Vernor Vinge: Ein Feuer auf der Tiefe
Das
Buch des Jahres!
Vernor Vinge: Ein Feuer auf der Tiefe
(Heyne 06/5299)
"Ein kosmischer Krieg von galaktischen Ausmaßen", steht auf dem
Buch, aber davon sollte man sich nicht irritieren lassen. Es ist keine
triviale Space Opera. Und die Ausmaße . die sind so unvorstellbar
gigantisch, daß jene Formulierung wohl eher als Untertreibung angesehen
werden kann. Der Kampf tobt um das Schicksal der Galaxis, und zum ersten
Mal konnte ich das wirklich nachvollziehen. Allzuoft hängt irgendwie
immer gleich das Universum vom Handeln der Helden ab, hier war das glaubhaft.
Vernor Vinge - der Ehemann von Joan D. Vinge - hat mit diesem Buch
etwas geschaffen, das Maßstäbe setzen wird. Vor dem Leser entrollt
sich das riesige Panorama der Galaxis, bevölkert mit unzähligen
intelligenten Rassen. Soweit ist das noch nicht neu, aber dieser Vielfalt
wird noch etwas entscheidendes hinzugefügt: Der Aufbau unseres Milchstraßensystems
hängt eng mit dem Auftreten von Bewußtsein zusammen, im Inneren
gibt es keins, das sind die Gedankenleeren Tiefen. Wer dort hineingerät,
läuft buchstäblich in Gefahr, zu verblöden. Darum liegt
die Langsame Zone, in der die Lichtgeschwindigkeit die oberste Grenze ist.
Wer mit einem Ultralichtschiff dort strandet, hat wirklich Pech. Dann kommt
das Jenseits und ganz außen das Transzens. Dies sind die Zonen des
Denkens. Die wirklich entwickelten Zivilisationen sitzen im Jenseits, möglichst
weit oben. Noch höher stehen dann die Superzivilisationen oder MÄCHTE,
die transzendierte Wesen (oder Zivilisationen?) darstellen. Was immer das
im Einzelnen heißen mag.
Das Buch handelt in einer nebulösen Zukunft, wo die Alte Erde
der Menschen ein Ort am anderen Ende der Galaxis ist und die Menschen selbst
nur eine unter den vielen Kulturen im Jenseits. Im Jenseits sind phantastische
Technologien möglich, Computer und Automatik ist praktisch intelligent,
und alles nur, weil eben die Struktur von Raum und Zeit so ist, wie sie
ist. Doch auch die Jenseits-Bewohner erschaudern ehrfürchtig vor den
Wundern, der MÄCHTE im Transzens. Was die anstellen, grenzt an göttliche
Macht - und alles deutet darauf hin, daß sie diese auch haben. An
einer Stelle ist die Rede von einer Rasse, die eine transzendierende MACHT
als Jux erschuf - und die jetzt seit einigen Jahrzehntausenden existiert.
Natürlich strebt alles danach, auch mal in diesen Status zu gelangen.
Überlichtschnelle Kommunikation - das Netz - spielt eine ebenso
große Rolle wie interstellarer Handel. Das Buch ist übrigens
mit Botschaften aus dem Netz durchsetzt, die in ihrer Kürze und Nüchterheit
die fürchterlichsten Dinge übermitteln, so daß einem schon
mal ein Schauer über den Rücken laufen kann. Denn das Kanonenfutter
des besagten Krieges sind ganze Zivilisationen, die sekundenschnell ausgelöscht
werden. Der Maßstab der Geschehnisse ist den räumlichen Dimensionen
angemessen, von denen der Autor hier spricht.
Wodurch kommt es zu diesem ungeheurem Konflikt?
Eine Gruppe von Menschen erschafft beim Experimentieren mit einem Milliarden
Jahre alten Archiv an der Grenze zum Transzens eine Art böse, kranke
MACHT - die PERVERSION. Diese zieht, einmal freigesetzt, einen Pfad der
Verwüstung durch die Galaxis, zerstört die einen Systeme, übernimmt
bzw. versklavt die anderen. Nichts scheint ihr gewachsen zu sein. Einem
Schiff gelingt noch die Flucht aus diesem Archiv, es strandet irgendwo
knapp über der Langsamen Zone auf einem Planeten. Ein Elternpaar mit
ihren Kindern Johanna und Jefri sind die einzigen Überlebenden. Von
einer anderen Stelle her startet ein zweites Schiff zu ihrer Rettung, an
Bord sind zwei seltsame Wesen, Skrodfahrer genannt, die Frau Ravna und
der von einer MACHT zusammengebaute Mann Pham, der einen Teil der MACHT
in sich trägt, sogenannte Gottessplitter. Und im Laufe des Buches
macht sich scheinbar die halbe Galaxis auf den Weg, um Ravnas Schiff am
Erreichen seines Zieles zu hindern.
Die Flüchtlinge könnten nämlich etwas an Bord haben,
das gegen die PERVERSION oder Pest hilft.
Genauso interessant wie die Jagd der Raumschiffe und Ravnas Erlebnisse
gestaltet sich, was auf dem Planeten passiert. Dort lebt eine Rasse von
Rudelwesen, also intelligenten Geschöpfen, die sich aus Gruppen von
ca. sechs Individuen zusammensetzen. Hier gibt es Gute und Böse, die
Eltern werden gleich zu Anfang getötet und die Kinder getrennt, aber
mehr will ich nicht verraten. Diese Welt und ihre Bewohner sind faszinierend
erdacht, hier finden sich weitere interessante, liebens- und hassenswerte
Charaktere und die Handlung spitzt sich zu einer schier unerträglichen
Spannung zu.
Das ist genau die Art von Buch, wo man mal noch eine halbe Stunde lesen
möchte und dann gegen 2.30 Uhr merkt, daß man irgendwann ja
noch ins Bett müßte. Es hat 800 Seiten, und am Ende ruft man
nach mehr.
Vernor Vinge hat für die menschliche Seite seiner Helden einen
norwegischen Kulturkreis als Hintergrund gewählt, weil ihn eine Reise
dorthin einmal sehr beeindruckte. Man merkt es an den Namen und ein paar
anderen Einzelheiten, aber es wirkt durchaus plausibel, ohne einschränkend
zu sein.
Der Roman übertraf eine Menge von dem, was ich in letzter Zeit
gelesen habe, bei weitem. Man kann ihn einfach nur ganz stark empfehlen.
[A Fire Upon The Deep, © by Vernor Vinge 1992, übersetzt von Erik Simon 1995, 797 Seiten, DM 25.00]
SX 63
Kommentare
Kommentar veröffentlichen