Terry Pratchett: Small Gods

Religionskrieg auf der Scheibenwelt
Terry Pratchett: Small Gods
(Harper Prism 1992, $ 4.99, 343 Seiten)


"Kleine Götter" ist wohl das ernsthafteste und tiefgründigste Buch aus der Scheibenwelt-Serie, das Pratchett bisher geschrieben hat. Dabei ist es natürlich nicht humorlos, ganz im Gegenteil. Terry Pratchett beherrscht wie kein anderer die Kunst, etwas lustiges zu schreiben und dabei noch eine wichtige Aussage zu treffen.
Die Kleinen Götter der Scheibenwelt sind unzählige, für praktisch jedes Ding, jede Gelegenheit gibt es einen. Manchmal gelingt es ihnen, eine Gefolgschaft von gläubigen Menschen zu bekommen, und sie wachsen zu recht großen Göttern heran. Aber das Blatt kann sich natürlich auch wenden, wenn die Anzahl der Gläubigen schrumpft.
Om ist ein solcher gewachsener Gott, den die Omnianer als den einzigen und wahren Gott anbeten. Jedenfalls haben sie das einst getan. Nun sieht es in Wahrheit so aus, daß es nur noch einen einzigen Menschen gibt, der wirklich an ihn glaubt. Alle anderen legen nur noch Lippenbekenntnisse ab, was auch irgendwie mit der ziemlich radikalen Inquisition zusammenhängt. Als sich Om nun mal wieder unter seine Anhänger begeben will, um einen neuen Propheten zu küren, findet er sich statt in angemessener Form in einer kleinen Landschildkröte wieder.
Der letzte Gläubige ist der Novize Brutha, mit Gartenarbeit im Tempel Oms beschäftigt. Er ist auch der einzige, welcher die Stimme der Schildkröte, also des Gottes, in seinem Kopf hören kann. Das Buch schildert die Geschichte einer Odyssee der beiden, einer Entwicklung sowohl des etwas unbedarften Novizen als auch des Gottes, dessen Existenz buchstäblich an einem Faden hängt.
Aber eigentlich geht es in diesem Roman vor allem um Probleme, die religiöser Fanatismus mit sich bringt. Die monotheistische Religion der Omnianer neigt nicht nur zu brutaler Unterdrückung aller Andersdenkenden im eigenen Land, sondern hat auch expansionistische Tendenzen, was die Bewohner der demokratischen (deutlich den antiken Griechen nachempfundenen) Nachbarländer zu spüren bekommen.
Die verkrusteten inneren Strukturen der Kirche Oms lassen es gar nicht zu, daß ein echter Prophet entsteht. Es liegt schon längst fest, daß der mächtige und grausame Chef der Inquisition, Vorbis, der nächste Prophet sein wird. Wie Brutha während seiner Wanderung herausfindet, hat außerdem Om noch nie etwas mit den Lehren der früheren Propheten zu tun gehabt - sie alle haben sich ihre Glaubenssätze selbst ausgedacht, um die eigenen Ziele zu fördern. Entsprechend sehen diese auch aus. Der Gott hat sich allerdings nicht gerade um seine Schäfchen gekümmert, wie sich zeigt. Ihm reichte es, wenn sie an ihn glaubten.
Wen oder was Pratchett in diesem Buch meint, kann der Leser sicher für sich selbst beurteilen. Das rigide Glaubenssystem von Om paßt auf den heutigen, aggressiven Islam genauso wie auf die erstarrten und selbstgerechten Strukturen der katholischen Kirche. Nicht der Glaube an sich wird jedoch in Frage gestellt, sondern die Politik, die mit ihm betrieben wird.
Am Ende ist es vor allem der Kleine Gott, der durch die Reise zusammen mit Brutha und die Erfahrung geläutert wurde, eine winzige Schildkröte ohne Macht zu sein. Er zwingt sogar die anderen Götter dazu, aus ihrem Olymp herabzusteigen und die Menschen nicht nur als Figuren auf einem Spielbrett anzusehen.
Die Schreibweise Pratchetts ist in diesem Roman eher zurückhaltend, obwohl natürlich immer wieder einer seiner trockenen Sätze voller Humor das Ganze auflockert. Sein Anliegen ließ aber ein Zuviel an Herumgealbere nicht zu.
Das Buch spielt übrigens nicht in der aus vielen anderen Romanen bekannten Gegend, sondern auf einem Kontinent, der von Ankh-Morpork durch einen Ozean getrennt ist. Aber natürlich wird die berühmte Stadt erwähnt - paradoxerweise als das Gelobte Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wo man noch frei sein kann. Und auch der Bibliothekar hat einen kurzen Gastauftritt.

SX 60


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