Ursula K. LeGuin: Tehanu

Ursula K. LeGuin: Tehanu
(Bantam Books, 1991)


Es war schon vor einer ganzen Weile, da las ich LeGuins "Erdsee"-Trilogie. Mit Begeisterung, kann ich wohl sagen. Erik Simon gefiel "Erdsee" sogar noch besser als Tolkiens "Herr der Ringe", jedoch glaube ich, daß man die beiden Werke nicht unbedingt vergleichen kann. Inhaltlich, in ihrer Form und in ihrem Stil weichen sie doch zu sehr voneinander ab. Echt erschüttert war ich dann, als ich irgendwo las, daß die Autorin einen vierten Teil zur Trilogie geschrieben hatte. Auch sie also? Die "Erdsee" zur Serie degeneriert? Ziemlich mißtrauisch machte ich mich auf die Reise nach England, um das Buch zu kaufen.
Man ist erleichtert, wenn man es dann sieht. Auf dem prächtig aufgemachten roten Einband ist zu lesen: "Das letzte Buch der Erdsee" und "Der großartige Abschluß des Erdsee-Zyklus". Also doch nicht ganz so schlimm, wie ich erst dachte. Die Autorin scheint es ernst zu meinen mit diesem Schluß.
1990 geschrieben, greift "Tehanu" nicht den Helden der Trilogie, Ged bzw. Sperber, als Hauptfigur auf, sondern Tenar, die Priesterin aus Atuan, die Ged damals rettete oder entführte, wie mans nimmt. Zwar taucht auch der Magier Ged wieder auf, aber nur als Nebenfigur. Tenar ist inzwischen alt geworden, ihr Sohn ist erwachsen und fährt zur See, da wird sie von ihrer Geschichte eingeholt und erneut in den Brennpunkt der Geschehnisse in Erdsee gebracht.
Einige werfen LeGuin vor, ähnlich feministisch geworden zu sein wie Zimmer-Bradley, und daran mag einiges sein. Die Autorin ist nicht so extrem, aber die Wahl der Heldin und einige von deren Handlungen und Überlegungen deuten doch an, daß auch LeGuin im Alter andere Einstellungen literarisch ausdrücken möchte. Waren die Figuren im Hainish-Zyklus und der "Erdsee"-Trilogie bisher männlich - in Person und Handlungsweise - so hat sich das mit "Tehanu" entscheidend geändert.
LeGuin hat mit dem Magiesystem der Erdsee ein in sich geschlossenes, logisch aufgebautes Muster geschaffen, das sowohl auf dem Gleichgewicht zwischen Gut und Böse aufbaut - ähnlich wie die Magie in der "Drachenlanze" - als auch auf einer mystischen Ursprache, deren Kenntnis die Macht über die Dinge und Wesen verleiht. Letzterer Aspekt verleiht dem Werk etwas lyrisches; und hier könnte man doch mit Tolkien vergleichen, der ja bekanntlich gleichermaßen von Sprache fasziniert war und ihr daher einen hohen Stellenwert einräumte.
Die Sprache der Magie ist es auch, welche die Drachen der Erdsee sprechen, und die Drachen spielen im letzten Band des Zyklus' eine große Rolle. Geds alter Bekannter, der Drache Kalessin, taucht wieder auf, und es werden Legenden erzählt, wonach die Menschen der Erdsee selbst von den Drachen abstammen. (Als ich das las, wurde mir ein wenig flau zumute, denn genau diesen Zusammenhang konzipierte ich für mein eigenes Buch "Operation Asfaras"! Zum Glück war ich diesmal schneller, so daß man mir schlecht Ideenklau vorwerfen kann.)
Tenar, die allein lebt, nimmt ein kleines Mädchen bei sich auf, das von seinen Eltern (?) grausam mißhandelt wurde. Therru ist anfangs ein ganz normales - wenn auch unter den Mißhandlungen und seiner Entstellung leidendes - Kind. Doch im Laufe des Buches mehren sich die Seltsamkeiten. Sie sind nicht so aufdringlich, daß man sich als Leser wundert, wieso Tenar nichts merkt, man kann nur ahnen.
Nachdem Ged in der Trilogie den König der Erdsee wieder auf den Thron gebracht hat (ok, noch eine Tolkien-Parallele), bahnt sich ein Wandel an. Nicht so dramatisch wie beim Altmeister, kein donnerndes Ende des Zeitalters, aber da ist ein Wandel. Die neue (?) Einstellung LeGuins kommt durch, als im Laufe des Geschehens das Verhältnis der Magier zu den Frauen, und insbesondere Tenar, verändert wird. Sind Frauen ursprünglich für die Zauberer der Erdsee nur ein nutzloses Beiwerk, ohne Chance zur Ausübung wahrer Magie, so sehen sie sich nun gezwungen, nach einer "Frau auf Gont" Ausschau zu halten, die entsprechend einer Vision Hilfe für sie bringen soll. Aber die Frau ist nicht Tenar. Auch Geds Haltung zu ihr ist verändert. Mußte er wegen seiner Magie in der Trilogie im Zölibat leben, so hat er seine Kräfte nun verloren und die beiden finden am Ende doch zusammen.
Die Zusammenhänge im Buch sind nicht so geradlinig. Geds und Tenars Schicksal überschneidet sich mit dem Therrus, und natürlich mit dem von ganz Erdsee. Bemerkt werden muß hier, daß es unerläßlich ist, die Trilogie genau zu kennen, um alle Bezüge und Zusammenhänge im Buch zu verstehen.
Am Ende des Buches geraten Ged und Tenar dann in die Gewalt eines bösartigen Zauberers. Durch diese Ereignisse wird die Enthüllung des Geheimnisses quasi erzwungen. Was der Leser schon vermutet, wird bestätigt. Alle Fäden verknüpfen sich und die Perspektive für Erdsee eröffnet sich. Offenbar erhalten die Menschen in der neuen Zeit die Chance, wieder mit ihrem anderen Aspekt, den Drachen, eins zu werden. Das Mädchen Therru ist in Wahrheit Tehanu, eine Drachenmagierin oder ein Drache selbst, das kann sich der Leser selbst denken. Kalessin spricht zu ihr - also ist sie per Definition zumindest ersteres - und sie kann ihn zur Rettung der beiden Gefangenen herbeirufen.
Das Buch endet, ohne alles aufzulösen und zu erklären. Es hat ein befriedigendes und doch nachdenkliches Ende. Und ich glaube, daß es trotz der Verschiebung der Schwerpunkte ein Buch geworden ist, das der "Erdsee"-Trilogie gerecht wird. 

SX 32

 

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