl diese einige Verhaltensweisen der Hijk
wie Angriffe sehen. Im zweiten Teil der Trilogie widmet Silverberg der
Beschreibung ihres Lebens mehr Raum, und er läßt sich einiges
einfallen, um darzustellen, wie ein intelligentes Insektenvolk die Welt
sehen könnte.
Ein gelungener Roman, meine ich, der gegenüber dem ersten Teil
das dort begonnene Niveau hält. Ich bin schon gespannt auf den Abschluß
der Trilogie, die Heyne unter der Bezeichnung "Nach der Dunkelheit" herausbringt.
Das Titelbild hat bedauerlicherweise wieder einmal gar nichts mit dem Inhalt
zu tun, denn es bildet Menschen und Monster ab, die es in der Welt des
Frühlings nicht gibt.
SX 31
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