Stephen King: Christine

Stephen King: Christine
(Heyne 01/8325)


Da "Christine" nun so neu auf dem Buchmarkt nicht ist, sogar von Carpenter verfilmt wurde, möchte ich einmal nur meinen persönlichen Eindruck wiedergeben, ohne den Anspruch auf eine umfassende, vollständige Rezension zu erheben. Das Buch wurde mir als eines der besseren oder gar besten des Autors empfohlen. Was gar nicht so unerheblich ist, da mir nicht alle der King-Bücher, die ich bereits gelesen habe, auch gefielen. Ich verstehe ohnehin kaum, warum Stephen King gerade der Horrorautor sein soll - es gibt meiner Meinung nach Leute, die zwar nicht so viel, aber mindestens ebensogut schreiben. Nun ja. Also "Christine". Zum Glück kenne ich den Film nicht, sonst hätte ich sicher keine Lust gehabt, das dicke Buch zu lesen. Ich ging also erwartungsfroh an die massive Ladung Literatur heran und begann mich alsbald zu wundern. Die ersten 200 Seiten etwa scheint es, als ginge es King nur um die dümmlichen Problemchen amerikanischer Teenager-Knaben. Girls, Football, Autos... und eventuell auch die High School.
Da ist also Arnie, der picklige ewige Versager, der von seinen Eltern sein Leben lang unterdrückt und gegängelt wurde und sich nun auflehnt. Soll ja vorkommen. Und Dennis, sein enger, starker Freund, welcher zum größten Teil die Geschichte erzählt, ein Football spielender Mitschüler. Irgendwie erstaunt mich immer wieder die eigenartige amerikanische Mentalität (die King so gut einzufangen versteht), welche die Dinge nach einer gänzlich anderen Wichtigkeit ordnet als unsere, und nach anderen Moralvorstellungen lebt. (Im freiesten Land der Welt scheint es z.B. schon strafbar zu sein, sich öffentlich zu küssen...!)
Wie gesagt, auf den ersten 200 Seiten passiert nichts, was besonders aufregend wäre - jedenfalls, wenn man außer Acht läßt, was zu erwarten sein muß, weil das Buch eben von King ist, und weil genug angedeutet wird. Bis dahin könnte man die aufkommenden Ängste noch als Phantasien eines leicht verwirrten Jugendlichen abtun, der die Dinge aus seiner Sicht falsch interpretiert. Nach diesem Punkt geht das nicht mehr. King hat es nicht nötig, eine rationale Erklärung zu liefern, er wendet gerade das Irrationale an, um seine Handlung fortzusetzen. Das Unwirkliche, Phantastische bricht wieder einmal über eine amerikanische Kleinstadt und deren biedere Bürger herein. King bietet im Buch überhaupt keine Erklärung, und so ist es schon erstaunlich, wie seine Helden das alles akzeptieren. Dafür hat er allerdings eine Erklärung: Was man selbst geschehen sieht, meint man schnell als real ansehen zu können, nur Eingebildetes, Gehörtes oder so wird weniger bereitwillig geglaubt.
Anscheinend manifestiert sich der Eltern - Kind - Konflikt in Arnies Kauf eines alten, fast schrottreifen Autos - Christines. Arnie verändert sich danach zusehens, aber man kann das nicht mehr als normale (Fehl-) Entwicklung eines Jugendlichen, der sich von elterlichen Zwängen zu befreien sucht, betrachten. Er ist besessen, im ursprünglichen Sinn des Wortes. Ich rechne es King positiv an, daß er nicht versucht, den phantastischen Ereignissen verschämt eine realistische Erklärung überzustreifen. Solche Bücher und Geschichten, in denen am Ende alles nur en Traum oder Wahngebilde ist, kann ich nicht leiden. Wenn man Phantastik schreibt, sollte man auch dazu stehen.
Vom weiteren Inhalt will ich hier nichts erzählen, die meisten kennen das Buch, und wer es nicht kennt, wird vielleicht unvorbelastet herangehen wollen.
Ziemlich nervig fand ich das fortwährende Anführen von bestimmten Automarken. King schreibt nicht etwa, dieser und jener setzte sich in seinen Wagen, nein, er setzte sich in seinen Chrysler oder was auch immer. Vielleicht wollte der Autor damit ein wenig Atmosphäre schaffen, genau wie mit der zweiten Sache, die ständig wiederholt wird: Musiker und Musiktitel der 60er und 70er Jahre. Ein Handwerkzeug, gut und schön, aber mir kam es mehr wie ein Brotmesser vor, das man anstelle eines Skalpells benutzt.
Eine wichtige Angelegenheit in diesem Buch kan man als deutscher Leser auf Anhieb wohl kaum nachvollziehen. Im Englischen sind außer Menschen (und Kuscheltieren) allle Tiere und Dinge sächlich. Nur für Schiffe und manchmal für Autos wird das weibliche Pronomen verwendet. Es sagt sehr viel über die Beziehung eines Mannes zu seinem Wagen aus, wenn er diesen sie nennt oder ihm gar einen weiblichen Namen gibt. Bei den Amerikanern, die angeblich sogar zum Brötchenholen auf die andere Straßenseite fahren sollen, ist das nicht weiter verwunderlich. (Ob weibliche Autofahrer ihren Wagen mit er bezeichnen? Darüber schweigt King.)
Kann ich das Buch nun weiterempfehlen? Ja, ich glaube schon. Spannend ist es auf jeden Fall.
 
SX 27


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