Sheri S. Tepper: Die Schöne
Sheri S. Tepper: Die Schöne
(Heyne 06/5344)
Das Buch muß wohl zu den außergewöhnlichsten gezählt
werden, die der Verlag in diesem Jahr auf dem SF & F - Sektor veröffentlichte.
Nicht nur, weil man wiederum ein Hardcover im TB-Format herausbrachte.
Sheri S. Tepper fiel mir bereits durch ihr hervorragendes "Nach langem
Schweigen" auf, ein SF-Roman übrigens, worauf ich auch "Erbe des Blutes"
las - Horror. Nun also ein dicker Fantasy-Wälzer. Komisch nur, daß
fast beiläufig eine Zeitmaschine vorkommt und eine beklemmende Zukunft
beschrieben wird, die eine Mischung aus "1984" und "New York 1999" (Auch
unter "Soilent Green" oder so bekannt, glaube ich.) darstellt. Man könnte
das Buch vielleicht eine dystopische Endzeit-Fantasy-Romanze nennen, wenn
das irgendeinen Sinn ergäbe. Die Autorin mischt in diesem Roman alles,
was nur aufzutreiben geht, und sie findet Erklärungen für alles
mögliche und unmögliche. Manches daran wirkt ein wenig befremdlich,
z.B. daß die ganzen Obdachlosen unserer Zeit Flüchtlinge der
nicht mehr allzu fernen Endzeit sind. Doch der Zynismus ist offenbar ein
beabsichtigtes Stilmittel.
Um Teppers Buch zu verstehen, muß man vor allem Märchen
kennen, denn die Heldin gerät in viele Situationen, die von der Autorin
als Quellen von Mythen angeboten werden. Nicht nur eine Sage oder ein Märchen
entstand also durch das geschilderte Geschehen, sondern gleich ein ganzes
Märchenbuch. Die erste verständliche Anspielung wirkt noch überraschend,
später gewöhnt man sich daran, falls man als Leser bereit ist,
es mal eben hinzunehmen. Der Roman ist jedoch so komplex, daß man
selbst diese seltsamen Verstrickungen in einem großen Muster eingewoben
findet. Biblische Mythen wurden von Tepper nahtlos mit Volksmärchen
verflochten und der dystopischen Vision des Endes entgegengesetzt.
Ich kann hier nur versuchen, einen oberflächlichen Einblick zu
geben, denn eine wirklich gründliche Analyse des Buches würde
weit mehr Platz erfordern.
Also zuerst ein wenig zur Handlung.
Im 14. Jahrhundert ist in England die Magie noch aktiv, es gibt Feen
und Zauberei - man kann unter Umständen nach Feery, dem Feenland geraten.
Doch das Zeitalter geht offensichtlich zu Ende. Als Tochter einer Fee und
eines sich ständig auf Wallfahrten befindlichen Herzoges wird Beauty
geboren, die Schöne. Bei ihrer Taufe erscheinen auch die Feentanten,
eine davon uneingeladen, und jene verhängt angeblich einen Fluch über
das Kind. Ja genau, das ist das Ding mit der Heckenschere. Beauty ist also
Dornröschen, doch nicht sie sticht sich sechzehn Jahre darauf an einer
Garnspindel, sondern ihre Halbschwester (der Herzog war recht fleißig)
Herzchen. Trotzdem versinkt die Burg und jeder in ihr in ewigen (nicht
nur hundertjährigen) Schlaf. Nur die Heldin entkommt dank ihres Unsichtbarkeitsmantels.
Gerade hat sich der Leser an das Märchen gewöhnt, da stehen
plötzlich ein paar Typen in der Landschaft, die das rapide Wachsen
der Rosenhecke filmen.
Zeitreisende aus dem 23. Jahrhundert, die sich in der Mehrzahl ziemlich
abscheulich betragen. Ihr Verhalten spiegelt ihre Welt sehr gut wider.
