Wolfgang Hohlbein: Das Druidentor
Wolfgang
Hohlbein: Das Druidentor
(Heyne 01/9536, 542 Seiten, DM 14.90)
Man soll eben keine Vorurteile haben. Ich mag Hohlbeins manchmal etwas
langatmige Schreibweise nicht besonders, obwohl ich nicht leugnen kann,
daß er wohl der erfolgreichste deutsche Phantastik-Autor dieser Zeit
ist. Einige seiner Bücher könnten sicher eine Straffung vertragen,
es muß ja nicht immer alles 700 oder 800 Seiten stark sein. Diesmal
wagte ich mich trotz meiner Bedenken an den neu als Taschenbuch erschienenen
Roman "Das Druidentor" (1993 bei Weitbrecht zuerst erschienen).
Das Buch ist wesentlich lesbarer als frühere, die mich eher abschreckten.
Obwohl auch nicht gerade dünn, gibt die Handlung genug her, um den
Leser zu fesseln. Außerdem ist sie sehr realitätsnah gemacht
und größtenteils recht überzeugend. Der Roman muß
wahrscheinlich als Science Fantasy eingeordnet werden, denn er verbindet
SF-Elemente mit einer Handlung, die sich vor allem zum Ende hin immer mehr
zur Fantasy entwickelt. Leider für meinen Geschmack mit viel zu viel
christlichem Brimborium.
In den Schweizer Bergen wurde ein Tunnel gebohrt, durch den der ICE
2000 fahren soll. Schon dies läßt ahnen, was Hohlbein auch noch
aufzugreifen gedenkt: die umstrittenen Verkehrslösungen unserer Zeit.
Als der Superschnellzug seine Jungfernfahrt macht, passiert ein Unglück.
Allerdings kein gewöhnliches - der Zug altert im Tunnel um Jahrhunderte,
die Menschen darin sind tot, als man ihn findet. Nun beginnt die vielsträngige
Handlung, anfangs oft durch Rückblenden in das Leben des ehemaligen
Wissenschaftlers Warstein unterbrochen. Warstein erlebte schon beim Tunnelbau
mysteriöse Vorfälle, aber der Chef des Projektes - ein fieser
Deutscher namens Franke - glaubte ihm anscheinend nicht und feuerte ihn
schließlich. Zusammen mit Angelika Berger, die ihren verschwundenen
Mann sucht, und einem superblöden Journalisten namens Lohmann macht
sich Warstein nun wieder auf, um in der Schweiz nach dem Rechten zu sehen.
Außerdem gibt es da noch den Polizisten Rogler, der vom Projektleiter
nach der ICE-Katastrophe beauftragt wird, das Ganze als Terroranschlag
hinzustellen.
Die Gestalten sind stellenweise ein wenig überzeichnet, fand ich,
so daß ihre Handlungen nicht immer ganz plausibel sind. Franke ist
ein "typischer" karrieregeiler Wissenschaftler, der moderne mad scientist
halt. Rogler bleibt ziemlich blaß und auch Angelika hat nicht viel
Profil.
In den Bergen um den Tunnel häufen sich die mysteriösen Vorfälle,
während die drei Hauptpersonen versuchen, dorthin vorzudringen. Frankes
Theorie eines Mini-Black-Holes im Berg ist für den Leser schon von
vornherein unglaubwürdig, da man miterlebt, wie Warstein druidische
Zeichen findet und einem merkwürdigen alten Einsiedler begegnet. Also
liegt die Lösung wohl eher im Bereich der Fantasy. Zwar baut alles
darauf auf, daß es auch heute noch Druiden gibt, die sozusagen über
die Stabilität der Welt wachen, aber der Schwenk von der High-Tech-Gegenwart
des ICE und der Forschungslabors in diese Richtung ging mir etwas zu glatt.
Der allwissende Erzähler gibt hier einfach nur vor, was los ist. Das
ist mir zu oberflächlich, und es wäre viel interessanter gewesen,
es die Helden für den Leser allein entdecken zu lassen. Es wird auch
nicht erklärt, wie plötzlich in der Schweiz an die hundert Druiden,
Schamanen und Zauberpriester aller möglichen Reste von Naturvölkern
auftauchen können. Die haben doch bestimmt nicht die Mittel, sich
einfach so in ein Flugzeug zu setzen?
Die Handlung entwickelt sich jedoch furios weiter, so daß man
kleine Ungereimtheiten vergißt. Immer wieder werden in Zwischenszenen
dramatische Auswirkungen des bis dahin Unerklärlichen gezeigt. Man
weiß nicht genau, wer am Ende die Drei sein werden, von denen der
alte Einsiedler sprach, welche die Welt retten können, was die Spannung
schürt. Denn darauf läuft es hinaus: Die entfesselten Gewalten
eines Risses in der Realität, eines halbgeöffneten Tores drohen
die Welt zu vernichten. Warstein und die anderen wissen bis zum Schluß
selbst nicht, was sie tun werden, aber natürlich tun sie es. Die Welt
ist danach allerdings eine andere geworden, hat eine neue Chance erhalten,
nachdem sie bereits am Abgrund taumelte.
Möglicherweise ist das Druidentor als ein Sinnbild für das
Tor der dringend nötigen Veränderung, des Umdenkens gedacht,
das unsere Welt durchschreiten muß, wenn sie überdauern will.
Ob dazu unbedingt diese ganze druidisch-keltische Mystik notwendig gewesen
wäre? Zumindest ist es spannend geschrieben, und viele finden so etwas
ja gut, wenn sich unter der Oberfläche unserer Welt etwas Altes, Geheimnisvolles
regt.
Nicht immer ist alles in dem Buch hundertprozentig überzeugend,
vor allem, wenn Hohlbein versucht, tatsächliche Gegebenheiten einzubeziehen.
Es ist doch recht zweifelhaft, ob der einfache Wissenschaftler Franke wirklich
in der Schweiz mit geradezu absoluter Macht hätte handeln können,
nur weil er seine Entdeckung "den Militärs" verschachert hat. Das
klingt, wie auch den Helden immer wieder auffällt, zu sehr nach schlechtem
Thriller oder James-Bond-Film. Aber vielleicht ist es naiv, anzunehmen,
daß es nicht zu solch einem chaotischen Geschehen käme,
würde irgendwo etwas ähnlich grandioses entdeckt werden.
Einen Vorzug hat Hohlbeins Buch noch: Es ist trotz all seiner filmsequenzartigen
Action sehr europäisch und hebt sich damit regelrecht wohltuend von
angloamerikanischen Produktionen ab.
SX 65
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