Orson Scott Card: Play Kosmos - Planetenspiele
Orson Scott Card: Play Kosmos - Planetenspiele
Stories aus der Welt von Übermorgen
(Bastei Lübbe 22043)
Ein Story-Band, wie man schon aus der Überschrift
ersehen kann. Ein Story-Band von Orson Scott Card. Er ist schon sehr alt,
tatsächlich handelt es sich bei dem Buch um die fast schon legendäre
Sammlung "Unaccompanied Sonata". Der Bastei Verlag hat 1982 aber nicht
nur mit dem sinnlosen Buchtitel danebengegriffen. Spiele kommen in dem
Buch überhaupt nur in einer Geschichte vor, ungeachtet der deutschen
Titelwahl für "Closing the Timelid" (Die Zeitspieler). Und auch Planetenspiele
gibt es nicht; das Wort weckt Assoziationen zu sehr konventioneller SF,
zu Planetenstories. Aber Card schreibt nun alles, nur keine konventionelle
SF.
Der andere, ärgerliche Fehlgriff des Verlages
betrifft die Übersetzungen. Sie sind sprachlich und fachlich einfach
grausig. Sprachlich, weil die Texte dadurch manchmal so hölzern wirken
wie fannische Anfängergeschichten, fachlich, weil die Leute einfach
keine Ahnung hatten. Um nur ein besonders krasses Beispiel zu nennen: Man
übersetzte permanent die englische Zahl Billion als ... Billion! Davon,
daß das eigentlich Milliarde heißt, hatten die Herrschaften
Übersetzer wohl noch nicht mal in der Schule gehört. Und es fiel
ihnen auch nicht auf, daß die Erdbevölkerung plötzlich
in Billionen angegeben war!
Schade, sehr schade, diese Geschichten Cards
hätten eine sorgfältigere Behandlung verdient gehabt.
Die Stories (was man bei Bastei übrigens
schon 1982 als "Storys" schrieb) entstanden hauptsächlich in den 70er
Jahren. Man findet in ihnen einen Card, wie man ihn aus seinen Büchern
so gar nicht kennt. Nicht etwa, weil es seine Anfängersachen sind,
sondern weil sie einfach anders sind. Sie sind fast durchweg bitterböse,
grausam und häßlich, aber auch erschütternd und bewegend.
Ich kann Ben Bova glauben, wenn er schreibt, daß die Korrektoren
mit Tränen in den Augen zu ihm kamen, nachdem sie einige der Geschichten
gelesen hatten. Bova leitet das Buch jedenfalls auf ungewöhnliche
Weise mit einem offenen Brief an den Autor ein, der einige bemerkenswerte
Gedanken enthält:
"Die Gemeinschaft der Science Fiction Anhänger
bildet so etwas wie ein warmes, freundliches Nest, worin (zumeist) friedlich
Menschen sitzen, deren gemeinsames Interesse Science Fiction ist."
Die erste Story ist "Ender's Game" (Enders
Spiel). Ich habe das aus ihr entstandene Buch mehrmals gelesen und
war überrascht, wie sehr sich doch diese Story von ihm unterscheidet.
Ender ist hier z.B. ganz allein, er hat keine Familie, sondern war schon
immer in dieser Militärschule. Auch der Feind wird überhaupt
nicht näher beschrieben, die "Bugger" bleiben hier einfach ein ominöser
Gegner. Selbst der später durch Card von LeGuin übernommene Begriff
des Ansible taucht nicht auf, sondern das Gerät heißt "Verkürzer".
(Ich hoffe, das ist nicht Schuld des Übersetzers!) Was in dieser Kurzfassung
eventuell noch stärker zum Ausdruck kommt, ist die fast skrupellose
Benutzung
Enders durch die erwachsenen Militärs.
Wenn der Leser von Enders Schicksal erschüttert
war, erwartet ihn danach ein brachialer Schlag in die Magengrube, der durchaus
Brechreiz hervorrufen kann. In "Kingsmeat" (Königsfleisch)
haben zwei Aliens eine Menschenkolonie irgendwo auf einem Planeten besetzt
und halten sich die Leute als Schlachtvieh. Einer aber, der sogenannte
Schäfer, ist davon ausgenommen. Er geht herum und schneidet den Dörflern
mit einem speziellen Instrument das ab, was König und Königin
wünschen. Mal ein Arm, mal ein Bein, mal die Zunge oder das Auge.
