Simon Hawke: Der Zauberer aus der 4th Street

Simon Hawke: Der Zauberer aus der 4th Street
(Heyne 06/5332)


Titel und Titelbild ließen eine gewisse Erwartungshaltung entstehen: Das wird wohl wieder ein Buch der fun fantasy sein, in dem Anachronismen aufeinanderprallen, um komische Situationen entstehen zu lassen. Weit gefehlt!
Der Roman kann nicht zur fun fantasy gezählt werden, denn er ist durchaus ernsthafte Fantasy, wenn auch von reichlich ungewohnter Art. Ein wenig erinnerte mich der Hintergrund und auch ein kleines bißchen die Handlung an Shadowrun. Andererseits verwendet Hawke Elemente des Cthulhu-Mythos, in einer Weise, die mich stark an das hervorragende Werk Colin Wilsons "The Mind Parasites" erinnerte. Und schließlich spielt die Artus-Sage eine beträchtliche Rolle.
Nach einem weltweiten Zusammenbruch der Wirtschaft, dem Collapse, aufgrund der Erschöpfung von Rohstoffressourcen und Energiequellen war die Welt ins Chaos gestürzt. Hier liegt vor allem die Ähnlichkeit zum Sujet von Shadowrun, auch in der aufgezeigten "Lösung": Nach einem Zeitraum der Wirren geschah etwas Seltsames: Ein schottischer Holzfäller fällte einen uralten Baum, von dem sich herausstellte, daß in ihm Merlin gefangen saß. Merlin erweckte die vergessenen Künste der Magie wieder und begann den Menschen die Wissenschaft der Thaumaturgie zu lehren. Das rettete die Welt, denn fortan fuhren Autos mit Zaubersprüchen und Plaste wurde ohne Erdöl "hergestellt". Bei Flugzeugen war das mit den Sprüchen schon etwas schwieriger, es kam vor, daß die Pilotenmagier ihren Jet fallenließen... Der Erzzauberer war bei der Rettung der Welt wohl nicht gerade wählerisch in seinen Mitteln, wie Andeutungen vermuten lassen.
Jedoch inzwischen ist Zeit vergangen und die Zauberei gehört zum Alltag. Melvin "Wyrdrune" Karpinsky ist ein abgebrochener Student Merlins und weiß sich nur noch einen Rat, um aus dem Schlamassel wieder herauszukommen: Er klaut auf magische Weise drei zur Versteigerung vorgesehene Runensteine. Dabei trifft er Kira, welche dieselbe Idee hatte. Der Coup gelingt, dumm ist nur, daß sie die Steine nun nicht mehr loswerden. Selbst wenn sie sie verkaufen, kehren sie zu ihnen zurück.
Es stellt sich heraus, daß sie der Schlüssel für das Tor zur "Hölle" sind, einem Ort jedenfalls, an dem vor Unzeiten die Zauberer der Weißen Magie ihre letzten Gegner von der Schwarzen Seite eingesperrt haben. Jetzt, wo die Steine aus dem vermeintlichen Pharaonengrab entfernt wurden, können die Dunklen wieder ihre Fühler ausstrecken. Ein von ihnen übernommener Zauberer jagt den Artefakten nach, um mit ihrer Vernichtung das Tor endgültig zu öffnen. Ab hier wird es spannend und gruselig, denn die Alten oder Uralten werden zitiert und cthulhuide Erscheinungen manifestieren sich. Vage Andeutungen einer vorzeitlichen Rasse von Halbgöttern lassen Schlimmes ahnen. Karpinsky sucht bei seinem alten Lehrer Merlin Rat und der enthüllt ihm und uns, was eigentlich los ist.
Gegen Ende zu geht es dann hart zur Sache: Kira wird entführt, Morgane und Modred tauchen auf, Merlin stellt sich dem bösen Zauberer zum Kampf. Es gibt einen schönen Showdown, aber einige der Dunklen scheinen entwischt zu sein. Ich schätze, es wird nicht das letzte gewesen sein, was wir von Kira und Karpinsky gelesen haben...
Modred und Morgane? Tatsächlich, diese beiden Relikte von König Arturs Hof haben aufgrund von Magie die Zeit genauso überlebt wie Merlin. Es gehörte für mich zu den interessantesten Abschnitten des Buches, wo die beiden mit den anderen Hauptpersonen über die Tafelrunde und die damaligen Ereignisse reden. Die Legende wird nicht schon wieder mal völlig neu erzählt, aber die Sichtweise ist modern, überraschend nüchtern und sachlich. Durch die Uralten und die Magie kommen ein paar neue Elemente hinzu, die sich jedoch nahtlos in das Gewohnte einfügen. Hawke nimmt sich die Zeit, ein paar Dinge ausführlich auf seine Weise zu analysieren. Übrigens kommt das Buch auch nicht ohne eine ökologische Botschaft daher. Man sollte nicht aus dem Umstand, daß es nach dem Zusammenbruch noch einen Ausweg gibt, schließen, daß der Autor die Zerstörung der Umwelt auf die leichte Schulter nimmt.
Im Ganzen ein empfehlenswerter Roman, nicht nur für eingefleischte Fantasy-Fans, obwohl ich ihn für Fantasy halte, auch wenn er unter SF erschienen ist.


The Wizard of 4th Street, (c) Simon Hawke 1987, übersetzt von Peter Pape 1995, 300 Seiten, DM 12.90

SX 68

 

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