Terry Pratchett: Die Nomen-Trilogie

Terry Pratchett: Die Nomen-Trilogie
(Corgi Books)


Pratchett ist immer wieder für eine Überraschung gut. Die drei nächsten Bände der Scheibenwelt-Saga sind noch nicht auf dem deutschen Markt erschienen, da liegen in Englisch auch schon drei Bücher vor, die mit der Scheibenwelt gar nichts zu tun haben.
1989 erschien der erste Teil der "Nomen-Trilogie" unter dem Titel "Truckers". Es folgten 1990 "Diggers" und "Wings". Der erste Teil ist bereits verfilmt und beginnt sich zu einer Art Kult in England zu entwickeln. Obwohl die Bücher laut Verlagstext für einen jüngeren Leserkreis gedacht sind, kann man sie nicht als Kinderbücher bezeichnen, wie sie der deutsche Leser kennt. Eine solche Einstufung ist ohnehin meist zu ignorieren, weil englische Kinder- und Jugendbücher ein ganz anderes Niveau haben als deutsche. Man hat manchmal den Eindruck, daß die Engländer (und Amerikaner) ihren Kindern weit mehr Verständnis und Intelligenz zutrauen als die Deutschen. Bei Heyne ist die Trilogie jedenfalls bereits angekündigt (Trucker, Wühler, Flügel).
Es handelt sich bei den Büchern der Trilogie um SF, freilich um eine echt Pratchettsche SF. Die Nomen sind eigentlich auf der Erde gestrandete Außerirdische, daß der Mensch sie auf Grund ihrer sehr geringen Größe als Gnome und Zwerge betrachtete, solange er sie noch wahrnahm, hat nichts mit Märchen oder Fantasy zu tun. Die Nomen wissen selbst nichts mehr von ihrer Vergangenheit, da sie seit fünfzehntausend ihrer Jahre auf der Erde festsitzen. Nur eine kleine Gruppe von ihnen besitzt noch das Ding, welches sich als universaler Navigationscomputer entpuppt, der sogar wieder zum Funktionieren erwacht, sobald er in die Nähe von Elektrizität gelangt.

Truckers

Zu Anfang lebt eine kleine Gruppe von Nomen irgendwo auf einem Feld am Rande einer Straße. Masklin, der Jäger, ist der einzige, der sie zu versorgen noch imstande ist. Außerdem ist das Leben in der Wildnis sehr gefährlich. Jedes Tier betrachtet sie als Mittagessen. Wegen dieser Misere beschließen sie endlich, ihren Wohnort zu verlassen. Sie entern einen Lkw und fahren davon. Zufällig geraten sie am Ende der Fahrt in ein großes Warenhaus, das von zweitausend anderen Nomen besiedelt ist, natürlich ohne Wissen der Menschen. Nachdem sie sich ihnen angeschlossen haben, müssen sie aber feststellen, daß das Warenhaus beim Ausverkauf ist und abgerissen werden soll. Masklin muß nun, mit Hilfe des Dings, die Flucht aller zweitausend Nomen ins Ungewisse organisieren, was auch gelingt. Sie klauen einen Lkw des Warenhauses und bringen es sogar fertig, ihn selbst zu fahren. (Daher der Titel "Truckers".)
Das nur knapp über 200 Seiten starke Buch ist vollgestopft mit absolut erstaunlichen Einfällen und witzigen Ideen, wie man es von Pratchett gewohnt ist, aber es ist nicht unbedingt ein bloßes Humor-Buch. Sowieso kann man von dem Autor wohl nicht sagen, daß er Blödel-Humor schreibt. Immer sind seine Werke durchaus ernsthafter Natur, was dem Spaß in ihnen keinen Abbruch tut. Deshalb finde ich den Vergleich mit Douglas Adams auch nicht besonders gelungen, wie er manchmal angestellt wird.
Die Nomen sehen die Menschen ursprünglich nicht als besonders intelligent an. Sie betrachten sie als Teil ihrer natürlichen Umgebung - die das Warenhaus ist. Pratchetts Grundidee ist erstaunlich und aufregend. Die kleinen Aliens glauben nämlich, da sie seit achthundert ihrer Jahre darin leben, das Warenhaus sei die ganze Welt! (Bis die Nomen von Draußen kommen.) Jahreszeiten werden durch die Verkaufsgewohnheiten charakterisiert, statt Tag und Nacht gibt es Öffnungs- und Schließzeiten. Sogar eine Art Religion haben sie, die auf dem Gründer des Kaufhauses, Arnold Bros, aufbaut und sich auf die absolut wörtliche Interpretation von Schildern im Laden stützt. Aus diesem Umstand resultiert eine Menge der Komik des Buches, was gleichzeitig wieder Pratchetts Kunst im Umgang mit Sprache zeigt. Das Englische hat ja bei vielen Worten mehrere Bedeutungen, woraus sich hier natürlich die kuriosesten Interpretationen ergeben. (Hoffentlich ist es möglich, das ins Deutsche zu übertragen!)
Der Held Masklin muß sich zunächst gegen die verbreitete Überzeugung der Kaufhausnomen durchsetzen, daß es gar kein Draußen gibt. Und dann die Flucht aus dem zum Untergang verurteilten Warenhaus organisieren. Dabei enthüllt ihm der Computer, daß ein Sternenschiff noch immer im All auf die Nomen wartet. Das Fernziel ist also klar, aber die Nomen wissen noch nicht einmal, wo auf der Erde sie sind. Pratchett versteht es sehr gut, sich - und den Leser - in die Welt der winzigen Geschöpfe zu versetzen, die ohne jede Orientierung menschlicher Art auf der Erde gestrandet sind und noch dazu mit der Zeit ihr ganzes Wissen verloren haben. Sie haben keine Vorstellung von Größenverhältnissen, was nur gut ist, sonst würden sie manches wohl gar nicht versucht haben.
 
