S. P. Somtow: Vampire Junction
S. P. Somtow: Vampire Junction
(TOR Horror 1984, $ 5.99, 372 Seiten)
Mit elf Jahren ist Timmy Valentine schon ein Teenager-Rockstar,
dem das Publikum zu Füßen liegt, dessen Songs in den Hitparaden
sind. Im Gegensatz zum üblichen Rockstar hat er außerdem noch
eine ausgezeichnete Stimme.
Allerdings ist er nicht gerade das, was er zu
sein scheint. Sein wirkliches Alter beträgt ein paar Jahrtausende,
und er ist ein Vampir.
Bisher hat er immer erfolgreich vermocht, sich
in der Welt der Menschen zu behaupten, ohne daß sein Geheimnis aufgedeckt
wurde. Natürlich war es auch zu früheren Zeiten schwer, als Kind
durchzukommen, das nie größer wurde. Aber in der modernen Welt
mit ihren Aufzeichnungen aller Art gerät Timmy immer mehr in Schwierigkeiten.
Um es noch schlimmer zu machen, ist da eine seltsame
Gruppe von studierten Leuten, die sich selbst als die "Götter des
Chaos" bezeichnen. Ihr Zusammenhalt geht auf eine Art studentische Verbindung
zurück, und ihr einziges Ziel ist das Böse an sich. Zufällig
waren sie Timmy früher einmal begegnet, als sie ein Menschenopfer
(!) darbrachten, um angeblich einen Dämon zu beschwören - in
Wahrheit aber nur, um ihre Sucht nach Gewalt zu befriedigen. Irrtümlich
nehmen sie nun an, er sei der von ihnen zitierte Dämon, und sie versuchen
nach vielen Jahrzehnten, ihn zu vernichten.
Die Beziehung zwischen Timmy und seiner Psychiaterin
Carla, die anfangs seine Story vom Vampirdasein als bloße Neurose
abtut, macht den Hauptteil des Buches aus. Schritt für Schritt verfällt
Carla seinem Bann, bis fast am Ende das Unvermeidliche geschieht... Die
Verfolgungen durch die sich selbst unglaublich überschätzenden
alten Männer der "Götter des Chaos" stellt eine zweite Ebene
dar, und man weiß als Leser nie genau, wie groß die von ihnen
ausgehende Gefahr für Timmy wirklich ist. Denn der ist in diesem Buch
der Held, wenn man auch nicht unbedingt sagen kann, daß er ein positiver
Held ist.
Die wirklichen Probleme entwickeln sich erst,
als Timmy die Sache mit den neu entstehenden Vampiren außer Kontrolle
gerät. Normalerweise richtet er seine Opfer immer so zu, daß
sie nicht wieder aufwachen, aber bei einigen unterläßt er es
aus verschiedenen Gründen. Eine Vielzahl von Handlungssträngen
verknotet sich und mündet in etwas, das zunehmend chaotischer und
wilder wird. Robert Bloch sagte dazu, das Buch sei am nächsten an
einem zu Papier gebrachten Alptraum dran. Wirklich haben die letzten Kapitel
eine alptraumartige Qualität. Realität und Illusion vermischen
sich in einem Wirbel erschreckender Ereignisse.
Somtows Stil ist deswegen auch recht anspruchsvoll,
seine Sprache überrascht mit brillanten Bildern. Der Begriff "Vampire
Junction", der sich sehr schwer übersetzen läßt, zieht
sich wie ein Thema durch das Buch. Er bedeutet im übertragenen Sinne
einen Eisenbahnknotenpunkt (Timmy sammelt Modelleisenbahnen) und ist einem
erfolgreichen Lied des Stars entnommen. Darin singt er davon, daß
Menschen wie Züge seien, die irgendwann diesen Vampir-Knoten erreichen,
wo ihnen die Seelen ausgesaugt würden. Die handelnden Personen, die
scheinbar nicht miteinander im Zusammenhang stehen, treffen aber trotzdem
in einem fulminanten Inferno aufeinander - wobei sie in der Regel ihr Leben
verlieren.
Das Buch ist nicht einfach nur ein weiterer Horror-Roman
über einen Vampir in unserer Zeit, sondern äußerst vielschichtig.
Allein die bizarre Gruppe der "Götter des Chaos", deren Mitglieder
im Laufe der Zeit in hohe Positionen aufstiegen, sich aber nicht einen
Deut von ihrer amoralischen Einstellung entfernten, ist ein erschreckender
Einfall für sich. Und Timmy Valentine selbst ist auch nicht nur der
übliche Vampir, der eine Allergie gegen Knoblauch und Kreuze hat.
Diesen Aberglauben hat er längst überwunden. Teilweise
bezeichnet er sich als einen Archetypen, eine Verkörperung der Ängste
der sterblichen Menschen. Andererseits ist klar, daß er nicht wirklich
das Produkt ihrer Wahnvorstellungen ist, sondern auf die übliche,
traditionelle Weise zum Vampir gemacht wurde. Im Gegensatz zu neugeschaffenen
Vampiren macht ihm fast nichts mehr etwas aus, das ihnen noch Schaden zufügen
kann. Ein Zusammenhang zum allgemeinen Glauben der Menschen wird angedeutet,
die Symbole der Religion haben ihre Macht verloren.
Die Rückblendetechnik, in der von vergangenen
Episoden aus Timmys langer Existenz erzählt wird, erinnerte mich an
die Fernsehserie "The Forever Knight" (dt.: "Nick Knight"). Auch der Ursprung
Timmys im alten Griechenland fand sich dort wieder. Zufall, oder hat man
sich hier wieder gegenseitig inspiriert?
Alles in allem ein außergewöhnliches
Buch über Vampire, das ich mit äußerster Spannung gelesen
habe.
(Das Buch erschien 1989 unter dem Titel "Ich bin die Dunkelheit" bei Goldmann.)
SX 85
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