Die Tragik des Schäfers ist, daß er die Kolonie dadurch rettet.
Trotzdem wird er grausam bestraft, als die Befreiung dann da ist.
Die folgende Story, "Deep Breathing Exercises"
(Atemübung - das sollte eigentlich Plural sein!), ist laut
Card sehr persönlich, nichtsdestotrotz ein beklemmender Alptraum.
Jemand bemerkt, daß immer dann, wenn Leute plötzlich miteinander
im Gleichklang atmen, sie kurz darauf sterben. Leider gelingt es ihm nur,
einen Mann zu retten, der ihn zudem gar nicht interessierte, bevor er selbst
draufgeht.
"Closing the Timelid" (Die Zeitspieler)
erzählt vom Hobby einer Gruppe dekadenter Narren, die durch die Zeit
zurückreisen, um sich dort vor einen Lkw zu werfen. Die Todeserfahrung
verschafft ihnen den Kick... Der arme Lkw-Fahrer muß neun verschmierte
Selbstmörder vor seinen Augen wieder vom Kühlergrill verschwinden
sehen, bevor er durchdreht und sich auch umbringt.
Die folgende Geschichte heißt "I Put My
Blue Genes On" (Meine Lektion in Gen-Ethik), was leider ein Wortspiel
ist. Die Nachfahren der Menschen finden auf der von einer grauen Suppe
dominierten Erde (nach dem letzten Krieg) noch einen Bunker mit fanatischen
Amerikanern, die noch nach hunderten von Jahren glauben, gegen die Russen
zu kämpfen, während ihr Feind in Wahrheit die mutierte Schleimsuppe
ist. Der Schluß ist hier weniger überzeugend, aber für
sich ist die Story sehr grotesk.
Man braucht ein paar Kenntnisse in griechischer
Geschichte, um den Titel "Eumenides in the Fourth Floor Lavatory" (Die
Erinnyen auf der Toilette im IV. Stock) richtig zu verstehen. Wenn
jemand annimmt, hinter diesem Titel verbirgt sich was Komisches, liegt
er total daneben. Alptraumhaft scheußlich!
Dagegen ist "Mortal Gods" (Die Götter
sind sterblich) richtig elegisch. Außerirdische kommen zur Erde
und bauen überall Kirchen. Der Protagonist findet heraus, was sie
wollen: Die Menschen als Götter anbeten, weil die im Gegensatz zu
allen anderen Rassen der Galaxis sterblich sind.
Auch in der Story mit dem genialen Titel "The
Monkeys Thought 'Twas All in Fun" (Alles nur Spaß, dachten die
Affen) wird die Menschheit mit einer Art Kontakt konfrontiert. In der
Umlaufbahn taucht ein rätselhafter Körper auf, den man schließlich
besiedelt, um das Bevölkerungsproblem zu lösen. Leider löst
sich das Ding nach 100 Jahren abrupt in Staub auf... Es ist eine Art Lebensform,
die sich so vermehrt.
Die originale Titelgeschichte Solo-Sonate
ist vielleicht am grausamsten von allen. Card hatte sich ausgemalt, was
wäre, wenn ihm das Schreiben verboten würde. Ein musikalisches
Wunderkind wird abgeschottet von jedem anderen Einfluß aufgezogen
und darf Musik machen. Dann steckt ihm jemand einen Rekorder mit etwas
von Bach zu und aus ist's mit der Musik. Doch das Verbot der Wächter
hält den Helden nicht davon ab, es später mit einem Klavier zu
versuchen. Sie schneiden ihm die Finger ab. Als er singt, lassen sie ihn
stumm werden. In mancher Weise ähnelt diese letzte Geschichte Enders
Spiel. Auch hier wieder ein Kind, das mißbraucht wird, nach Gutdünken
der Erwachsenen geformt und verwendet wird wie ein Werkzeug, ohne ein Recht
auf einen eigenen Willen zu haben. Offenbar ein Thema, das den Mormonen
Card besonders anzieht.
Man kann die Story-Sammlung nur empfehlen, allerdings
dürften eingefleischte Card-Fans eher überrascht sein - und für
schwache Nerven ist sie schon gar nichts. Natürlich gibt es das Buch
nicht mehr im Handel, da muß man sich schon zu einem Buchmarkt aufmachen
oder so.
SX 87
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