Terry Pratchett: Die Farben der Magie
Terry
Pratchett: Die Farben der Magie
(Heyne 4912)
Mit diesem, achten Buch von der Scheibenwelt legt der Heyne-Verlag sieben
Jahre nach dem Goldmann-Verlag nun auch das erste Scheibenweltbuch dem
begierigen Leser vor. Bei Goldmann erschien es 1985 unter dem Titel "Die
Farben der Fantasie". Warum dann Heyne die eigentliche Scheibenwelt-Reihe
aufmachte, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich weiß auch nicht, wer
die erste Übersetzung besorgte, jetzt ist es (glücklicherweise)
wieder Andreas Brandhorst, der Pratchett hervorragend zu übersetzen
versteht. Merkwürdig ist am Rande, daß beide Verlage das Wort
"colour" aus dem Titel "The Colour of Magic" mit der Mehrzahl "Farben"
übersetzen. Die Farbe der Magie, Oktarin, ist eine, nämlich die
achte des Regenbogens, wie im Buch erklärt wird. Aber das ist nebensächlich.
Wie gesagt, das Buch ist im Zyklus das erste, es handelt noch vor dem
Roman "Das Licht der Phantasie", der bei Heyne die Reihe anführte.
Da die Bücher jedoch in sich mehr oder weniger abgeschlossen sind,
fiel das bisher kaum auf. Pratchett gibt sich Mühe, dem Leser am Anfang
eines jeden Buches einen Einblick in die Besonderheiten der Scheibenwelt
zu verschaffen und eventuelle Vorgeschichten seiner Helden zu erzählen.
"Die Farben der Magie" ist die direkte Vorgeschichte zu "Das Licht
der Phantasie", und es wird berichtet, wie der verhinderte Zauberer Rincewind
dem ersten Touristen der Scheibenwelt, Zweiblum, begegnet und mit ihm herumzieht.
Nicht direkt erzählt wird über Rincewinds frühere Abenteuer,
also die Sache mit dem Zauberspruch, der sich in seinem Kopf festsetzte
und den Rausschmiß aus der Unsichtbaren Universität.
Der von Pratchett 1983 veröffentlichte Roman erweckt den Eindruck,
aus drei bis vier Erzählungen zu bestehen, die in Form von einzelnen
Teilen einander folgen. Am Anfang eines solchen Teils wird - wie sonst
immer am Anfang eines neuen Buches - erklärt, was es mit der Scheibenwelt
und der Sternenschildkröte auf sich hat. Die Handlung wird dadurch
aber nicht unterbrochen.
Wie immer ist es ziemlich schwer, dem Buch eine konkrete Aussage oder
einen einzelnen Handlungsstrang zuzuordnen. Mit Recht nennt man ja den
Zyklus bizarr. Da der Tourist mit seiner Truhe aus intelligentem Birnbaumholz
eine wichtige Rolle spielt, kann man davon ausgehen, daß Pratchett
Touristen und ihr Auftreten unter anderem aufs Korn genommen hat. Aber
natürlich nicht nur das.
Zweiblum erinnert wirklich schmerzhaft an den typischen Touristen unserer
Zeit. Klar, seine Kamera ist keine Nikon oder so, sondern in ihr sitzt
ein kleiner Dämon, der die Bilder malt, sein vollgestopfter Koffer
ist die besagte Truhe, aber sonst ist alles, wie es (nicht) sein soll.
Das Motiv des Versicherungsangestellten Zweiblum, auf Reisen zu gehen,
ist eine romantische Vorstellung, die er offenbar von der restlichen Scheibenwelt
hegt. Sie deckt sich mit den Vorstellungen, die ein naiver Fantasyfan von
einer Fantasywelt haben könnte. Helden, die Heldentaten vollbringen,
Abenteuer und all das. Ankh-Morpork ist jedoch anders, wie der erfahrene
Leser weiß: gewalttätig, schmutzig und gefährlich.
Doch das sieht Zweiblum nicht, obwohl er mitten hinein stolpert und
nahe daran ist, umgebracht zu werden. Grund dafür ist sein Reichtum.
Man fühlt sich an Zeiten erinnert, als gewisse DM-besitzende Leute
in einigen östlichen Ländern umgingen. In Zweiblums Heimat gibt
es Gold im Überfluß, er ist dort nicht besonders reich zu nennen.
Das ist in Rincewinds Gegend ganz anders. Natürlich sind nach sehr
kurzer Zeit sämtliche Gauner der Stadt hinter ihm her.
Der Tourist ist aber nicht an den Problemen und finsteren Zuständen
interessiert, durch die er da marschiert, sondern nur an idyllischen oder
malerischen Landschaften, die er vielleicht fotografieren kann. Der wahre
Charakter des Geschehens scheint ihm regelmäßig zu entgehen.
Was Rincewind veranlaßt, ihn mehr oder weniger gegen seinen Willen
ständig zu retten, da er (ziemlich widerwillig) zu seinem Reisebegleiter
gemacht worden ist. Dieses Herumlaufen mit geschlossenen Augen ist es,
was den ernsthaften Hintergrund der Geschichte auszumachen scheint.
Das kann man in der Urlaubssaison überall beobachten. Touristen,
die nur die Sonnenseiten genießen, oder - fast noch schlimmer - die
Schattenseiten zwar sehen, aber nicht als solche erkennen. Knipswütige,
souvenierkaufende und biertrinkende Buntgekleidete, denen nichts heilig
ist. Arrogante bis größenwahnsinnige Typen, typische Touristen
der schlechtesten Art eben. "Zweiblum war Tourist - der erste auf der Scheibenwelt.
Und >Tourist<, so wußte Rincewind inzwischen, bedeutete >Idiot<."
Ein hartes Urteil, aber wenn man es sich überlegt, durchaus zu bestätigen.
Die beiden reisen, nachdem Ankh-Morpork abgebrannt ist, über die
Scheibenwelt. An dem Feuer war übrigens Zweiblum indirekt schuld,
der einem Wirt eine Feuerversicherung verkaufte. Worauf der natürlich
seine heruntergekommene Kneipe anzündete. Sie erleben einige Abenteuer,
die allerdings in keinem besonderen Zusammenhang stehen, bis sie zum Rand
kommen. Das Buch endet - natürlich - dort, wo "Das Licht..." anfängt.
Zweiblum, Rincewind und die Truhe stürzen über den Randfall ins
All.
Ansonsten ist das Buch im üblichen Stil gehalten. Witzige Einfälle
am laufenden Band, ein chaotisches Durcheinander, das erstaunlicherweise
doch zu irgendetwas führt. Die eigenartigste Szene ist wahrscheinlich
die, als Rincewind und Zweiblum vom Himmel fallen, nachdem sich ihr Drache
aufgelöst hat. Sie finden sich für kurze Zeit an Bord eines Flugzeuges
wieder, wo Rincewind gleich mal eine Entführung verhindert, bevor
sie wieder auf die Scheibenwelt geraten.
Trotz der Einordnung des Buches als Vorgeschichte werden aber einige
Dinge im Dunkeln gelassen, so die Natur der Truhe oder Rincewinds Vergangenheit.
Ein gewisses Maß an Mystik bleibt.
Pratchett hat sich in seinen späteren Büchern natürlich
weiterentwickelt, die Plots wurden ausgefeilter und vielfältiger,
an der Konstruktion seiner Welt arbeitete er immer weiter. Aber auch dieses
erste Scheibenweltbuch ist durchaus schon lesenswert. Und welcher Sammler
des Zyklus' wird es schon missen wollen? (Preis: DM 9.80)
SX 31
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