Tom De Haven: Der Tramp des Königs

Tom De Haven: Der Tramp des Königs
(Bastei Lübbe)


Bereits in SX 32 und 36 brachten wir Betrachtungen zum ersten Band der Trilogie Tom De Havens, und nun schon wieder? Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, nun, da ich die drei Bände vorliegen hatte, sie in ihrer Gesamtheit nochmals zu lesen und natürlich zu besprechen. Der erste Band war ja vielversprechend genug. Allerdings schwächte sich der Eindruck für mich dann etwas ab, ich hatte sogar Mühe, es bis zum Ende durchzuhalten.
Nicht, daß die Trilogie an sich schlecht wäre. Es läßt sich nicht leicht in Worte fassen, was genau mir das Lesen zunehmend schwerer machte. Sicher ist das auch ein nicht unbedingt zu verallgemeinernder subjektiver Eindruck. Ein paar falsche Erwartungen mögen eine Rolle dabei gespielt haben.
Ich will versuchen, die Trilogie (zum Glück scheint es eine zu bleiben) so objektiv wie möglich zu betrachten. Damit nicht erst alte SXe hervorgekramt werden müssen, gehe ich auch auf den ersten Teil noch einmal etwas ein.
Das Universum - unendliche Weiten . die sich auf nur drei (aber insgeheim vier) Welten, Paralleluniversen oder Augenblicke aufteilen. Tja . also Paralleluniversen ist wohl das am besten zu begreifende Wort. In jedem Universum gibt es nur eine "Menschenwelt". Recht dürftig, das alles, aber was solls. Auf den Menschenwelten leben also menschenähnliche Wesen, die sich mehr oder weniger stark voneinander unterscheiden. Zum Beispiel durch die Anzahl ihrer Herzen. Oder dadurch, daß außer auf Kemolo (der Erde) die Leute mit Magie nur so um sich werfen. Aber das haben wir ja schon immer gewußt. Dafür ist es Fantasy.
Die zentrale Welt ist Lostwithal, von wo auch Jack (sehr einfallsreicher Name für einen Nichtirdischen), der Tramp des Königs, kommt. Er hält sich im ersten Band zwangsweise für kurze Zeit auf der Erde auf, wo er den Rest der Protagonisten trifft, die er dann mit zurück nach Hause nimmt. Die eigentliche Aufgabe eines Weltenboten oder Tramps (des Königs) ist es, herumzuwandern und Gerüchten nachzugehen, also Informationen zu sammeln. Schon in den ersten Rezensionen deuteten wir an, daß sich das ganz schön nach Spionage anhört. Aber ein James Bond ist Jack nun auch wieder nicht.
Er ist auch nicht etwa der Hauptheld der Trilogie, nein, es gibt gar keinen. Bis zum Schluß konnte ich nicht erkennen, ob der Autor einer seiner Figuren den Vorzug gab. Es handeln immer andere und ständig tauchen neue auf. Das ist wohl ein Grund für meine nun etwas kritischere Haltung zu diesem Werk. Ich mag dieses Hin-und-Her-Gespringe nicht, ich habe gern ein oder zwei Identifikationsfiguren.
Der erste Teil handelt ausschließlich davon, daß Jack, der mitsamt einem Magier von seiner Welt vor einem anderen Zauberer fliehen mußte, ein paar heruntergekommene Menschen trifft und mit ihnen zurück nach Lostwithal geht, um dem König von einer Bedrohung für das Universum zu berichten (wegen dieser mußte er kurzzeitig verschwinden).
Irgendwie hatte ich bei der Bedrohung immer das Gefühl, das sie ganz schön albern sei. Es handelte sich nämlich um ein aus Lehm geknetetes Riesenbaby, dessen Blicke töten und dessen Hände das Gewebe der Realität zerreißen können.
Im zweiten Band setzt man sich mit dem bösen Magier und seinem Monsterbaby auseinander. Schließlich werden das etwas gewachsene Monster und der Magier vernichtet. Aber eine neue Bedrohung kommt aus der doch nicht so hypothetischen vierten Welt über das Universum: eine Vertreterin der Letzten Menschen, hochgradig wahnsinnig und gefährlich. Also muß auch diese Dame ausgemerzt werden, was wiederum Jack fertigbringt.
