Brian Stableford: The Empire of Fear

Das Reich der Angst
Brian Stableford: The Empire of Fear
(Ballantine Books 1988, 469 Seiten, $ 5.99)

Wieder einmal hat mir ein Buch - oder besser gesagt ein Autor - bewiesen, daß mit dem, was ich bis dahin kannte, das Thema Vampir noch längst nicht ausgeschöpft war. Brian Stableford hat gleichzeitig einen Vampir-Roman und eine Alternativwelt-Geschichte geschrieben, mit mehr als nur einem Touch Science Fiction darin, und alles noch dazu im Tonfall von so etwas wie Conan Doyle'schen Abenteuerromanen.
Die Handlung des Buches überzieht viele Jahrhunderte, angefangen vom mittelalterlichen England bis ins Amerika (pardon: Neu-Atlantis) von heute. Der gravierende Unterschied, der den Roman zu einer Alternativwelt-Geschichte macht, liegt darin, daß die Welt des Mittelalters von Vampiren beherrscht wird. Karl der Große, Attila, Richard Löwenherz... alle sind sie zu Vampiren geworden und nicht gestorben. Der englische Adel, das sind Vampire. Ihr Reich gründet sich auf Angst und Schrecken, jedoch nicht so, wie man denken könnte. Die gewöhnlichen Menschen haben nicht etwa Angst davor, von Vampiren gebissen oder ausgesaugt zu werden - sie möchten eigentlich nichts lieber, als der Ehre zuteil werden, selbst zum ewig jungen, beinahe unsterblichen Vampir gemacht zu werden. Die Menschen haben Angst vor grausamer Folter, Schmerz und Tod, was die herrschenden Vampire freizügig austeilen.
Der Umstand, daß sie Vampire sind und also manchmal Menschenblut brauchen, ist in Hinsicht auf ihre Herrschaftsmethoden unerheblich. Sie sind nur viel skrupelloser als alle menschlichen Tyrannen, welche die wirkliche Geschichte gekannt hat. Und außerdem haben wir hier alle Tyrannen auf einem Haufen!
Stablefords Vampire können sich nicht in Fledermäuse oder Wölfe verwandeln, Silber oder Sonne machen ihnen nichts aus, ja, sie haben nicht mal Reißzähne und untot sind sie schon gar nicht. Sie sind nur viel widerstandsfähiger gegen Krankheiten und Verletzungen und sehr langlebig. Da wundert man sich nicht, wenn alle Vampire werden wollen.
Aber es gibt auch Menschen, die das Joch der Herrschenden genauso abschütteln wollen, wie wenn das keine Vampir-Prinzen wären, sondern nur ein dekadenter Adel. Das Buch beginnt damit, wie der Mechanikus Edmund Corderly sich opfert, um eine Vampir-Lady mit einer aus Afrika extra importierten Seuche zu infizieren, gegen die auch Vampire nicht immun sind. Sein Sohn, Noell, muß daraufhin fliehen und sich in einem Kloster verbergen. Den Hauptteil des Romans macht eine Schilderung von Noells Leben aus, das ihn bis nach Zentralafrika führt, wo nicht nur die Wiege der Menschheit stand, wie sich herausstellt, sondern auch die des Vampirismus. In Afrika entdeckt der Renaissancegelehrte Noell das eifersüchtig gehütete Geheimnis des Elixiers des Lebens, bzw. der Vampire. Wie er vorausgesehen hat, führt die Verbreitung dieses Wissens zu einer Art Umsturz in der Welt. Zwar werden die neuen Vampire Corderlys schließlich von den alten noch einmal in einem grausamen Gemetzel um die aufständische Insel Malta geschlagen, aber der gesellschaftliche Fortschritt ist nicht mehr rückgängig zu machen.
Am Ende des Buches finden wir uns für einen kurzen Abschnitt in einer modernen Welt wieder, aber einer Welt mit Vampiren, jedenfalls vollendeten Menschen, die beinahe unsterblich sind. Nur jahrhundertealte Vampire nehmen aus reiner Gewohnheit noch Blut zu sich, andere haben dafür Pillen. In diesem Abschnitt erklärt Stableford - nun ganz SF-Autor - noch schnell, wie er den Vampirismus begründet. Ein Meteor ist im Spiel und gewisse Mutationen der Y-Chromosomen, es würde zu weit führen, das hier zu wiederholen. Aber der letzte Abschnitt schließt auch auf andere Weise den Kreis. Noells unerreichbare Geliebte Leilah trifft einen jungen Mann, der genau wie Noell gegen die Unsterblichkeit immun ist...
Die meisten Alternativwelten haben immer so vordergründige Erkennungsstücke dabei, etwa den Pförtner Napoleon Bonaparte, der in seiner Freizeit Zinnsoldaten gießt, oder so. Stableford verzichtet ganz und gar darauf. Bis auf die oben erwähnten historischen Gestalten, die zu Vampiren wurden, wiederholen sich keine Ereignisse schematisch. Warum sollten sie auch? Und daß die Könige und Prinzen Vampire wurden, erscheint logisch, wenn diese Rasse jene ist, welche die Macht hat. Das Volk saugten sie ja auch in der realen Geschichte aus.
Der Autor kommt auch ohne ein dramatisches Ringen um eine völlige Vernichtung der ,unnatürlichen" Vampire aus. Sie sind bei ihm eben nicht unnatürlich, sondern ein Teil der Natur. Und so wächst diese duale Gesellschaft zu etwas Folgerichtigem, das mehr als nur Koexistenz ist.
Vampire ohne die ganzen unangenehmen Sachen mit den Särgen und dem Knoblauch sind nicht nur salonfähig im wahrsten Sinne des Wortes, sondern verkörpern bei Stableford etwas Erstrebenswertes: Schönheit, Gesundheit, Jugend und Langlebigkeit.
Die bösen und grausamen Aspekte sind bei ihm offensichtlich dem Vampirismus nicht immanent, sie sind etwas menschliches, das überwunden werden muß und kann. Es ist nur die ungezügelte Macht der scheinbar unbesiegbaren Herrscher, die deren Rücksichts losigkeit so zum Vorschein kommen läßt. Richard ist trotz allem schon viel zivilisierter als Vlad Tepes, und als nach seiner militärischen Niederlage Noells maßgeschneiderte Seuche zuschlägt, ist das Reich der Angst zum endgültigen Untergang verurteilt.

SX 91

 

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