Vonda N. McIntyre: Barbary
Vonda
N. McIntyre: Barbary
(Ace Books 1986, 183 Seiten, $ 4.50)
Die Autorin braucht man nach ihren Romanen zu Star Trek wohl wenigstens
diesem Teil der Leser nicht mehr vorzustellen. Ich kannte von ihr bisher
nur "Dreamsnake" (Traumschlange, Kn 5714) und "The Exile Waiting" (Die
Asche der Erde, H 3778). Beide Bücher bewogen mich, unbesehen ein
weiteres zu kaufen, als ich es in einem Berliner Geschäft fand.
Auch in diesem Roman ist die Hauptperson wieder ein junges Mädchen,
hier erst zwölf Jahre alt. McIntyre scheint eine Vorliebe für
eine solche Besetzung zu haben, wenn sie die Wahl hat (was ja bei Star
Trek Filmbüchern nicht der Fall ist - Kinder spielen dort eine verschwindend
geringe Rolle). Barbary ist eine Waise, die es irgendwie geschafft hat,
die Erlaubnis zu erhalten, auf eine Raumstation auszuwandern.
Es ist recht interessant, wie es die Autorin schafft, nur durch Andeutungen
und einige Erinnerungen den Hintergrund Barbarys zu umreißen, sowohl
persönlich als auch gesellschaftlich. Sie läßt sich auf
keine langwierigen Darstellungen von Dingen ein, die einer handelnden Person
vertraut sein müßten, also nur für den Leser abgehandelt
werden. Da ist zum Beispiel die Rede von Fotos der Mutter des Mädchens
- sie sind ein wenig angesengt, mehr wird nicht gesagt, aber man kann sich
so ausrechnen, daß die Mutter, bzw. die Eltern bei einem Unglück
ums Leben kamen, bei welchem Feuer eine Rolle spielte. Die gleichen Fotos
dienen noch einmal dazu, anzudeuten, was Barbary in ihrem Leben in Kinderheimen
und buchstäblich in der Gewalt der staatlichen Fürsorge schon
durchmachen mußte. Um sie für irgend etwas zu bestrafen, wirft
man sie nämlich fort - die einzigen Erinnerungsstücke, die sie
besitzt.
Überhaupt steckt hinter der jugendbuchartigen Weltraumabenteuerstory
des dünnen Buches mehr als eine manchmal recht bitter anmutende Aussage
zum Thema Beziehungen Erwachsene und Kinder. Gleich zu Anfang findet man
Barbary auf dem Weltraumhafen, wo sie schon seit zwei Wochen darauf
wartet, einen ihr zustehenden, gebuchten Platz in einem Shuttle zu bekommen.
Aber eine Zwölfjährige ist natürlich am unwichtigsten von
allen Passagieren. Nur durch das Eingreifen einer Raumfahrerin kommt sie
schließlich überhaupt an Bord. Dann wundert sich ein auf der
Raumstation geborenes, gleichaltriges Mädchen darüber, daß
Kinder auf der Erde nicht Auto fahren dürfen, weil sie nicht verantwortungsbewußt
seien. Sie wäre noch nie betrunken in einen Raumgleiter gestiegen,
meint Heather, um einen Wettflug zu machen und dabei fast einen Transporter
zu rammen. Es seien immer nur die Erwachsenen, die verantwortungslos handelten.
(Zumindest dem Wortlaut von letzterer Aussage kann ich nicht unbedingt
zustimmen. Im Straßenverkehr habe ich heute am meisten vor irgendwelchen
besoffenen Minderjährigen Angst, die mal schnell ein Auto geklaut
haben. Aber so meinte McIntyre das wohl auch nicht.)
Auf der Erde gibt es eine Art Weltstaat nach amerikanischem Muster.
Der Vizepräsident, der auch an Bord der Raumstation kommt, scheint
der typische Bürokrat zu sein, aber der Generalsekretär der Vereinten
Nationen ist eine Frau, und noch dazu eine Indianerin. Wahrhaft utopisch,
dieser Einfall.
Grund für die Ansammlung politischer Größen im Weltraum
ist die - selbstverständlich streng geheime - Ankunft eines fremden
Raumschiffes im Sonnensystem. In der Nähe der Raumstation "Einstein"
will man herausfinden, ob es sich um ein Wrack oder ein bemanntes Schiff
handelt, und es gegebenenfalls begrüßen.
Barbary, die übrigens eine Katze mit an Bord schmuggelte, spielt
natürlich beim Kontakt mit den Aliens eine wichtige Rolle - das sind
halt die Gesetze der Literatur. Das Thema, Kinder als Verständigungsbrücke
zwischen (erwachsener) Menschheit und einer fremden Intelligenz zu benutzen,
ist ja alles andere als neu. Seit "E.T." zumindest weiß jeder, daß
die Erwachsenen die bösen, arme kleine Aliens sezierenden Dumpfbacken
sind und nur kleine (amerikanische) Kids genügend Einfühlungsvermögen
besitzen, um die Sache wieder ins Lot zu bringen. Na gut, einiges spricht
ja wirklich für diese Idee. Theoretisch sind Kinder sicher viel eher
bereit, das Ungewöhnliche zu akzeptieren, sie haben eine beweglichere
Phantasie und sind nicht so von Paranoia und Xenophobie geplagt wie der
Rest der Welt. Nur, ob heutige Kids diesem Bild noch entsprechen? Wenn
ich mich da so umschaue, habe ich einige Zweifel.
Die Aliens, die sich als nette Wesen herausstellen, welche die Menschheit
"in der Zivilisation begrüßen" wollen, sind also da. Ein Happy
End nach einigen spannenden Situationen, in denen sich die beiden Kinder
(und die Katze) bewähren müssen.
Freilich ist der Roman nicht gerade ein welterschütterndes Werk
von enormer philosophischer Tiefe. Doch trotz seines geringen Umfanges
ist das Buch voller realistischer Details, die aufmerken lassen. Vonda
McIntyre hat ihre Hausaufgaben gemacht, das merkt man ihrer Beschreibung
des Lebens in der Raumstation an. Sie dankte übrigens John Cramer
(Autor von "Twistor") von der Universität Washington, Seattle und
Gerard O'Neill, einem namhaften Weltraumwissenschaftler, für ihre
wissenschaftliche Beratung.
Wegen der Besetzung der Hauptcharaktere wird man das Buch sicher als
auf ein jüngeres Leserpublikum ausgerichtet empfinden, aber es steht
damit in der Tradition der SF, in einer Reihe mit Werken z.B. von Heinlein,
die man wohl auch nicht gerade als Kinderbücher klassifizieren kann.
Mir ist nicht bekannt, ob das Werk schon auf Deutsch erschienen ist,
das Lexikon von 1988 erwähnte es jedenfalls noch nicht. Sollte es
auftauchen, kann ich es nur empfehlen.
SX 55
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