Stephen Baxter: Ring

Stephen Baxter: Ring
(Heyne 06/5397)


Da liest man nichtsahnend zwei, drei Bücher - und plötzlich stellt sich heraus, daß man mitten in einem Zyklus steckt. In diesem Fall heißt er der Xeelee-Zyklus. Begonnen wurde er mit "Floß" (siehe SX 58), fortgesetzt mit "Das Geflecht der Unendlichkeit" (siehe SX 61), und es steht noch "Flux" aus. Im vorliegenden Band fällt schon nach kurzer Zeit der Zusammenhang vor allem zu "Das Geflecht der Unendlichkeit" auf, an dessen Handlung angeknüpft wird. Die Verbindung zu "Floß" wird erst ganz am Ende geschlossen, allerdings ein wenig zu deutlich mit dem Zaunpfahl für meinen Geschmack.
Baxters SF ist pure hard core, und seine Bücher bringen wirklich neue Ideen ins Spiel, nachdem man das vom Genre kaum noch erwartet hätte. Andererseits basieren sie auf einer sehr soliden wissenschaftlichen Grundlage. Vieles von dem, was an astrophysikalischen oder kosmologischen Details geschildert wird, ist durchaus real, zumindest bis zu einem gewissen, heute anerkannten Grad. Wo andere Autoren an der Oberfläche bleiben und sich in reine Phantasiegebilde flüchten, ist Baxters Wissen noch lange nicht erschöpft. Irgendwann geht auch er natürlich zu Spekulation und Phantasie über, aber wo genau das ist, vermag der Laie wohl kaum zu sagen.
In dieser Wissenschaftlichkeit von Baxters Romanen liegt allerdings auch eine Gefahr. Sie vermag nicht unbegrenzt lange den Leser zu fesseln, falls er überhaupt von vornherein willens war, sich auf derartiges einzulassen. Die Protagonisten unterhalten sich lange und ausführlich über die schier unglaublichen Dinge, die ihnen begegnen. Das ist für das Verständnis der Handlung, die sich in wahrhaft gigantischen Maßstäben abspielt, sehr wichtig. Aber es birgt eben auch die Gefahr der Ermüdung des Lesers. Wer also solche SF nicht besonders mag, für den wird das Buch wohl nichts sein.
Die Handlung beginnt irgendwo in einer recht schönen Zukunft der Menschheit, die gerade damit anfängt, den sie umgebenden Weltraum zu erschließen. Aber durch Michael Pooles Unternehmen, ein Wurmloch in die Zukunft zu öffnen ( in "Geflecht...") hat sich eine entscheidende Komponente verändert. Man weiß, daß die Menschen im All nicht allein sind, und man weiß, daß die Erde in der Zukunft von Außerirdischen besetzt werden wird. Außerdem hat man herausgefunden, daß irgend etwas mit der Zukunft nicht in Ordnung ist. Die Sonne wird nämlich entgegen allen Erwartungen schon in fünf Millionen Jahren instabil, und nicht erst in fünf Milliarden Jahren. Um der Sache auf den Grund zu gehen, werden zwei Projekte gestartet. Ein riesiges Raumschiff wird für eintausend Jahre auf eine relativistische Rundreise geschickt, um eine Wurmlochbrücke in die fünf Millionen Jahre entfernte Zukunft zu öffnen. Und eine künstliche Intelligenz (mit dem absurden Namen Lieserl) wird ins Innere der Sonne geschickt, um nachzusehen, was sich da so tut.
Dazu muß man natürlich wissen, daß etwas, das jetzt im Zentrum der Sonne passiert, erst in etwa einer Million Jahre seine Wirkungen nach draußen dringen läßt. Sollte die Sonne also heute erlöschen, hätte die Menschheit noch reichlich Zeit, sich auf ein dunkles und kaltes Ende zu freuen.
Selbst für die extrem langlebigen Menschen der Zukunft ist eine Reise von eintausend Jahren kein Spaziergang. Und es kommt, wie es wohl kommen muß. Religiöse, machtgierige Fanatiker übernehmen das Schiff und halten die Besatzung in Knechtschaft, bis die Mission fast vergessen ist. Zum Glück überleben ein paar Leute aus der ersten Besatzung, die bei der Ankunft mit vereinter Kraft das Steuer wieder herumreißen können. Man bedenke - diese Menschen sind dann bis zu anderthalbtausend Jahre alt!
Doch das ist noch gar nichts gegen das Alter von Lieserl, die von der Menschheit vergessen, noch immer im Inneren der Sonne sitzt, als das Schiff zurückkehrt. Für eine 5 Megajahre alte KI verhält sie sich jedoch noch ziemlich normal.
Die Gigantomanie dieser Ideen ist nur der Auftakt. Es kommt noch weitaus gewaltiger. Das Wort vom Ende des Universums erlangt bei diesem Roman eine ganz neue Bedeutung. Denn nicht nur die Sonne wird von etwas zerstört, das sie vorzeitig altern läßt...
Was die Reisenden am Ende der Zeit über die Menschheit erfahren, ist schrecklich ernüchternd. Statt in diesen fünf Jahrmillionen etwas gegen die Zerstörung des Universums zu unternehmen, wie es die Xeelee - eine göttergleiche Fremdrasse - tun, führen die Menschen Krieg! Und zwar genau gegen jene Xeelee. Ein fataler, letzter Irrtum der Rasse, die wohl auch in Baxters Augen ein rechter Fehlschlag der Natur ist.
Das Szenario ist unermeßlich groß, und Baxter läßt die Handlung in entsprechenden Maßstäben ablaufen. Der Roman ist nicht besonders optimistisch, was das Schicksal und die Fähigkeiten der menschlichen Rasse angeht, und er wird benutzt, um kritisch mit einer ganzen Reihe unserer zivilisierten Eigenschaften umzugehen. Es sind sicher nicht ohne Grund "Wilde", die eine wesentliche Rolle bei der Rückführung des Schiffes zu seinem wahren Zweck spielen.
Zuletzt, wie oft, ein paar kritische Bemerkungen zur Qualität der Übersetzung. Auch ohne den Originaltext zu kennen, fällt doch einiges auf. M. Gilbert hatte zweifellos eine schwierige Aufgabe zu bewältigen, bei all dieser Physik und Astronomie. Doch diesen Teil habe ich nicht zu bemängeln. Mich ärgerte jedoch eine Anzahl Lieblingswörter des Übersetzers, die er offensichtlich einführte. Das erste ist "realisierte" in der Bedeutung von "erkannte". Im Englischen "to realise" bedeutet mitnichten realisieren im Deutschen. Noch schlimmer ist die Übersetzung von "to concede" - was einfach nur "zugeben" heißt - mit "konzedierte". Was soll das für ein Deutsch sein? Hinzu kommen noch eine Reihe von banaleren Fehlern, z.B. die Übersetzung von "ninety" mit "neunzehn" (nineteen). Das zumindest hätte auffallen müssen, da man mit neunzehn noch nicht "unglaublich schwach" ist (S. 66), wohl aber mit neunzig. Auch handelt es sich bei einem "gravity well" nicht um eine "Gravitationsquelle" sondern um einen kosmologischen Ausdruck, der soviel heißt wie Gravitationsbrunnen oder -senke.
Sicher wird dies nicht jeden gleichermaßen stören, denn insgesamt ist "Ring" ein sehr guter hard core SF Roman, empfehlenswert für alle, die so etwas mögen.

Ring, (c) by Stephen Baxter 1994, übersetzt von Martin Gilbert 1996, 606 Seiten, DM 16.90 

SX 74

 

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