Kevin J. Anderson & Doug Beason: Lifeline
Kevin J. Anderson & Doug Beason:
Lifeline
(Bantam Books 1990, 460 Seiten, $ 4.95)
Zumindest Kevin J. Anderson dürfte
auch deutschen Lesern bereits ein Begriff sein, besonders den Warslern
(oder Star Wars Fans, wie man früher sagte). Hat er doch in dieser
Serie eine Reihe von Romanen, allein oder in Co-Autorenschaft, veröffentlicht.
Beispiele sind "Flucht ins Ungewisse" (s. SX 65) und "Der Geist des Dunklen
Lords" (s. SX 78), oder auch das angekündigte "Darksaber". In den
X-Files hat er u.a. mit "Ruinen" ebenso seine Spuren hinterlassen. Anderson
schreibt allerdings auch Bücher, die für sich stehen und keiner
Media-Serie zuzuordnen sind. In meiner Datei tauchen "Climbing Olympus"
und "Blindfold" auf, zusammen mit dem zweiten Autoren von "Lifeline" schrieb
er "Ill Wind". Major Doug Beason hat an der Air Force Academy Physik studiert
und arbeitete zumindest 1990 als Direktor des High Energy Plasma Laboratory
in New Mexico. Er soll einige High Tech Romane geschrieben haben, von denen
mir aber keiner bekannt ist.
Da auch Anderson Physik und Astronomie
studiert hat, konnte bei einer solchen Zusammenarbeit eigentlich nur ein
hard core SF Techno-Thriller herauskommen. Und es ist außerdem ein
spannender Roman geworden.
"Lifeline", das heißt soviel wie
Rettungsleine (und nicht "Lebenslinie", wie die beknackte Übersetzerin
eines Laurie Anderson Interviews behauptete), hier sicher in mehrdeutiger
Hinsicht gebraucht. Der ganze Roman spielt sich im fernen Erdorbit und
auf dem Mond ab, ca. 60 Jahre in der Zukunft. Zu diesem Zeitpunkt existieren
in den Librations- oder Lagrangepunkten L4 und L5 mehrere große Raumstationen.
Die Station Aguinaldo ist eher ein Habitat zu nennen, sie wird fast ausschließlich
von Filipinos bewohnt. (Die Amerikaner haben sie ihnen aus politischen
Gründen überlassen.) Die industrielle Orbitech 1 und die Kibalchich
der Russen befinden sich auf der anderen Seite des Mondes, der mit Clavius
Base eine große Kolonie besitzt.
Vor dem Beginn der eigentlichen Handlung
werden zwei entscheidende wissenschaftliche Entdeckungen gemacht. Der Genetiker
Sandovaal erschafft eine neue Art Pflanze, das Wand-Kelp, die den Nahrungs-
und Sauerstoffbedarf einer Raumstation sichern könnte. Karen Langelier
bringt es fertig, einen Monofilament-Draht zu erzeugen. (Der SF-Leser weiß
inzwischen, was das ist: Ein neuer Mythos des Genres.) Dieser unzerreißbare,
moleküldicke "Draht" findet rasch die verschiedensten Anwendungsbereiche.
Dann beginnt die Handlung. Und zwar damit,
daß ein zwanzigminütiger, weltweiter Nuklearkrieg die Erde ins
Mittelalter zurückbombt. Die Raumstationen sind auf sich gestellt.
Auf Aguinaldo ist die Sicherung der Ernährung
dank des Wand-Kelpes kein unlösbares Problem. Den Filipinos fehlt
es allerdings an Hochtechnologie, um den Fortbestand der Menschheit sichern
zu können. Orbitech 1 sieht sich vor viel größeren Schwierigkeiten.
Da kein einziges Shuttle im Orbit war, gibt es keinen Weg, um auf die Erde
zu gelangen. Für 1500 Leute wäre das ohnehin nicht leicht. Mit
der Perspektive, nur noch für drei Monate Vorräte zu haben, beschließt
der amtierende Direktor Brahms, 10% seiner Leute aus der Schleuse zu werfen.
Und das macht er tatsächlich! Natürlich ist die Folge davon ein
brutales Regime der Angst auf Orbitech. Jeder befürchtet, der Nächste
zu sein, wenn seine Arbeitseffizienz nicht Brahms' Ansprüchen gerecht
wird. Die Stimmung der Furcht, die um Ergebnisse ringenden Wissenschaftler
und die schnell aufgetauchten Aufpassermannschaften sind in beklemmend
überzeugender Weise geschildert.
Die Russen machen es ganz anders. Sie
gehen in Tiefschlaf. Insgeheim war nämlich ihre Station dazu bestimmt,
zum Mars zu fliegen und ihn in Besitz zu nehmen. Aber nicht nur das: Man
kann das Triebwerk auch als eine gerichtete Energiewaffe einsetzen. Eben
diesen Befehl bekam der Kommandant in den paar Minuten des Krieges. Er
sollte Orbitech 1 zerstören. Aber stattdessen schickt er die Mannschaft
in die Kühltruhen, übrigens die dritte bahnbrechende Erfindung
- nur daß sie geheim war -, bringt alle KGB-Leute um und begeht Selbstmord.
Hä? KGB-Leute?
Ja, das dachte ich auch. In politischer
Hinsicht ist der Roman leider völlig überholt. Geschrieben wahrscheinlich
während der Zeit der russischen Perestroika, befürchteten die
Autoren hier noch einen harschen Rückschlag in der sowjetischen Demokratisierung.
Oder haben sie es sich nur einfach machen wollen, indem sie die kommunistischen
Russen als den gewohnten Bösewicht beibehielten? Jedenfalls war das
ein Aspekt des Buches, den ich als störend empfand. So schnell kann
das gehen, 7 Jahre später wirkt die Weltordnung antiquiert.
Ich möchte an dieser Stelle von der
eigentlichen Handlung nicht zuviel verraten, denn ich hoffe, daß
auch dieses Buch einmal auf Deutsch zu haben sein wird. Anhand einiger
Hauptfiguren wird gezeigt, wie jeweils Anstrengungen unternommen werden,
um das Überleben zu sichern. Diese Bemühungen münden in
gar erstaunliche Ergebnisse, die von den Autoren zweifellos als zumindest
nicht
unwissenschaftlich untermauert worden sind. Wenn sie sich nicht gerade
auf weltpolitisches Gebiet wagen, wissen sie, von was sie schreiben. Es
kommt zu einer Zusammenarbeit der Stationen, in die auch die russische
Anlage gewissermaßen mit einbezogen wird.
Ein wenig überdramatisiert fand ich
den beinahe zufälligen Tod von Dr. Sandovaal in der Auseinandersetzung
mit der russischen Station. (Eine halb durchgedrehte, wieder aufgeweckte
Frau versucht aus lauter Frust, den Vernichtungsbefehl doch noch zu befolgen.)
Die Dramatik verlangte an der Stelle wohl ein Opfer, aber die Art und Weise
der Umsetzung läßt hier zu wünschen übrig.
Sonst aber haben wir hier genau das, was
versprochen wurde. Interessante hard SF, bei der auch die Personen nicht
zu kurz kommen.
SX 90
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