Terry Pratchett: Wachen! Wachen!
Terry Pratchett: Wachen! Wachen!
(Heyne 4805)
Wieder ein "Roman von der bizarren Scheibenwelt" - der sechste bei Heyne
erschienene, der siebente insgesamt. Und von Langeweile oder Verflachung
keine Spur. Also Pratchett again! Diesmal sind die Helden vier völlig
verrückte Stadtwachen von Ankh-Morpork, der berühmten Scheibenweltstadt.
Sie müssen sich mit einem, von bösartigen Intriganten herbeigezauberten
Drachen auseinandersetzen und auch sonst etliche Probleme meistern. Im
Laufe der Handlung bringt sie das neue Mitglied der Truppe, Karotte, dazu,
aus einer total verkommenen Gruppe überflüssiger Nachtwächter
wieder zu dem zu werden, was seinem Gerechtigkeitsempfinden zufolge Stadtwachen
ausmacht. Dieser Karotte ist ein von Zwergen aufgezogener Mensch, der erst
jetzt erfahren hat, daß er kein Zwerg ist. Bei einem Körperbau,
der olle Arnold Ehre gemacht hätte, durchaus bemerkenswert. Bewaffnet
mit einem uralten Gesetzbuch und einem mysteriös unmagischen Schwert
war er aufgebrochen, um in der Stadt in die Wache einzutreten.
Aber Karotte ist nicht der alleinige Held. Sowohl die anderen Mitglieder
der Wache, vor allem ihr Hauptmann Mumm, als auch der Orang Utan - Bibliothekar
spielen wichtige Rollen. Sie alle versuchen die Folgen der Drachenbeschwörung
zu bekämpfen. Ursprünglich wollte der Sekretär des Stadtoberhauptes
nur mit seiner Hilfe einen (ihm gehorsamen) König einsetzen, doch
dann entschloß sich der Drache, die Macht selbst zu übernehmen.
Mit Hilfe eines kleinen Moordrachens, der sein feuriges Verdauungssystem
so umwandelt, daß er eine Art Überschalldrachen wird, gelingt
es schließlich, den großen Drachen aus der Stadt zu vertreiben.
Die Wachen verhalten sich dabei wie echte Helden.
Soweit so gut. Bis das nach über 400 Seiten geschafft war, habe
ich mich durch diverse Lachanfälle gekämpft, die Pratchetts einzigartiger
Humor immer wieder hervorzurufen weiß. Was macht nun eigentlich seinen
Humor aus, fragte ich mich irgendwann. Ich glaube, es ist die Komik des
absolut Absurden, die das Ganze im wesentlichen trägt. Dazu kommen
einfallsreiche und witzige Wortspiele, mit denen er in englisch-trockener
Weise den Leser verblüfft. Aber andererseits sind Pratchetts Geschichten
nie so blödsinnig, daß man über sie den Kopf schüttelt
und das Buch achselzuckend beiseite legt. Manchmal merkt man es nicht gleich,
aber dann kommt es wie ein Hammer gegen die Stirn des Lesers, der sich
eben noch vor Lachen ausschüttete. Hinter dem Humor steckt oft - und
gerade in diesem Buch - ein gehöriges Maß an böser Satire.
Die Szene, wo der Drache einen Familienvater verdampft, der als einziger
gegen die Opferung von Jungfrauen auftrat, war für mich nicht gerade
zum Lachen. Und wenn der Patrizier am Schluß Mumm sein Weltbild erklärt:
"Es gab und gibt immer nur die Bösen, aber einige von ihnen gehören
zu unterschiedlichen Lagern" und "Dort unten ... gibt es Menschen,
die jedem Drachen folgen, jeden Gott verehren und jede Greueltat bejubeln.
Und das alles nur aus stumpfsinniger, alltäglicher Verderbtheit."
dann ist das keineswegs eine aufgesetzte moralisierende Geste. Man erkennt,
daß Pratchetts Gedanken tiefer gehen als nur bis zu oberflächlichem
Spaß.
Natürlich nimmt er auch in diesem Werk wieder eine Reihe von Dingen
auf die Schippe, die manchem lieb und teuer sein dürften. Die Stadtwache
zum Beispiel, mit dem einen, gesetzestreuen Polizisten, der die verkommenen
Typen dann doch umkrempelt, ist eine sehr deutliche Anspielung auf gewisse,
im Polizeimilieu spielende Werke aus Buch und Film.
Zum Schluß noch eine Bemerkung, die mir angebracht erscheint,
weil diesem Umstand oft von Rezensenten wenig Beachtung geschenkt wird,
oder wenn, dann in negativer Form. Das Buch ist nämlich ausgezeichnet
übersetzt worden. Andreas Brandhorst leistete sicher enormes, denn
es ist sehr schwer, englische Wortspielereien wie bei Pratchett adäquat
ins Deutsche zu übertragen. Außerdem benutzt der Autor manchmal
Verzerrungen der Schreibweise (wie bei "Ämpfindlichkeit" oder in meiner
Überschrift), die passend zu übersetzen, bestimmt nicht einfach
war. Aber diese Aufgabe wurde wie immer mit Bravour gelöst.
Das Ende des Buches könnte verschlüsselt andeuten, daß
der Scheibenweltzyklus nun auch endet. "Vielleicht hielt der Zauber an.
Vielleicht auch nicht. Aber was währt schon ewig?" Bei Heyne wird
noch "MacBest" erscheinen, doch das ist - soviel ich weiß - eigentlich
"Weird Sisters", ein älterer Band des Zyklus, den der Verlag aus unbekanntem
Grund erst jetzt bringt. Ich zumindest könnte durchaus noch weitere
Abenteuer auf der Scheibenwelt ertragen.
SX 16
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