Diggers

Nachdem sie das Kaufhaus verließen, gelangten die Nomen in einen verlassenen Steinbruch. Hier will sich die überwiegende Mehrheit niederlassen, was Masklin gar nicht gefällt, denn er hat seine Aufmerksamkeit schon auf den nahegelegenen Flughafen gerichtet. Auch beabsichtigen die Menschen zufällig nach einer Weile, den Steinbruch wieder zu öffnen. Während Masklin mit zwei Begleitern auf Erkundung des Flughafens aus ist, müssen sich die anderen Nomen entscheiden, was sie machen wollen. Weiter vor den Menschen fliehen wollen sie nicht, also beschließen sie zu kämpfen. Es gelingt ihnen sogar, den Steinbruch eine Weile zu behaupten, bis sie am Ende doch flüchten müssen, und zwar mit Hilfe eines alten, zurückgelassenen Baggers. Daher der Titel, wobei der geplante deutsche - Wühler - den Kern der Sache wieder einmal verfehlt.
In einer auswegslosen Lage, von Polizeifahrzeugen in die Enge getrieben, werden die Nomen dennoch gerettet. Plötzlich erscheint ein riesiges UFO, ihr Sternenschiff. Masklin, den sie schon geraume Zeit vermißten, hat es irgendwie geschafft!

Wings

Und wie Masklin es schaffte, ist im letzten Teil der Trilogie nachzulesen. Mit seinen Begleitern und dem Computer schmuggelt er sich nämlich an Bord einer Concorde, die nach Florida abfliegen soll. Pratchett benutzt einen Trick, um en orientierungslosen Nomen doch noch zu zeigen, wo sie hin müssen. Der Enkel von Arnold Bros, dessen Firma in den vergangenen 80 Menschenjahren ein sehr großes Unternehmen geworden ist, begibt sich nach Florida, um beim Start des ersten firmeneigenen Satelliten dabei zu sein. Davon erfahren die Nomen aus einer Zeitung, die sie zufällig finden. Da das Ding, der Computer, aus der Erdatmosphäre heraus muß, um in Kontakt mit dem Schiff zu treten, beschließt Masklin, den Start des Satelliten irgendwie auszunutzen.
In Florida begegnen sie überraschend anderen Nomen und müssen zu ihrem Erstaunen erkennen, daß die Welt offensichtlich voll von ihresgleichen ist. Mit der Hilfe der Einheimischen nähern sie sich dem Shuttle soweit, daß der Computer den Satelliten umprogrammieren kann. Nach einer Weile kommt das Sternenschiff tatsächlich, um sie abzuholen. Vor den Augen der verblüfften Menschen gehen sie an Bord, holen ihre Leute aus der oben beschriebenen gefährlichen Situation in England ab und starten zu den Sternen.
Soweit zum Inhalt der drei Bücher. Wie schon erwähnt, bezieht Pratchett eine Menge Komik aus der Tendenz seiner Helden, Geschriebenes absolut wörtlich zu nehmen. Eine Menge von Mißverständnissen resultiert hieraus. Es dürfte sehr schwer sein, all das adäquat zu übersetzen. Nur ein Beispiel aus den vielen will ich anführen. Auf Seite 20 im dritten Teil steht folgender Satz, in dem es um eine bestimmte Art winziger Frösche geht. "They had such a tiny life cycle it still had trainer wheels on it." Was heißt: "Sie hatten so einen winzigen Lebenszyklus, daß er noch Hilfsräder dran hatte." Das ergibt auf Deutsch natürlich keinen Sinn, denn es ist ein Wortspiel mit "bicycle" = Fahrrad, und bezieht sich auf diese Stützräder, die kleine Kinderfahrräder manchmal an den Seiten haben.
Nachdem ich die Trilogie gelesen hatte, empfand ich sie als das Beste, was Pratchett bisher geschrieben hat. Das ist natürlich ein subjektives Urteil, aber dennoch; man kann diese Bücher uneingeschränkt empfehlen. Sie sind intelligent, äußerst humorvoll und spannend. Pratchett hat bewiesen, daß die SF sehr wohl noch Neues zu bieten hat.

SX 32


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