Sheri S. Tepper: Nach langem Schweigen
Sheri
S. Tepper: Nach langem Schweigen
(Heyne 4934)
Ich nehme mal an, daß Sheri S. Tepper eine Frau ist, der Name
klingt jedenfalls so. Sie hat bei Heyne schon mal etwas veröffentlicht,
"Erbe des Blutes" - was ich leider noch nicht kenne. Nach der Lektüre
von "Nach langem Schweigen" werde ich jedoch versuchen, auch diesen Roman
zu bekommen.
Also ein Tip. Anne McCaffrey äußerte sich zum Buch mit:
"Wunderbar - ein tief bewegender und phantasievoller Roman." So steht es
jedenfalls auf dem Titelbild drauf. Dagegen ist nichts einzuwenden, das
Buch ist ohne Zweifel phantasievoll geschrieben und liest sich sehr gut.
"Tief bewegend" soll nicht heißen, daß man dabei Tränen
vergißt, es hat sogar einen positiven Schluß. Nach dem Schluß
äußert sich noch ein gewisser Mark E. Eberhart vom MIT in einem
Nachwort zu den wissenschaftlichen Zusammenhängen des Romans. Auch
dieses Nachwort ist durchaus empfehlenswert. Daß es da steht, soll
allerdings nicht etwa bedeuten, daß "Nach langem Schweigen" nun ein
hard core SF-Buch ist. Man muß nicht das Nachwort lesen, um zu kapieren,
was die Autorin uns sagen will. Solche Bücher gibt es ja auch. Nein,
wenn ich das Werk schon einordnen sollte, würde ich es vielleicht
einen Planetenroman nennen.
Ohne zu viel von der spannenden Story zu verraten, einiges zum Inhalt.
Auf dem Planeten Jubal gibt es menschliche Ansiedlungen, die alle irgendwie
einer Firma unterstehen, die Brou anbaut, eine Art Droge. Ihre Expansion
wird jedoch durch die Existenz gigantischer Kristallstrukturen verhindert,
die fast den ganzen Planeten bedecken und auf Annäherung äußerst
gewalttätig reagieren. Sie können Beben, Lawinen und Erdrutsche
auslösen, explodieren oder Splitter absprengen. Nur dort, wo die Kristalle
nicht an die Oberfläche reichen, können die Menschen siedeln
und arbeiten.
Zwischen den menschlichen Ansiedlungen halten Karawanen Kontakt, die
nur mit Hilfe der Sänger an den Kristallen vorbeikommen. Das ist es,
was sie besänftigt: Gesänge der sogenannten Fahrtensänger,
welche durch die Forschungssänger erarbeitet wurden. Es handelt sich
dabei nicht um Wortgesang in unserem Sinne, sondern um musikalisch unterlegte
Lautmalereien, scheinbar ohne Sinn. Wenn man die richtige "Losung" gefunden
hat, kann man die Kristalle relativ gefahrlos passieren.
Die Musik spielt im Buch eine sehr große Rolle, was ihm einen
gewissermaßen lyrischen Charakter gibt. Vor allem dadurch, wie die
Sänger an ihre Aufgabe herangehen - Aufzeichnungen nützen übrigens
nichts - sie lieben den Planeten, der, wie man sich vorstellen kann, wenn
man einmal ein paar Kristalle betrachtet, sehr schön ist.
Im Moment der Handlung wird noch untersucht, ob die Kristallgebilde
eine Lebensform oder gar Intelligenz darstellen, denn dann wäre der
Planet praktisch tabu. Logisch, daß diese Aussicht den einflußreichen
Figuren der Drogenfirma gar nicht paßt. Tepper schildert eindrucksvoll
die wichtigsten Vertreter des Bösen, geradezu monströse Perverslinge.
Wer glaubt, das sei unrealistisch, hat keine Ahnung von der Welt. Dieser
Aspekt enthält auch eine Art Warnung vor dem, was Menschen tun können,
die wie der Oberboß Justin absolute Macht ausüben.
Das Spannungsfeld entwickelt sich vielschichtig um den Fahrtensänger
Tasmin und seine beiden Schüler, die Forschungssängerin Donatella
und später um ein paar einheimische Intelligenzien. Ich verrate hier
sicher nicht zu viel, denn die Eigengesetzlichkeit der SF schreibt ja schon
fast vor, daß die Kristalle (und andere Wesen) intelligent sind.
Der Konflikt entwickelt sich - eskaliert gar - im Zuge des Herannahens
der letzten Überprüfung des Planeten durch ein Gremium. Die Bösen
planen, wenn die bestochenen Prüfer die Nichtintelligenz der Kristalle
bescheinigt haben, alles plattzumachen, was sie stört.
Aber - wie auch auf dem Rücktitel steht - sie haben die Rechnung
ohne die Sänger gemacht, die menschlichen und nichtmenschlichen.
Alles vorhanden, was ein Spannungsbogen braucht: Geheimnisse, seltsame
Familienbande, bösartige Komplotte und scheinbar auswegslose Situationen
der Helden. Ich konnte das Buch manchmal nur schwer aus der Hand legen.
Keins der Probleme wirkt konstruiert und gekünstelt, zunächst
unklare Ereignisse werden durch das Geschehen oft später erklärt
und stehen dann plötzlich in einem anderen Licht da.
Natürlich könnte man sich an dieser Stelle fragen, warum
ständig diese Bücher um die ach so bösen Konzerne? Nicht
nur Tepper schreibt ja in diesem Kontext. Aber ich glaube, man muß
nicht Marx heißen, um zu erkennen, zu was ein wohlmeinendes Wirtschaftsunternehmen
fähig ist, wenn es ihm um Profit geht. Das merkt man spätestens,
wenn man in dieser Gesellschaft lebt. Und die kapitalistische Wirtschaftsordnung
in eine (tatsächlich nach heutigen Erkenntnissen allerdings nie zu
erwartende) Raumfahrtzukunft extrapoliert, ergibt schon ein beängstigendes
Bild. Man gebe einem Konzern die Möglichkeit, unkontrolliert und ungestört
das zu machen, was ihm am besten in den Kram paßt, und innerhalb
von fünf Jahren hat er die Sklaverei eingeführt oder so etwas.
Garantiert!
Nicht davor - das liegt in zu nebulösen Fernen - aber vor den
heutigen Erscheinungsformen dessen kann man nicht oft genug warnen, finde
ich.
Also dann, meine Empfehlung für dieses Buch. Und es hat einen
weiteren Vorzug: es gehört nicht zu einem Zyklus.
SX 34
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