Hört sich nicht besonders prall an Handlung an, wie? Das Grundgerüst ist auch nicht gerade vielschichtig. Aber De Haven hat es mit einer Menge Fleisch versehen. Die wechselnden Protagonisten erleben in den ihnen fremden Welten eine Fülle von Seltsamkeiten und Abenteuern. Manchmal ist es schon ärgerlich, daß das wenigste davon eine Art Erklärung findet. Der Autor beschreibt eher, als daß er auf Hintergründe eingeht. Man ist als Leser in keiner besseren Position als die armen Würstchen von der Erde, die meistens nicht kapieren, was mit ihnen und um sie herum geschieht.
Die Vielfalt eigenartiger Vorkommnisse, Orte und Gebräuche macht den Stoff jedoch schön bunt. Man muß es hinnehmen, und ein paar Sachen finden dann ja doch noch so etwas wie eine Erklärung. Es ist schon eine ungewöhnliche Schreibweise, die Tom De Haven hier betreibt. Kein richtiger Held, keine Hintergründe, nur beschreibendes Erzählen. Nicht ganz und gar mein Fall, muß ich sagen. Man muß sich wirklich eine Menge selbst zusammenreimen; das regt natürlich die eigene Phantasie an, ist aber nicht unbedingt auch leicht.
Wirklich schade fand ich das Fehlen einer Identifikationsfigur. Jack, der Tramp, handelt fast nie selbst, immer nur beobachtet man ihn durch die Augen anderer. Peter Musik, ein erfolgloser Journalist, der am Anfang ohne Gedächtnis ist, wurde mir schnell unsympathisch und blieb es auch. Egoistisch, selbstsüchtig und engstirnig bietet er nicht viel für einen Helden. Warum Jack ihn am Ende Freund nennt, ist nicht nachvollziehbar. Monica, das verwöhnte Collegegirl, bleibt blaß. Der Zauberer Squintik ist eine rätselhafte Figur, aber lange kein Gandalf. Jere Lee, die alternde Pennerin, ist die Figur mit der am deutlichsten sichtbaren Entwicklung in den Romanen. Aber kein Charakter wurde zu einer Leitgestalt. Deshalb fiel mir auch schwer, mich auf den Ablauf der Handlung zu konzentrieren. Die Bücher wurden oft zugunsten anderer beiseitegelegt.
Ich erwähnte schon meine falschen Erwartungen. Von der Beschreibung auf der Rückseite des ersten Bandes und den Coverbildern her dachte ich eigentlich, es würde wieder einmal der nicht unkomische Zusammenprall unserer mit einer Fantasywelt gezeigt. Das war nicht der Fall. Weder gab es etwas zu lachen, noch hielten sich die Helden lange auf der Erde auf. Und so interessant die Fantasywelt auch war, die dann beschrieben wurde, ich hatte eben etwas ganz anderes erwartet.
Mir scheint, ich habe ein wenig zu viel kritisiert. Die Trilogie ist bestimmt nicht schlecht, und sie ist vollgestopft mit Ideen und Neuheiten, wenn auch vieles einfach nur so da ist, ohne eine wichtige Rolle zu spielen oder entwickelt zu werden. Man kann die drei Bücher sicher einem Fantasy-Leser empfehlen, ohne ihn zu enttäuschen. Normaler Stoff, etwas mit frischem Wind angetrieben.
Aber besorgt Euch zu guter Letzt einen fetten, schwarzen Filzschreiber und macht den Klappentext des dritten Bandes unkenntlich. Da hat sich BL wieder einmal den allergrößten Schwachsinn geleistet, den man nur über ein Buch schreiben konnte. Alles totaler Quatsch! Übrigens ebenso wie der Titel des dritten Bandes: ein Königsschwert taucht weder auf, noch steht es Jack überhaupt zu. Wer löst nur einmal das Rätsel aller Rätsel: wie machen es Verlage, in schöner Regelmäßigkeit einen solchen Mist zu fabrizieren?

[Walker of Worlds, © Tom De Haven 1990, BL 20201, 1993, 346 Seiten, DM 9.80]
[The End-of-Everything-Man, © Tom De Haven 1991, BL 20213, 1993, 348 Seiten, DM 9.90]
[The Last Human, © Tom De Haven 1992, BL 20224, 1994, 281 Seiten, DM 9.90, alle übersetzt von Eva Bauche-Eppers] 

SX 55

 

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