Sie verschleppen die unerwünschte Zeugin Beauty in die Zukunft, in
eine Zeit voller Häßlichkeit und Tod. Mit Mühe gelingt
ihr und ein paar anderen die Flucht mit der Zeitmaschine zurück ins
20. Jahrhundert, wo es auch nicht viel besser ist, aber immerhin ist das
die letzte schöne Zeit. Von hier aus kann Beauty dann allein mittels
ihrer magischen (Siebenmeilen-) Stiefel zurück in ihre eigene Zeit,
aber nicht bevor sie eine ordentliche High-Schoolbildung erhalten hat.
Als ein Abgesandter des bösen Herrn der Finsternis sie vergewaltigt,
hat sie die Nase von dieser Zeit voll und flieht zurück in die Vergangenheit.
Im weiteren Verlauf irrt Beauty meistens unter falschem Namen durch
die Zeit und den Raum, aber hauptsächlich bleibt sie im 14. Jahrhundert.
Sie geht nach Feery, trifft Oberon, Puck und alle Stars des Sommernachtstraumes
und landet schließlich sogar zeitweise in der Hölle. Sie ist
aber nicht etwa auf irgendeiner Quest zur Rettung der Welt, sie hat keine
sichtbare Mission, das Buch schildert einfach ihr Leben. Erst über
hundertjährig scheint sie so etwas wie eine Aufgabe zu bekommen.
Die Feen sind auch nicht gerade positive Charaktere, erst ganz am Ende
stellen sie sich dann nach einer Intervention des Allerhöchsten gegen
den Herrn der Finsternis. Aber da ist es zu spät. Die Katastrophe
im 23. Jahrhundert ist nicht aufzuhalten. Nur Beautys letztes Projekt hält
einen Funken Hoffnung für eine noch fernere Zukunft am Glimmen.
Vor allem im letzten Teil des Buches wird der Text anspruchsvoll und
sehr ernst. Aus der Sicht der das Schöne liebenden Feen und Beautys
wird das Zerstörungswerk des Menschen an seiner Welt eindringlich
geschildert. Es ist schon sehr bedrückend, das zu lesen. Was da beschrieben
wird, passiert schließlich heute! Zerstörung der Regenwälder,
unkontrollierte Bevölkerungsexplosion, Raubbau an Rohstoffen, Kriege
usw. Alles wurde aufgegriffen und nicht etwa einem nebulösen Bösen
zugeschrieben. Selbst die Hölle erweist sich als hauptsächlich
vom Menschen (von Horrorschriftstellern!) erdachtes Gebilde.
Teppers Anspruch war es wohl nicht, so viele Märchen wie möglich
in einer Fantasy-Story unterzubringen, sondern sie wollte ihre Stimme hörbar
in den Chor derjenigen einreihen, die Mahnungen laut werden lassen. Das
hoffnungslose Ende der Menschheit in diesem Buch scheint zwar zu sagen,
daß es keinen Sinn hat, aber wenn die Autorin dieser Meinung wäre,
hätte sie es ja nicht geschrieben.
Der religiöse Aspekt in Teppers Mahnung ist zwar stark, wird aber
dadurch abgeschwächt bzw. relativiert, daß die Autorin die Kirche
genauso angreift wie alles andere menschliche. Für sie ist Gott -
der Allerhöchste - wohl eher im pantheistischen Sinne als die Natur
zu begreifen. Auf alle Fälle ist der Roman durchsetzt mit Symbolen
und Bildern, die schon der Aufmerksamkeit eines interessierten Lesers bedürfen.
Die Stimmung ist insgesamt tragisch, vom Untergang des Schönen an
sich geprägt.
Es ist schwierig, über dieses Buch etwas zu schreiben, ohne allzusehr
zu simplifizieren. Am besten ist, man liest es selbst.
Beauty, (c) Sheri S. Tepper 1991, übersetzt von Biggi Winter 1995, 668 Seiten, Hardcover, DM 16.90
SX 69
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