Terry Bisson: Mars live
Terry Bisson: Mars live
(Heyne 06/5276)
Terry Bisson macht kurzen Prozeß mit allem, was wir je über den Mars, seine Eroberung oder Erforschung gelesen haben. Dieses Buch, im Original "Reise zum Roten Planeten" geheißen, ist bizarr, chaotisch, humorvoll und einfach unglaublich. Zugleich weckt es geradezu Beklemmungen mit seiner grausamen Direktheit der Visionen. Der Humor verschlägt einem den Atem, am Lachen scheint man eher zu würgen.
Jahre nach dem Ende der Raumfahrt, welches sich heute bereits abzeichnet, nach dem Zusammenbruch der Weltwirtschaft, wie wir sie kennen, nach der großen Depression, schickt sich eine zweitklassige Filmfirma in Hollywood an, den Film aller Filme zu drehen: Die Reise zum Mars. Und zwar auf dem Mars. Es ist jedoch nicht so, daß Menschen den Mars besiedelt hätten oder auch nur je dort gewesen wären. Ein fertiges Raumschiff umkreist eingemottet seit vielen Jahren die Erde, aber niemand hat die Reise wirklich unternommen. Die NASA wurde von irgendwelchen Firmen gekauft, und auch sonst herrschen haarsträubende Zustände. Also besetzt man das Schiff - die "Mary Poppins" (!) - einfach mit ein paar alten Raumfahrern, zwei Schauspielern sowie dem Kameramann und schickt es auf die Reise. Mehr braucht man für die Herstellung eines Filmes ohnehin nicht, Schauspieler sind nur deshalb noch nicht abgeschafft, weil es eine Gewerkschaft gibt.
Der Flug zum Mars ein Film- und Medienspektakel? Vorstellbar wäre das durchaus.
Natürlich besteht die Crew aus einer Reihe von seltsamen Charakteren. Der alte Pilot Brass, die russische Kommandantin Kirow, der schwarze Arzt Jeffries, den alle Pille nennen, obwohl er sich beharrlich dagegen wehrt, der Kameramann - ein Lilliputaner -, der Star Fonda-Fox, der einen besseren Raumschiffoffizier als Jeffries abgibt, weil er die Rolle schon so oft gespielt hat, die weibliche Schauspielerin, die aus ihrem Tiefschlaf zu spät erwacht, und selbstverständlich ein Teenager-Blinder-Passagier plus Bordkater.
Statt eines Mission Control gibt es auf der Erde ein Mission Design, das ein Typ namens Sweeney in seiner Freizeit unterhält, und das Büro der Filmgesellschaft, die während der Reise so oft den Besitzer wechselt, daß keiner mehr durchblickt. Eigentlich interessiert sich auf der Erde niemand für den Marsflug an sich, bis zum Schluß geht es nur um den Film, der dabei gedreht wird und über dessen Story wir - bestimmt nicht zufällig - gar nichts erfahren. Die Pionierleistung wird mit ätzendem Sarkasmus von Bisson verspottet, ihr Sinn in Frage gestellt, bis zur letzten Konsequenz. Sogar das Klischee des sich selbst opfernden Raumfahrers greift er dabei auf.
Auf dem Mars muß Greetings, das Mädchen, das als Blinder Passagier mitkam, für die weibliche Hauptrolle herhalten, da die Schauspielerin nicht erwachte. So wird sie also gefilmt, während die Raumfahrer sich ein wenig auf dem Mars umsehen. Sie entdecken erstaunliche Dinge - bis hin zu der üblichen Botschaft einer untergegangenen Rasse. Daß diese (später auf der Erde entschlüsselt) "Viel Glück!" lautet, ist ein würdiger Abschluß des Buches.
Bei allem Humor, der mich oft laut auflachen ließ, steht doch immer unbehaglich das Wissen im Hintergrund, daß es so oder ähnlich tatsächlich einmal sein könnte. Programme der Raumfahrt werden gestrichen oder gekürzt, so vieles ist schon stillschweigend wieder vergessen worden, was man hatte machen wollen. Ob jemals Menschen auf den Mars gelangen werden? Nicht nur im Zusammenhang mit der Raumfahrt verbreitet sich allmählich eine Wissenschaftsfeindlichkeit, die von unbedarften Naturen mit einer Kreuzworträtselbildung propagiert wird. Eine Welt, in der synthetische Stars Filme machen, deren Inhalt sie nicht einmal kennen, wo der Haupterfolg des Marsfluges daran gemessen wird, welchen Filmpreis er bekommt (was übrigens offen bleibt), scheint gar nicht so abwegig zu sein. Sehr bezeichnend ist da die Frage des Kameramannes kurz vor dem Start, der überrascht ist, zu hören, daß noch niemand vor ihnen auf dem Mars gewesen sei.
Ohne Zurückhaltung benutzt Bisson jede Absurdität, die man sich nur denken kann. Jedoch wird das Buch dadurch nicht zu einem albernen Witz oder zur reinen Blödelei. Man gewöhnt sich daran, daß man aus dem Marsraumschiff eben das Büro des Produzenten anrufen muß, und man kann nur noch den Kopf schütteln, wenn Mission Design keine Verbindung bekommt, weil die Telefonistin ob der Zeitverzögerung ständig die Leitung wieder trennt.
Teilweise bedient sich der Autor einer "Schnitt-Technik" des Schreibens, kurze Splitter aneinandergereiht, wie Schnitte in besonders dynamischen Filmszenen, was einen recht guten Effekt bewirkt.
Der Roman stellt ein überzeugendes Pendant zu den ernsthaften Marsbüchern dar, die in letzter Zeit erschienen sind. Man kann ihn allen empfehlen, die ein spannendes und interessantes Buch lesen und dabei auch einmal lachen wollen.
[Voyage to the Red Planet, © Terry Bisson 1990, übersetzt
von Irene Bonhorst 1995, 299 Seiten, DM12.90]
SX 65
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