S. P. Somtow: Valentine
S. P. Somtow: Valentine
(TOR Horror 1992, $ 5.99, 438 Seiten)
Der Vampirjunge und Rockstar Timmy Valentine ist
für die Welt bei der Brandkatastrophe in Junction verschwunden - möglicherweise
umgekommen. Es gibt nur wenige, die über seine wahre Natur Bescheid
wissen und noch leben.
Zehn Jahre nach den Ereignissen ist Valentine
für die Teenager immer noch ein Idol - so etwas wie Elvis vielleicht.
Man hat nun vor, einen Kinofilm über ihn zu drehen und sucht Kinderdarsteller,
die ihm ähneln.
Aber nein, Timmy taucht jetzt nicht als sich
selbst verblüffend ähnlich sehender Junge auf. An seiner Stelle
wird dem Leser der Knabe Angel Todd vorgestellt, der auch ein dunkles Geheimnis
mit sich herumträgt, wenn auch eines der ganz anderen Art. Er wird
mit seiner Ausstrahlung den Wettbewerb gewinnen und die Rolle in dem Film
bekommen.
Wo aber ist Timmy Valentine?
Das seltsame an diesem Buch ist, daß es
zwar von dem Vampirjungen handelt, er aber selbst nie auftritt, außer
am Ende und in den wiederum eingestreuten Erinnerungen aus den 2000 Jahren
seines Lebens, bzw. der Menschheitsgeschichte. Valentine ist nämlich
gefangen. Eine Hexe im allerwahrsten Sinne des Wortes hat ihn, oder seine
Seele, in ihren Bann gezogen und an einem Ort eingesperrt, der so psychedelisch
ist, wie schon der Schluß von "Vampire Junction" war. Zum großen
Teil bezieht man sich auf diesen Ort entweder als Hölle oder das Land
hinter den Spiegeln. Seit Carroll ist das ja ein Begriff, den man nicht
zu erklären braucht. Allerdings ist Somtows Spiegelland wirklich die
Hölle... Die Hexe entzieht Timmy dort auf mystische Weise Kraft, um
sie selbst für ihre finsteren einzusetzen. Simone, so heißt
sie, ist eine solche Hexe, daß dieses Wort eine ganz neue Bedeutung
erlangt. Somtow gibt sich mit keinem buckligen und warzigen Weiblein mit
krummer Nase zufrieden. Er schafft es, sie so abgrundtief ekelhaft, böse
und abstoßend zu schildern, daß sich einem der Magen umdrehen
kann.
Überhaupt sollte man das Buch bloß
nicht beim Essen lesen! Stephen King (der übrigens auftritt!) schreibt
dagegen behäbige Kinderliteratur, Koontz kann sich verstecken, allenfalls
kommt noch Barkers "Hellraiser" an das heran, was hier ständig und
mit entsetzlicher Deutlichkeit abläuft. Somtows Sprache ist gnadenlos
direkt und seine blutigen Szenen sind von einer ausführlichen Scheußlichkeit...
Wieder tauchen ein paar Vampire auf, als einer
der Überlebenden von Junction, der damals gebissen wurde, durch einen
Unfall stirbt. Er erwacht und beginnt sein Werk. Jedoch im Gegensatz zum
ersten Buch, wo sich die Vampire unkontrolliert und wie eine Flutwelle
ausbreiteten, geschieht es nun langsamer und irgendwie unentschlossen.
Die erste Gruppe von jugendlichen Vampiren erweist sich als zu dämlich,
die Vorhänge zuzuziehen. Und sie sind noch nicht gegen Sonnenlicht
resistent wie Valentine. Andere werden von den mehr oder weniger unfreiwilligen
"Vampirjägern" des ersten Teils erwischt. Ist das so, weil der Meister
selbst nicht anwesend ist? Das bleibt der Interpretation überlassen.
Die Handlung steuert auf ihren Höhepunkt
zu, der sich auf dem Filmset in den Ruinen von Junction ereignen soll.
Wie magisch werden die verschiedenen Protagonisten dorthin gezogen, man
erinnert sich als Leser an das Lied Timmy Valentines über die menschlichen
Züge, die sich am Vampir-Knotenpunkt treffen werden.
Angel Todd hat über die Spiegel bereits
Kontakt zu Timmy, und die Verfilmung gibt dem gefangenen Vampir die Kraft,
sich gegen die Hexe zu wehren. Wieso? Timmy Valentine ist kein Vampir im
althergebrachten Sinne, er ist die Verkörperung der Ängste der
Menschen, er ist gleichzeitig ein Spiegel des Dunklen in ihnen. So sagt
er selbst: "Ich habe keine unabhängige Existenz. Ich bin nur eine
Reflexion der inneren Qualen der Menschen. Ich bin der Spiegel ihrer Seelen."
(S. 323) Als er daher durch den Film wieder in aller Munde ist, kann er
Kraft schöpfen, um zu kämpfen. Mehr noch als im ersten Band existiert
er im irrealen Bereich des Traumes, dennoch ist dies eine Existenz, die
weit stofflicher ist als ein Traum.
Die Hexe Simone Arleta will nicht mehr und nicht
weniger, als mit Timmys Hilfe Realität und Illusion vermischen, um
daraus eine Welt nach ihrem eigenen Bilde zu erschaffen. Und wo sollte
das besser funktionieren, als bei Hollywoods Film? Das führt am Schluß
wieder zu einem fulminanten Höhepunkt, der zeitweise alle Protagonisten
in die Spiegelwelt hinüberreißt, und den wenige von ihnen überleben.
Typischerweise drehen die abgebrühten Profis des Filmgeschäftes
dabei weiter - und der Film erhält schließlich etliche Oscars.
Angel Todd ist nicht dabei, als sie überreicht
werden, aber Timmy Valentine ist es. Die beiden Jungen tauschten buchstäblich
die Rollen. Ähnlich wie bei Timmy in Pompeji übernimmt nun Angel
die Bürde der Unsterblichkeit vom Vampir, während Timmy wieder
sterblich geworden ist. Angel ist mit seinen (lebendigen) Wahleltern Brian
und Petra noch in der mystischen Nebenwelt des Geistes geblieben, in der
sich der Showdown abspielte, aber er wird sicher wieder auftauchen. Als
Vampir.
SX 85
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