Terry Goodkind: Stone of Tears

Die Zweite Regel des Zauberers
Terry Goodkind: Stone of Tears
(Millennium 1995, 703 Seiten, £ 12.99)


Vielleicht sollte das Buch ja ursprünglich "Wizard's Second Rule" heißen, aber Goodkind oder sein Verlag hat sich dann doch für den Titel "Stein der Tränen" entschieden. Die Fortsetzung von "Wizard's First Rule" (siehe SX 65) braucht auch nicht derart auf sich aufmerksam zu machen. Wer das erste Buch um Richard Cypher, den Sucher, gelesen hat, wird ohnehin dem zweiten Teil entgegenfiebern. Bedauerlicherweise ist dieses wunderbare Werk dem Goldmann-Verlag in die Hände gefallen, der den ersten Teil inzwischen in zwei Bänden veröffentlichte: "Das erste Gesetz der Magie" (24614, DM 20.00) und "Der Schatten des Magiers" (24 658, DM 25.00). Wer rule mit Gesetz übersetzt, muß schon ein bißchen bescheuert sein...
Genug der Vorrede. Die zweite Regel des Zauberers besagt, daß aus den besten Absichten oft die schlimmsten Ergebnisse entstehen. Und genau diese Regel hat Richard verletzt - ohne es zu ahnen freilich - als er im ersten Teil verhinderte, daß sein Vater Darken Rahl die drei Kästchen der Ordnung öffnete, um unbegrenzte magische Macht zu erlangen. Dadurch wurde der Schleier zerrissen, der die Unterwelt von der richtigen Welt trennt. Nun droht der Keeper hervorzubrechen und die gesamte Welt zu verschlingen. Seine ersten Vorboten tauchen auf, als der Zauberer Zedd noch nachsinnt, was mit den drei Kästchen der Ordnung nun geschehen soll. Gleich auf den ersten Seiten entbrennt damit ein blutiger Kampf gegen das Monster aus der Schattenwelt, das fast unverwundbar scheint.
Richard ist jedoch nicht da, um seinem Lehrmeister (und Großvater, wie er später erfährt) beizustehen. Er ist mit einem Drachen davongeflogen, weil er einen entführten kleinen Jungen in seine Heimat zum Schlammvolk zurückbringen muß. Während er und seine Geliebte Kahlan, die Mother Confessor (svw. Beichtmutter), dort verweilen, tauchen plötzlich drei mysteriöse Schwestern des Lichts auf, die Richard auffordern, mit ihnen zu kommen. Er wird nämlich inzwischen von wahnsinnigen Kopfschmerzen gequält, die ihn töten werden, weil er ein Magier ist und nicht trainiert wurde. Die Schwestern versprechen Hilfe, wollen aber, daß er einen Halsring anlegt. Das weckt in Richard sein altes Trauma, das von einer Episode im ersten Teil herrührt, die zu den grausamsten Schilderungen im Buch überhaupt zählt. Er weigert sich zweimal, und jedesmal nimmt sich eine der Schwestern das Leben.
Schließlich bringt ihn Kahlan dazu, den Ring anzulegen und mit Schwester Verna zu gehen; sie selbst macht sich auf den Weg, um Zedd zu suchen, denn auch sie haben inzwischen gemerkt, daß der Keeper dabei ist, in die Welt einzudringen. So sind alle unsere Helden erst einmal voneinander getrennt, und keiner ahnt etwas davon, was die anderen machen.
In diesem Buch haben die Erlebnisse Kahlans eine gleichwertige Bedeutung mit denen von Richard. Außerdem wird teilweise noch ein Handlungsstrang um Zedd verfolgt, der sich später jedoch verliert. Gerade die Tatsache, daß der Leser die Ereignisse auf verschiedene Weise erlebt, führt dazu, daß er mehr weiß als die Protagonisten, ohne daß ihm der Autor das einfach nur mitteilt. Die Handlungen der Helden gewinnen hierdurch eine ungeheure Spannung, vor allem, wenn sie scheinbar das Falsche tun. Doch selbst dann trügt der Schein oft...
Kahlan findet, daß sich in den Midlands Terror und Krieg breitmachen, gesetzlose Söldnerheere marschieren und alles unterwerfen, was sich ihnen in den Weg stellt. Offensichtlich eine Auswirkung der Bemühungen des Keepers, der zunächst nur seine Agenten vorschickt. Für kurze Zeit stellt sich die Mutter Confessor an die Spitze einer kleinen Armee, um den jungen Soldaten zu zeigen, wie sie gegen den scheinbar übermächtigen Feind kämpfen müssen. Was sich Goodkind hier ausgedacht hat, ist wieder einmal eine Überraschung - und ziemlich brutal dazu.
Kahlan wird schließlich vom Feind mehrfach gefangengenommen, entkommt aber immer wieder. Bis dann... aber halt, ich will nicht alles verraten. Schließlich soll man die Bücher ja unbedingt lesen, wenn sie auf Deutsch erschienen sind.
Richard kommt nach einer langen Wanderung im Palast der Propheten an, wo man ihn angeblich ausbilden will. Der Leser ahnt jedoch schon Schlimmes! Die Handlung um den Sucher Richard dreht sich hauptsächlich um seine Rolle in den alten Prophezeiungen, und darum, wie er mit den fanatisch religiösen Schwestern klarkommen wird. Die Action ist diesmal mehr auf Kahlans Seite. Was nicht heißen soll, daß Richards "Selbstfindung" nicht so interessant wäre. Im Gegenteil. Goodkind schreibt einfach genial. Auch in diesem Roman findet er immer wieder Wendungen in der Handlung und verblüffende neue Situationen, die den Leser regelrecht schockieren können.
Besonders aufregend fand ich die Beschreibungen des Einsatzes von magischer Macht, sowohl durch Kahlan als auch durch Richard und andere. Die bildhafte Sprache des Autors macht es möglich, sich die Szenen bis ins Detail auszumalen. Kurz vor dem Zubettgehen sollte man das wohl nicht lesen, wenn man nicht Alpträume riskieren will. Goodkind scheut nicht die Gewalt und das Blutvergießen, wenn es eine Funktion im Buch erfüllen kann. Hier haben wir es nicht mit sinnlosen gewaltsamen Begegnungen unterwegs zu tun, die manche Autoren erfinden, weil ihnen für ihre Helden keine anderen Auflockerungsübungen einfallen. Wenn Richard in seinem "Todestanz" z.B. dreißig Krieger tötet, dann erfüllt er damit eine Prophezeiung, geht durch die Prüfung des Schmerzes und beweist sich gleichzeitig vor der etwas skeptischen Schwester Verna als der, der er ist - der Sucher, der Bringer des Todes.
Die beiden Bücher gehören für mich einfach zur High Fantasy, sie sind so phänomenal gut, daß ich diesmal tun werde: Ich empfehle jedem Fantasy-Fan, das Geld zusammenzukratzen und sich die deutschen Ausgaben zu besorgen. Freilich, wer die Originale lesen möchte, kann sie auch kaufen.  

SX 76

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